war, entfernt, und so hing ihr lichtbraunes Haar in feuchten Locken und Strähnen gelöst, über die Schultern hinab. Die bläulichen Lippen waren weit geöffnet und große dunkle Au¬ gen starrten gebrochen unter den Wimpern hervor. Der An¬ blick war zu ergreifend, als daß wir ihn hätten ertragen können. "Die Unselige!" murmelte Walberg, indem er sich, gleich mir, schaudernd abwandte; "so weit ist es mit ihr ge¬ kommen." Dann übergab er dem Wachmanne das beschriebene Blatt und wir traten auf die Gasse hinaus, wo wir stumm neben einander hergingen. Walberg schien ein Vorhaben zu überlegen; endlich winkte er einen Miethwagen heran und er¬ suchte mich, ihn zu begleiten. Wir fuhren in eine der nächsten und belebtesten Vorstädte. Bei einem stattlichen, hell erleuch¬ teten Kaufmannsladen ließ er halten und trat hinein. Ge¬ raume Zeit verstrich, bis er zurückkam. "Es ist Alles so, wie ich es mir gedacht habe", sagte er beim Einsteigen mehr zu sich selbst, nachdem er dem Kutscher seine Wohnung bezeichnet hatte. Wir legten eine schweigsame Fahrt zurück und als der Wagen hielt, schrak Walberg aus trübem Sinnen empor. -- "Kommen Sie mit mir hinauf", bat er; "ich will jetzt nicht allein sein." In seinem einfachen Zimmer machte er Licht, zündete die Spirituslampe unter dem Theekessel an und reichte mir schweigend ein Kistchen mit Cigarren. Dann setzte er sich in einen Lehnstuhl und blickte nachdenklich vor sich hin. Es war mir, als hätte ich eine Mittheilung zu erwarten; aber
war, entfernt, und ſo hing ihr lichtbraunes Haar in feuchten Locken und Strähnen gelöſt, über die Schultern hinab. Die bläulichen Lippen waren weit geöffnet und große dunkle Au¬ gen ſtarrten gebrochen unter den Wimpern hervor. Der An¬ blick war zu ergreifend, als daß wir ihn hätten ertragen können. „Die Unſelige!“ murmelte Walberg, indem er ſich, gleich mir, ſchaudernd abwandte; „ſo weit iſt es mit ihr ge¬ kommen.“ Dann übergab er dem Wachmanne das beſchriebene Blatt und wir traten auf die Gaſſe hinaus, wo wir ſtumm neben einander hergingen. Walberg ſchien ein Vorhaben zu überlegen; endlich winkte er einen Miethwagen heran und er¬ ſuchte mich, ihn zu begleiten. Wir fuhren in eine der nächſten und belebteſten Vorſtädte. Bei einem ſtattlichen, hell erleuch¬ teten Kaufmannsladen ließ er halten und trat hinein. Ge¬ raume Zeit verſtrich, bis er zurückkam. „Es iſt Alles ſo, wie ich es mir gedacht habe“, ſagte er beim Einſteigen mehr zu ſich ſelbſt, nachdem er dem Kutſcher ſeine Wohnung bezeichnet hatte. Wir legten eine ſchweigſame Fahrt zurück und als der Wagen hielt, ſchrak Walberg aus trübem Sinnen empor. — „Kommen Sie mit mir hinauf“, bat er; „ich will jetzt nicht allein ſein.“ In ſeinem einfachen Zimmer machte er Licht, zündete die Spirituslampe unter dem Theekeſſel an und reichte mir ſchweigend ein Kiſtchen mit Cigarren. Dann ſetzte er ſich in einen Lehnſtuhl und blickte nachdenklich vor ſich hin. Es war mir, als hätte ich eine Mittheilung zu erwarten; aber
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0213"n="197"/>
war, entfernt, und ſo hing ihr lichtbraunes Haar in feuchten<lb/>
Locken und Strähnen gelöſt, über die Schultern hinab. Die<lb/>
bläulichen Lippen waren weit geöffnet und große dunkle Au¬<lb/>
gen ſtarrten gebrochen unter den Wimpern hervor. Der An¬<lb/>
blick war zu ergreifend, als daß wir ihn hätten ertragen<lb/>
können. „Die Unſelige!“ murmelte Walberg, indem er ſich,<lb/>
gleich mir, ſchaudernd abwandte; „ſo weit iſt es mit ihr ge¬<lb/>
kommen.“ Dann übergab er dem Wachmanne das beſchriebene<lb/>
Blatt und wir traten auf die Gaſſe hinaus, wo wir ſtumm<lb/>
neben einander hergingen. Walberg ſchien ein Vorhaben zu<lb/>
überlegen; endlich winkte er einen Miethwagen heran und er¬<lb/>ſuchte mich, ihn zu begleiten. Wir fuhren in eine der nächſten<lb/>
und belebteſten Vorſtädte. Bei einem ſtattlichen, hell erleuch¬<lb/>
teten Kaufmannsladen ließ er halten und trat hinein. Ge¬<lb/>
raume Zeit verſtrich, bis er zurückkam. „Es iſt Alles ſo, wie<lb/>
ich es mir gedacht habe“, ſagte er beim Einſteigen mehr zu<lb/>ſich ſelbſt, nachdem er dem Kutſcher ſeine Wohnung bezeichnet<lb/>
hatte. Wir legten eine ſchweigſame Fahrt zurück und als der<lb/>
Wagen hielt, ſchrak Walberg aus trübem Sinnen empor. —<lb/>„Kommen Sie mit mir hinauf“, bat er; „ich will jetzt nicht<lb/>
allein ſein.“ In ſeinem einfachen Zimmer machte er Licht,<lb/>
zündete die Spirituslampe unter dem Theekeſſel an und reichte<lb/>
mir ſchweigend ein Kiſtchen mit Cigarren. Dann ſetzte er ſich<lb/>
in einen Lehnſtuhl und blickte nachdenklich vor ſich hin. Es<lb/>
war mir, als hätte ich eine Mittheilung zu erwarten; aber<lb/></p></div></body></text></TEI>
[197/0213]
war, entfernt, und ſo hing ihr lichtbraunes Haar in feuchten
Locken und Strähnen gelöſt, über die Schultern hinab. Die
bläulichen Lippen waren weit geöffnet und große dunkle Au¬
gen ſtarrten gebrochen unter den Wimpern hervor. Der An¬
blick war zu ergreifend, als daß wir ihn hätten ertragen
können. „Die Unſelige!“ murmelte Walberg, indem er ſich,
gleich mir, ſchaudernd abwandte; „ſo weit iſt es mit ihr ge¬
kommen.“ Dann übergab er dem Wachmanne das beſchriebene
Blatt und wir traten auf die Gaſſe hinaus, wo wir ſtumm
neben einander hergingen. Walberg ſchien ein Vorhaben zu
überlegen; endlich winkte er einen Miethwagen heran und er¬
ſuchte mich, ihn zu begleiten. Wir fuhren in eine der nächſten
und belebteſten Vorſtädte. Bei einem ſtattlichen, hell erleuch¬
teten Kaufmannsladen ließ er halten und trat hinein. Ge¬
raume Zeit verſtrich, bis er zurückkam. „Es iſt Alles ſo, wie
ich es mir gedacht habe“, ſagte er beim Einſteigen mehr zu
ſich ſelbſt, nachdem er dem Kutſcher ſeine Wohnung bezeichnet
hatte. Wir legten eine ſchweigſame Fahrt zurück und als der
Wagen hielt, ſchrak Walberg aus trübem Sinnen empor. —
„Kommen Sie mit mir hinauf“, bat er; „ich will jetzt nicht
allein ſein.“ In ſeinem einfachen Zimmer machte er Licht,
zündete die Spirituslampe unter dem Theekeſſel an und reichte
mir ſchweigend ein Kiſtchen mit Cigarren. Dann ſetzte er ſich
in einen Lehnſtuhl und blickte nachdenklich vor ſich hin. Es
war mir, als hätte ich eine Mittheilung zu erwarten; aber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/213>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.