den Nachmittagsstunden vergoldete auf kurze Zeit ein herein¬ fallender Sonnenstrahl die kahlen Wände und umschimmerte einige Blumen, die in schlichten Töpfen auf dem Fensterbrette standen. Außer mir kamen nur wenige Besuche. Desto häu¬ figer aber fand sich der Arzt ein, der meinen Freund behan¬ delte. Es war ein älterer, behaglicher Junggeselle. Seine vollen Wangen zeigten das Roth der Gesundheit, und um die Lippen spielte ein feinsinnlicher Zug; aber seine Stirne war frei und hoch, und aus seinen hellen Augen strahlten Geist und Erkenntniß. Auf der Höhe des heutigen Wissens stehend und in seinem Fache selbst ein leidenschaftlicher Forscher, hatte er sich doch jene tieferen Gemüthslaute bewahrt, die bei einem Arzte dem Kranken gegenüber so wohlthuend wirken. Vor Allem aber war es sein köstlicher Humor, der ein Gespräch mit ihm als wahren Genuß empfinden ließ; wie denn auch mein armer Freund während seiner Anwesenheit stets ganz und gar des quälenden Leidens vergaß -- freilich nur, um es später desto schmerzlicher zu empfinden. --
So hatte ich denn eines Morgens wieder Himmel und Sonnenschein draußen zurückgelassen, um die düstere Treppe des Krankenhauses hinanzusteigen, in welchem ich ein außergewöhn¬ liches, stillbewegtes Treiben wahrnahm. In das bekannte. Zimmer tretend, fand ich den Doctor am Bette; jedoch eben im Begriffe, sich zu verabschieden.
den Nachmittagsſtunden vergoldete auf kurze Zeit ein herein¬ fallender Sonnenſtrahl die kahlen Wände und umſchimmerte einige Blumen, die in ſchlichten Töpfen auf dem Fenſterbrette ſtanden. Außer mir kamen nur wenige Beſuche. Deſto häu¬ figer aber fand ſich der Arzt ein, der meinen Freund behan¬ delte. Es war ein älterer, behaglicher Junggeſelle. Seine vollen Wangen zeigten das Roth der Geſundheit, und um die Lippen ſpielte ein feinſinnlicher Zug; aber ſeine Stirne war frei und hoch, und aus ſeinen hellen Augen ſtrahlten Geiſt und Erkenntniß. Auf der Höhe des heutigen Wiſſens ſtehend und in ſeinem Fache ſelbſt ein leidenſchaftlicher Forſcher, hatte er ſich doch jene tieferen Gemüthslaute bewahrt, die bei einem Arzte dem Kranken gegenüber ſo wohlthuend wirken. Vor Allem aber war es ſein köſtlicher Humor, der ein Geſpräch mit ihm als wahren Genuß empfinden ließ; wie denn auch mein armer Freund während ſeiner Anweſenheit ſtets ganz und gar des quälenden Leidens vergaß — freilich nur, um es ſpäter deſto ſchmerzlicher zu empfinden. —
So hatte ich denn eines Morgens wieder Himmel und Sonnenſchein draußen zurückgelaſſen, um die düſtere Treppe des Krankenhauſes hinanzuſteigen, in welchem ich ein außergewöhn¬ liches, ſtillbewegtes Treiben wahrnahm. In das bekannte. Zimmer tretend, fand ich den Doctor am Bette; jedoch eben im Begriffe, ſich zu verabſchieden.
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den Nachmittagsſtunden vergoldete auf kurze Zeit ein herein¬
fallender Sonnenſtrahl die kahlen Wände und umſchimmerte
einige Blumen, die in ſchlichten Töpfen auf dem Fenſterbrette
ſtanden. Außer mir kamen nur wenige Beſuche. Deſto häu¬
figer aber fand ſich der Arzt ein, der meinen Freund behan¬
delte. Es war ein älterer, behaglicher Junggeſelle. Seine
vollen Wangen zeigten das Roth der Geſundheit, und um die
Lippen ſpielte ein feinſinnlicher Zug; aber ſeine Stirne war
frei und hoch, und aus ſeinen hellen Augen ſtrahlten Geiſt
und Erkenntniß. Auf der Höhe des heutigen Wiſſens ſtehend
und in ſeinem Fache ſelbſt ein leidenſchaftlicher Forſcher, hatte
er ſich doch jene tieferen Gemüthslaute bewahrt, die bei einem
Arzte dem Kranken gegenüber ſo wohlthuend wirken. Vor
Allem aber war es ſein köſtlicher Humor, der ein Geſpräch
mit ihm als wahren Genuß empfinden ließ; wie denn auch
mein armer Freund während ſeiner Anweſenheit ſtets ganz
und gar des quälenden Leidens vergaß — freilich nur, um
es ſpäter deſto ſchmerzlicher zu empfinden. —
So hatte ich denn eines Morgens wieder Himmel und
Sonnenſchein draußen zurückgelaſſen, um die düſtere Treppe
des Krankenhauſes hinanzuſteigen, in welchem ich ein außergewöhn¬
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/290>, abgerufen am 23.11.2024.
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