bäudes verschwand. Ein tiefes Weh fiel mir auf's Herz. Also auch sie hatte mit der Noth des Lebens zu kämpfen, die mir hier wieder einmal als unzertrennliche Begleiterin der Kunst erschien, und mußte vielleicht irgend ein theures Ange¬ denken, einen liebgewordenen Schmuck verpfänden, um nicht unterzugehen! In solch' trübe Gedanken versunken, war ich halb unbewußt ebenfalls vor der Anstalt eingetroffen, als sie plötzlich, das Päckchen krampfhaft umklammernd, mit dem Aus¬ drucke tiefster Verzweiflung im Antlitz, wieder unter dem Thore erschien. Sie war offenbar zu spät gekommen oder man hatte sie auf morgen vertröstet; und nun stand sie da und blickte stumpfsinnig in das goldene Sonnenlicht hinein, das die gegen¬ über liegenden Häuser umfunkelte. Fröhliche Menschen schritten an ihr vorüber; ein kleines Mädchen bot ihr Veilchen zum Kaufe, aber sie sah und hörte nichts. Endlich ging sie und irrte, wie es mir schien, ohne Wahl und Ziel in den nächsten Gassen umher. Ich konnte es nicht länger mit ansehen und trat an ihre Seite. "Erlauben Sie, mein Fräulein", -- sagte ich, indem ich höflich den Hut abzog.
Sie sah mich ausdruckslos an und eilte weiter.
Ich hielt mich neben ihr. "Bemühen Sie sich nicht, mein Herr", sagte sie endlich. "Ich wünsche keine Begleitung -- ich muß Sie bitten --"
"Halten Sie mich für keinen Unverschämten, keinen Zu¬ dringlichen", erwiederte ich fest. "Ich habe Ihnen eine wich¬ tige Mittheilung zu machen."
bäudes verſchwand. Ein tiefes Weh fiel mir auf's Herz. Alſo auch ſie hatte mit der Noth des Lebens zu kämpfen, die mir hier wieder einmal als unzertrennliche Begleiterin der Kunſt erſchien, und mußte vielleicht irgend ein theures Ange¬ denken, einen liebgewordenen Schmuck verpfänden, um nicht unterzugehen! In ſolch' trübe Gedanken verſunken, war ich halb unbewußt ebenfalls vor der Anſtalt eingetroffen, als ſie plötzlich, das Päckchen krampfhaft umklammernd, mit dem Aus¬ drucke tiefſter Verzweiflung im Antlitz, wieder unter dem Thore erſchien. Sie war offenbar zu ſpät gekommen oder man hatte ſie auf morgen vertröſtet; und nun ſtand ſie da und blickte ſtumpfſinnig in das goldene Sonnenlicht hinein, das die gegen¬ über liegenden Häuſer umfunkelte. Fröhliche Menſchen ſchritten an ihr vorüber; ein kleines Mädchen bot ihr Veilchen zum Kaufe, aber ſie ſah und hörte nichts. Endlich ging ſie und irrte, wie es mir ſchien, ohne Wahl und Ziel in den nächſten Gaſſen umher. Ich konnte es nicht länger mit anſehen und trat an ihre Seite. „Erlauben Sie, mein Fräulein“, — ſagte ich, indem ich höflich den Hut abzog.
Sie ſah mich ausdruckslos an und eilte weiter.
Ich hielt mich neben ihr. „Bemühen Sie ſich nicht, mein Herr“, ſagte ſie endlich. „Ich wünſche keine Begleitung — ich muß Sie bitten —“
„Halten Sie mich für keinen Unverſchämten, keinen Zu¬ dringlichen“, erwiederte ich feſt. „Ich habe Ihnen eine wich¬ tige Mittheilung zu machen.“
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[205/0221]
bäudes verſchwand. Ein tiefes Weh fiel mir auf's Herz.
Alſo auch ſie hatte mit der Noth des Lebens zu kämpfen, die
mir hier wieder einmal als unzertrennliche Begleiterin der
Kunſt erſchien, und mußte vielleicht irgend ein theures Ange¬
denken, einen liebgewordenen Schmuck verpfänden, um nicht
unterzugehen! In ſolch' trübe Gedanken verſunken, war ich
halb unbewußt ebenfalls vor der Anſtalt eingetroffen, als ſie
plötzlich, das Päckchen krampfhaft umklammernd, mit dem Aus¬
drucke tiefſter Verzweiflung im Antlitz, wieder unter dem Thore
erſchien. Sie war offenbar zu ſpät gekommen oder man hatte
ſie auf morgen vertröſtet; und nun ſtand ſie da und blickte
ſtumpfſinnig in das goldene Sonnenlicht hinein, das die gegen¬
über liegenden Häuſer umfunkelte. Fröhliche Menſchen ſchritten
an ihr vorüber; ein kleines Mädchen bot ihr Veilchen zum
Kaufe, aber ſie ſah und hörte nichts. Endlich ging ſie und
irrte, wie es mir ſchien, ohne Wahl und Ziel in den nächſten
Gaſſen umher. Ich konnte es nicht länger mit anſehen und
trat an ihre Seite. „Erlauben Sie, mein Fräulein“, — ſagte ich,
indem ich höflich den Hut abzog.
Sie ſah mich ausdruckslos an und eilte weiter.
Ich hielt mich neben ihr. „Bemühen Sie ſich nicht, mein
Herr“, ſagte ſie endlich. „Ich wünſche keine Begleitung —
ich muß Sie bitten —“
„Halten Sie mich für keinen Unverſchämten, keinen Zu¬
dringlichen“, erwiederte ich feſt. „Ich habe Ihnen eine wich¬
tige Mittheilung zu machen.“
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/221>, abgerufen am 16.07.2024.
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