war erloschen. So ging ich, mit mir selbst im Reinen, freien und fröhlichen Herzens zu Tische. --
Nach kurzer Zeit erhielt ich durch die Post einen Brief mit gefälligen, etwas flüchtigen Schriftzügen. Er lautete:
"Verehrter Herr! Wenn Sie morgen Abend nichts Besse¬ res vorhaben, so schenken Sie uns das Vergnügen Ihres Be¬ suches. Sie werden blos in einem Familienkreise sein. Ihre dankschuldigste Ludovica."
Ich legte das Schreiben ruhig bei Seite, denn ich dachte gar nicht daran, der Einladung nachzukommen. Am andern Morgen jedoch fiel mir ein, daß es doch geradezu unartig wäre, dieselbe gänzlich zu ignoriren. Ich mußte mich mit einigen Zeilen entschuldigen und setzte mich an den Schreibtisch. Wie ich nun so nach einer landläufigen Ausflucht suchte, kam mir meine Wahrheitsliebe in die Quere, die es mir selbst in unbedeutenden Dingen schwer macht, eine Lüge zu ersinnen, und ich entschloß mich kurz und gut, hinzugehen. So suchte ich denn gegen Abend den Stadttheil auf, in welchem die Gei¬ gerin wohnte. Im dritten Stockwerk eines dichtbevölkerten Hauses schellte ich an der bezeichneten Thüre. Eine Magd öffnete und wies mich nach dem Empfangszimmer, wo mir Ludovica in schwarzem Seidenkleide, eine dunkelrothe Blume in's Haar gesteckt, mit graziösem Anstand entgegen kam und mich mit der versammelten Gesellschaft bekannt machte. Ich
war erloſchen. So ging ich, mit mir ſelbſt im Reinen, freien und fröhlichen Herzens zu Tiſche. —
Nach kurzer Zeit erhielt ich durch die Poſt einen Brief mit gefälligen, etwas flüchtigen Schriftzügen. Er lautete:
„Verehrter Herr! Wenn Sie morgen Abend nichts Beſſe¬ res vorhaben, ſo ſchenken Sie uns das Vergnügen Ihres Be¬ ſuches. Sie werden blos in einem Familienkreiſe ſein. Ihre dankſchuldigſte Ludovica.“
Ich legte das Schreiben ruhig bei Seite, denn ich dachte gar nicht daran, der Einladung nachzukommen. Am andern Morgen jedoch fiel mir ein, daß es doch geradezu unartig wäre, dieſelbe gänzlich zu ignoriren. Ich mußte mich mit einigen Zeilen entſchuldigen und ſetzte mich an den Schreibtiſch. Wie ich nun ſo nach einer landläufigen Ausflucht ſuchte, kam mir meine Wahrheitsliebe in die Quere, die es mir ſelbſt in unbedeutenden Dingen ſchwer macht, eine Lüge zu erſinnen, und ich entſchloß mich kurz und gut, hinzugehen. So ſuchte ich denn gegen Abend den Stadttheil auf, in welchem die Gei¬ gerin wohnte. Im dritten Stockwerk eines dichtbevölkerten Hauſes ſchellte ich an der bezeichneten Thüre. Eine Magd öffnete und wies mich nach dem Empfangszimmer, wo mir Ludovica in ſchwarzem Seidenkleide, eine dunkelrothe Blume in's Haar geſteckt, mit graziöſem Anſtand entgegen kam und mich mit der verſammelten Geſellſchaft bekannt machte. Ich
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[210/0226]
war erloſchen. So ging ich, mit mir ſelbſt im Reinen, freien
und fröhlichen Herzens zu Tiſche. —
Nach kurzer Zeit erhielt ich durch die Poſt einen Brief
mit gefälligen, etwas flüchtigen Schriftzügen. Er lautete:
„Verehrter Herr! Wenn Sie morgen Abend nichts Beſſe¬
res vorhaben, ſo ſchenken Sie uns das Vergnügen Ihres Be¬
ſuches. Sie werden blos in einem Familienkreiſe ſein. Ihre
dankſchuldigſte Ludovica.“
Ich legte das Schreiben ruhig bei Seite, denn ich dachte
gar nicht daran, der Einladung nachzukommen. Am andern
Morgen jedoch fiel mir ein, daß es doch geradezu unartig
wäre, dieſelbe gänzlich zu ignoriren. Ich mußte mich mit
einigen Zeilen entſchuldigen und ſetzte mich an den Schreibtiſch.
Wie ich nun ſo nach einer landläufigen Ausflucht ſuchte, kam
mir meine Wahrheitsliebe in die Quere, die es mir ſelbſt in
unbedeutenden Dingen ſchwer macht, eine Lüge zu erſinnen,
und ich entſchloß mich kurz und gut, hinzugehen. So ſuchte
ich denn gegen Abend den Stadttheil auf, in welchem die Gei¬
gerin wohnte. Im dritten Stockwerk eines dichtbevölkerten
Hauſes ſchellte ich an der bezeichneten Thüre. Eine Magd
öffnete und wies mich nach dem Empfangszimmer, wo mir
Ludovica in ſchwarzem Seidenkleide, eine dunkelrothe Blume
in's Haar geſteckt, mit graziöſem Anſtand entgegen kam und
mich mit der verſammelten Geſellſchaft bekannt machte. Ich
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/226>, abgerufen am 17.02.2025.
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