versucht, und somit würde man ganz angenehm mit ihm haben verkehren können, wenn nicht einige cynische Bemerkungen, die er hin und wieder that, auf eine gewisse sittliche Verwilderung seines Charakters gedeutet hätten, welche neben den übrigen glänzenden Eigenschaften doppelt bedauerlich erschien. Man zog natürlich auch die Tonkunst in's Gespräch und ich ließ die Hoffnung auf einen musikalischen Genuß durchblicken. "Ich bin mit Vergnügen bereit, zu spielen", sagte Ludovica zuvor¬ kommend, indem sie aufstand und sich ihren Geigen näherte. "Mimi wird mich begleiten."
"Ludovica kann sich später hören lassen", sagte Alexis abwehrend. "Jetzt soll uns Mimi ein paar ihrer reizenden Lieder zum Besten geben. -- Sie glauben gar nicht, mein Herr", wandte er sich an mich, "welch' ein Genie in der klei¬ nen Person steckt! Sie dichtet und componirt allerliebste Strophen, wie man sie sonst nur in Paris zu hören bekommt, Laß Dich nicht bitten, Mimchen, und singe!" fuhr er fort, in¬ dem er ihre beiden Hände ergriff.
Die Kleine warf einen lauernden Blick auf Ludovica. Diese war etwas bleich geworden; aber sie streichelte die Wange der Schwester und sagte: "Singe nur, mein Engel, Du machst Alexis eine Freude -- und gewiß auch Herrn Walberg."
Mimi hatte sich, wie gewöhnlich die Locken schüttelnd, an das Clavier gesetzt und begann, indem sie dazu leicht die
verſucht, und ſomit würde man ganz angenehm mit ihm haben verkehren können, wenn nicht einige cyniſche Bemerkungen, die er hin und wieder that, auf eine gewiſſe ſittliche Verwilderung ſeines Charakters gedeutet hätten, welche neben den übrigen glänzenden Eigenſchaften doppelt bedauerlich erſchien. Man zog natürlich auch die Tonkunſt in's Geſpräch und ich ließ die Hoffnung auf einen muſikaliſchen Genuß durchblicken. „Ich bin mit Vergnügen bereit, zu ſpielen“, ſagte Ludovica zuvor¬ kommend, indem ſie aufſtand und ſich ihren Geigen näherte. „Mimi wird mich begleiten.“
„Ludovica kann ſich ſpäter hören laſſen“, ſagte Alexis abwehrend. „Jetzt ſoll uns Mimi ein paar ihrer reizenden Lieder zum Beſten geben. — Sie glauben gar nicht, mein Herr“, wandte er ſich an mich, „welch' ein Genie in der klei¬ nen Perſon ſteckt! Sie dichtet und componirt allerliebſte Strophen, wie man ſie ſonſt nur in Paris zu hören bekommt, Laß Dich nicht bitten, Mimchen, und ſinge!“ fuhr er fort, in¬ dem er ihre beiden Hände ergriff.
Die Kleine warf einen lauernden Blick auf Ludovica. Dieſe war etwas bleich geworden; aber ſie ſtreichelte die Wange der Schweſter und ſagte: „Singe nur, mein Engel, Du machſt Alexis eine Freude — und gewiß auch Herrn Walberg.“
Mimi hatte ſich, wie gewöhnlich die Locken ſchüttelnd, an das Clavier geſetzt und begann, indem ſie dazu leicht die
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verſucht, und ſomit würde man ganz angenehm mit ihm haben
verkehren können, wenn nicht einige cyniſche Bemerkungen, die
er hin und wieder that, auf eine gewiſſe ſittliche Verwilderung
ſeines Charakters gedeutet hätten, welche neben den übrigen
glänzenden Eigenſchaften doppelt bedauerlich erſchien. Man
zog natürlich auch die Tonkunſt in's Geſpräch und ich ließ
die Hoffnung auf einen muſikaliſchen Genuß durchblicken. „Ich
bin mit Vergnügen bereit, zu ſpielen“, ſagte Ludovica zuvor¬
kommend, indem ſie aufſtand und ſich ihren Geigen näherte.
„Mimi wird mich begleiten.“
„Ludovica kann ſich ſpäter hören laſſen“, ſagte Alexis
abwehrend. „Jetzt ſoll uns Mimi ein paar ihrer reizenden
Lieder zum Beſten geben. — Sie glauben gar nicht, mein
Herr“, wandte er ſich an mich, „welch' ein Genie in der klei¬
nen Perſon ſteckt! Sie dichtet und componirt allerliebſte
Strophen, wie man ſie ſonſt nur in Paris zu hören bekommt,
Laß Dich nicht bitten, Mimchen, und ſinge!“ fuhr er fort, in¬
dem er ihre beiden Hände ergriff.
Die Kleine warf einen lauernden Blick auf Ludovica.
Dieſe war etwas bleich geworden; aber ſie ſtreichelte die
Wange der Schweſter und ſagte: „Singe nur, mein Engel,
Du machſt Alexis eine Freude — und gewiß auch Herrn
Walberg.“
Mimi hatte ſich, wie gewöhnlich die Locken ſchüttelnd, an
das Clavier geſetzt und begann, indem ſie dazu leicht die
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/229>, abgerufen am 17.02.2025.
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