wies sie flüchtig auf den jungen Mann und sagte: "Unser Vetter, Graf Rödern."
"Attache -- einstweilen noch ohne Attachement", setzte der Freiherr, während der Erwähnte und ich uns gegenseitig verneigten, wie scherzend hinzu; aber seine Stimme klang scharf.
"Desto besser!" lachte der Graf, indem er eine zierliche Reitgerte, die er in der Hand hielt, nachlässig hin und her¬ schwenkte. "Man kommt noch immer früh genug in's Joch -- und ich liebe die Ungebundenheit."
Die Freifrau warf einen raschen Blick auf ihn; dann zog sie mich angelegentlich in ein Gespräch, Dieses und Jenes, das eben nahe lag, ergreifend und eine Zeit lang festhaltend. Dabei hatte ich nun Gelegenheit, mich mehr und mehr in den Zauber ihrer Schönheit zu versenken. Was ich schon einst aus der Ferne an ihr hatte bewundern können: der volle und doch geschmeidige Wuchs; das lichte, von dunklen Haaren, wie von einer nächtigen Wolke umflossene Antlitz; die großen, langbewimperten Sammetaugen -- das Alles trat mir jetzt in seiner ganzen Pracht entgegen, während zugleich die feinsten und individuellsten Reize sichtbar wurden. Um den zarten, rosigen Mund spielte, während sie sprach, ein berauschendes Lächeln, und dabei zuckten und zitterten ihre weiten Nasen¬ flügel manchmal ganz eigenthümlich, was ihren Zügen bei aller Weichheit einen höchst energischen Ausdruck verlieh. Wie sie so in nachlässiger Haltung vor mir saß und mit der perl¬
wies ſie flüchtig auf den jungen Mann und ſagte: „Unſer Vetter, Graf Rödern.“
„Attaché — einſtweilen noch ohne Attachement“, ſetzte der Freiherr, während der Erwähnte und ich uns gegenſeitig verneigten, wie ſcherzend hinzu; aber ſeine Stimme klang ſcharf.
„Deſto beſſer!“ lachte der Graf, indem er eine zierliche Reitgerte, die er in der Hand hielt, nachläſſig hin und her¬ ſchwenkte. „Man kommt noch immer früh genug in's Joch — und ich liebe die Ungebundenheit.“
Die Freifrau warf einen raſchen Blick auf ihn; dann zog ſie mich angelegentlich in ein Geſpräch, Dieſes und Jenes, das eben nahe lag, ergreifend und eine Zeit lang feſthaltend. Dabei hatte ich nun Gelegenheit, mich mehr und mehr in den Zauber ihrer Schönheit zu verſenken. Was ich ſchon einſt aus der Ferne an ihr hatte bewundern können: der volle und doch geſchmeidige Wuchs; das lichte, von dunklen Haaren, wie von einer nächtigen Wolke umfloſſene Antlitz; die großen, langbewimperten Sammetaugen — das Alles trat mir jetzt in ſeiner ganzen Pracht entgegen, während zugleich die feinſten und individuellſten Reize ſichtbar wurden. Um den zarten, roſigen Mund ſpielte, während ſie ſprach, ein berauſchendes Lächeln, und dabei zuckten und zitterten ihre weiten Naſen¬ flügel manchmal ganz eigenthümlich, was ihren Zügen bei aller Weichheit einen höchſt energiſchen Ausdruck verlieh. Wie ſie ſo in nachläſſiger Haltung vor mir ſaß und mit der perl¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0274"n="258"/>
wies ſie flüchtig auf den jungen Mann und ſagte: „Unſer<lb/>
Vetter, Graf Rödern.“</p><lb/><p>„Attach<hirendition="#aq">é</hi>— einſtweilen noch ohne Attachement“, ſetzte<lb/>
der Freiherr, während der Erwähnte und ich uns gegenſeitig<lb/>
verneigten, wie ſcherzend hinzu; aber ſeine Stimme klang ſcharf.</p><lb/><p>„Deſto beſſer!“ lachte der Graf, indem er eine zierliche<lb/>
Reitgerte, die er in der Hand hielt, nachläſſig hin und her¬<lb/>ſchwenkte. „Man kommt noch immer früh genug in's Joch<lb/>— und ich liebe die Ungebundenheit.“</p><lb/><p>Die Freifrau warf einen raſchen Blick auf ihn; dann<lb/>
zog ſie mich angelegentlich in ein Geſpräch, Dieſes und Jenes,<lb/>
das eben nahe lag, ergreifend und eine Zeit lang feſthaltend.<lb/>
Dabei hatte ich nun Gelegenheit, mich mehr und mehr in den<lb/>
Zauber ihrer Schönheit zu verſenken. Was ich ſchon einſt<lb/>
aus der Ferne an ihr hatte bewundern können: der volle und<lb/>
doch geſchmeidige Wuchs; das lichte, von dunklen Haaren,<lb/>
wie von einer nächtigen Wolke umfloſſene Antlitz; die großen,<lb/>
langbewimperten Sammetaugen — das Alles trat mir jetzt in<lb/>ſeiner ganzen Pracht entgegen, während zugleich die feinſten<lb/>
und individuellſten Reize ſichtbar wurden. Um den zarten,<lb/>
roſigen Mund ſpielte, während ſie ſprach, ein berauſchendes<lb/>
Lächeln, und dabei zuckten und zitterten ihre weiten Naſen¬<lb/>
flügel manchmal ganz eigenthümlich, was ihren Zügen bei<lb/>
aller Weichheit einen höchſt energiſchen Ausdruck verlieh. Wie<lb/>ſie ſo in nachläſſiger Haltung vor mir ſaß und mit der perl¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[258/0274]
wies ſie flüchtig auf den jungen Mann und ſagte: „Unſer
Vetter, Graf Rödern.“
„Attaché — einſtweilen noch ohne Attachement“, ſetzte
der Freiherr, während der Erwähnte und ich uns gegenſeitig
verneigten, wie ſcherzend hinzu; aber ſeine Stimme klang ſcharf.
„Deſto beſſer!“ lachte der Graf, indem er eine zierliche
Reitgerte, die er in der Hand hielt, nachläſſig hin und her¬
ſchwenkte. „Man kommt noch immer früh genug in's Joch
— und ich liebe die Ungebundenheit.“
Die Freifrau warf einen raſchen Blick auf ihn; dann
zog ſie mich angelegentlich in ein Geſpräch, Dieſes und Jenes,
das eben nahe lag, ergreifend und eine Zeit lang feſthaltend.
Dabei hatte ich nun Gelegenheit, mich mehr und mehr in den
Zauber ihrer Schönheit zu verſenken. Was ich ſchon einſt
aus der Ferne an ihr hatte bewundern können: der volle und
doch geſchmeidige Wuchs; das lichte, von dunklen Haaren,
wie von einer nächtigen Wolke umfloſſene Antlitz; die großen,
langbewimperten Sammetaugen — das Alles trat mir jetzt in
ſeiner ganzen Pracht entgegen, während zugleich die feinſten
und individuellſten Reize ſichtbar wurden. Um den zarten,
roſigen Mund ſpielte, während ſie ſprach, ein berauſchendes
Lächeln, und dabei zuckten und zitterten ihre weiten Naſen¬
flügel manchmal ganz eigenthümlich, was ihren Zügen bei
aller Weichheit einen höchſt energiſchen Ausdruck verlieh. Wie
ſie ſo in nachläſſiger Haltung vor mir ſaß und mit der perl¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/274>, abgerufen am 18.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.