Musiklectionen, deren sie viele hatte; an die Ausübung ihrer Kunst dachte sie nicht mehr. Aber die Erbschaftshoffnungen zerflossen in nichts und der Baron, der dem Laster des Trunkes und des Spieles ergeben ist, brauchte Geld. Ludovica mußte es schaffen: durch Darlehen, die sie auftrieb, durch Geschenke, die sie erbettelte, und als es ihr nicht immer gelingen wollte, mißhandelte er sie -- ja ging in seiner Niederträchtigkeit so weit, sie zwingen zu wollen, die letzten Reste ihrer Schönheit zu verkaufen. Das ertrug sie nicht. Heute morgens hatte er sie wieder fortgeschickt, eine Summe herbei zu schaffen -- eine verschwindend kleine Summe: aber selbst ihre Schwester und ihr Schwager, welche der Unglücklichen bis jetzt, zwar ungern und mit Vorwürfen aller Art, aber dennoch in den äußersten Fällen stets geholfen hatten -- verweigerten sie ihr diesmal. Sie mußte sich nicht nach Hause gewagt haben, mußte lange umhergeirrt sein und -- das Uebrige wissen Sie."
Wir schwiegen Beide.
"Und nun sagen Sie mir", fuhr er fort, "wie es kam, daß dieses holde Geschöpf, ausgestattet mit allen Vorzügen ihres Geschlechtes, welche Andere so vortrefflich zu verwerthen wissen, sich an Unwürdige weggeworfen; wie es kam, daß sie in thö¬ richter Umkehrung der Verhältnisse für Diejenigen zu sorgen bemüht war, welche für sie zu sorgen die Verpflichtung hatten -- bis sie, noch in jungen Jahren, ein so trauriges Ende nahm?
Muſiklectionen, deren ſie viele hatte; an die Ausübung ihrer Kunſt dachte ſie nicht mehr. Aber die Erbſchaftshoffnungen zerfloſſen in nichts und der Baron, der dem Laſter des Trunkes und des Spieles ergeben iſt, brauchte Geld. Ludovica mußte es ſchaffen: durch Darlehen, die ſie auftrieb, durch Geſchenke, die ſie erbettelte, und als es ihr nicht immer gelingen wollte, mißhandelte er ſie — ja ging in ſeiner Niederträchtigkeit ſo weit, ſie zwingen zu wollen, die letzten Reſte ihrer Schönheit zu verkaufen. Das ertrug ſie nicht. Heute morgens hatte er ſie wieder fortgeſchickt, eine Summe herbei zu ſchaffen — eine verſchwindend kleine Summe: aber ſelbſt ihre Schweſter und ihr Schwager, welche der Unglücklichen bis jetzt, zwar ungern und mit Vorwürfen aller Art, aber dennoch in den äußerſten Fällen ſtets geholfen hatten — verweigerten ſie ihr diesmal. Sie mußte ſich nicht nach Hauſe gewagt haben, mußte lange umhergeirrt ſein und — das Uebrige wiſſen Sie.“
Wir ſchwiegen Beide.
„Und nun ſagen Sie mir“, fuhr er fort, „wie es kam, daß dieſes holde Geſchöpf, ausgeſtattet mit allen Vorzügen ihres Geſchlechtes, welche Andere ſo vortrefflich zu verwerthen wiſſen, ſich an Unwürdige weggeworfen; wie es kam, daß ſie in thö¬ richter Umkehrung der Verhältniſſe für Diejenigen zu ſorgen bemüht war, welche für ſie zu ſorgen die Verpflichtung hatten — bis ſie, noch in jungen Jahren, ein ſo trauriges Ende nahm?
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0258"n="242"/>
Muſiklectionen, deren ſie viele hatte; an die Ausübung ihrer<lb/>
Kunſt dachte ſie nicht mehr. Aber die Erbſchaftshoffnungen<lb/>
zerfloſſen in nichts und der Baron, der dem Laſter des Trunkes<lb/>
und des Spieles ergeben iſt, brauchte Geld. Ludovica mußte<lb/>
es ſchaffen: durch Darlehen, die ſie auftrieb, durch Geſchenke,<lb/>
die ſie erbettelte, und als es ihr nicht immer gelingen wollte,<lb/>
mißhandelte er ſie — ja ging in ſeiner Niederträchtigkeit ſo<lb/>
weit, ſie zwingen zu wollen, die letzten Reſte ihrer Schönheit<lb/>
zu verkaufen. Das ertrug ſie nicht. Heute morgens hatte er<lb/>ſie wieder fortgeſchickt, eine Summe herbei zu ſchaffen — eine<lb/>
verſchwindend kleine Summe: aber ſelbſt ihre Schweſter und<lb/>
ihr Schwager, welche der Unglücklichen bis jetzt, zwar ungern<lb/>
und mit Vorwürfen aller Art, aber dennoch in den äußerſten<lb/>
Fällen ſtets geholfen hatten — verweigerten ſie ihr diesmal.<lb/>
Sie mußte ſich nicht nach Hauſe gewagt haben, mußte lange<lb/>
umhergeirrt ſein und — das Uebrige wiſſen Sie.“</p><lb/><p>Wir ſchwiegen Beide.</p><lb/><p>„Und nun ſagen Sie mir“, fuhr er fort, „wie es kam,<lb/>
daß dieſes holde Geſchöpf, ausgeſtattet mit allen Vorzügen ihres<lb/>
Geſchlechtes, welche Andere ſo vortrefflich zu verwerthen wiſſen,<lb/>ſich an Unwürdige weggeworfen; wie es kam, daß ſie in thö¬<lb/>
richter Umkehrung der Verhältniſſe für Diejenigen zu ſorgen<lb/>
bemüht war, welche für <hirendition="#g">ſie</hi> zu ſorgen die Verpflichtung hatten<lb/>— bis ſie, noch in jungen Jahren, ein ſo trauriges Ende nahm?<lb/></p></div></body></text></TEI>
[242/0258]
Muſiklectionen, deren ſie viele hatte; an die Ausübung ihrer
Kunſt dachte ſie nicht mehr. Aber die Erbſchaftshoffnungen
zerfloſſen in nichts und der Baron, der dem Laſter des Trunkes
und des Spieles ergeben iſt, brauchte Geld. Ludovica mußte
es ſchaffen: durch Darlehen, die ſie auftrieb, durch Geſchenke,
die ſie erbettelte, und als es ihr nicht immer gelingen wollte,
mißhandelte er ſie — ja ging in ſeiner Niederträchtigkeit ſo
weit, ſie zwingen zu wollen, die letzten Reſte ihrer Schönheit
zu verkaufen. Das ertrug ſie nicht. Heute morgens hatte er
ſie wieder fortgeſchickt, eine Summe herbei zu ſchaffen — eine
verſchwindend kleine Summe: aber ſelbſt ihre Schweſter und
ihr Schwager, welche der Unglücklichen bis jetzt, zwar ungern
und mit Vorwürfen aller Art, aber dennoch in den äußerſten
Fällen ſtets geholfen hatten — verweigerten ſie ihr diesmal.
Sie mußte ſich nicht nach Hauſe gewagt haben, mußte lange
umhergeirrt ſein und — das Uebrige wiſſen Sie.“
Wir ſchwiegen Beide.
„Und nun ſagen Sie mir“, fuhr er fort, „wie es kam,
daß dieſes holde Geſchöpf, ausgeſtattet mit allen Vorzügen ihres
Geſchlechtes, welche Andere ſo vortrefflich zu verwerthen wiſſen,
ſich an Unwürdige weggeworfen; wie es kam, daß ſie in thö¬
richter Umkehrung der Verhältniſſe für Diejenigen zu ſorgen
bemüht war, welche für ſie zu ſorgen die Verpflichtung hatten
— bis ſie, noch in jungen Jahren, ein ſo trauriges Ende nahm?
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/258>, abgerufen am 17.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.