Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.Besuche, die wir uns hin und wieder abstatteten, Zuweilen So hatten wir auch einmal nach Tisch einen Gang in "Eine wahre Sünde", erwiederte er, "das frische, blühende Beſuche, die wir uns hin und wieder abſtatteten, Zuweilen So hatten wir auch einmal nach Tiſch einen Gang in „Eine wahre Sünde“, erwiederte er, „das friſche, blühende <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0210" n="194"/> Beſuche, die wir uns hin und wieder abſtatteten, Zuweilen<lb/> machten wir auch einen kleinen Ausflug in's Freie, wo ihm<lb/> dann, von der Natur angeregt, das Herz vollends aufging<lb/> und ſein Geiſt geradezu Offenbarungen ausſtrahlte. —</p><lb/> <p>So hatten wir auch einmal nach Tiſch einen Gang in<lb/> den Prater unternommen. Es war ein milder, ſonniger Oc¬<lb/> tobertag und in der endloſen Hauptallee mit ihren alten, ſich<lb/> eben leiſe entblätternden Kaſtanienbäumen wogte ein mächtiger<lb/> Menſchenſtrom. Eine Zeitlang ſchlenderten wir ſo im Ge¬<lb/> wühle hin und ließen die ſchönen ſtolzen Frauen zu Roß und<lb/> Wagen an uns vorüberfliegen. Nach und nach aber fühlten<lb/> wir uns beengt und gedrückt und ſchlugen, quer über die Wieſen<lb/> ſchreitend, den Weg nach den einſameren Partien der ſtimmungs¬<lb/> vollen Aulandſchaft ein. Man hatte damals bereits begonnen,<lb/> hier und dort einige jener herrlichen Baumgruppen zu fällen,<lb/> welche in der nächſten Nähe einer großen Reſidenz ihres Glei¬<lb/> chen ſuchen dürften, und hatte ſo den Anfang zu den Verwü¬<lb/> ſtungen gemacht, die ſpäter zur Zeit der Weltausſtellung ſo<lb/> große Ausdehnung gewannen. Vor zwei rieſigen Buchen, welche<lb/> mit ihren herbſtlich gefärbten Wipfeln auf dem Boden lagen,<lb/> blieben wir ſtehen. „Wie ſchade um die prachtvollen Bäume“,<lb/> ſagte ich.</p><lb/> <p>„Eine wahre Sünde“, erwiederte er, „das friſche, blühende<lb/> Leben zu verwüſten. Ich ſehe ſchon im Geiſte die ganze lieb¬<lb/> liche Wildniß ausgerodet, das letzte Stückchen Grün vertilgt<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [194/0210]
Beſuche, die wir uns hin und wieder abſtatteten, Zuweilen
machten wir auch einen kleinen Ausflug in's Freie, wo ihm
dann, von der Natur angeregt, das Herz vollends aufging
und ſein Geiſt geradezu Offenbarungen ausſtrahlte. —
So hatten wir auch einmal nach Tiſch einen Gang in
den Prater unternommen. Es war ein milder, ſonniger Oc¬
tobertag und in der endloſen Hauptallee mit ihren alten, ſich
eben leiſe entblätternden Kaſtanienbäumen wogte ein mächtiger
Menſchenſtrom. Eine Zeitlang ſchlenderten wir ſo im Ge¬
wühle hin und ließen die ſchönen ſtolzen Frauen zu Roß und
Wagen an uns vorüberfliegen. Nach und nach aber fühlten
wir uns beengt und gedrückt und ſchlugen, quer über die Wieſen
ſchreitend, den Weg nach den einſameren Partien der ſtimmungs¬
vollen Aulandſchaft ein. Man hatte damals bereits begonnen,
hier und dort einige jener herrlichen Baumgruppen zu fällen,
welche in der nächſten Nähe einer großen Reſidenz ihres Glei¬
chen ſuchen dürften, und hatte ſo den Anfang zu den Verwü¬
ſtungen gemacht, die ſpäter zur Zeit der Weltausſtellung ſo
große Ausdehnung gewannen. Vor zwei rieſigen Buchen, welche
mit ihren herbſtlich gefärbten Wipfeln auf dem Boden lagen,
blieben wir ſtehen. „Wie ſchade um die prachtvollen Bäume“,
ſagte ich.
„Eine wahre Sünde“, erwiederte er, „das friſche, blühende
Leben zu verwüſten. Ich ſehe ſchon im Geiſte die ganze lieb¬
liche Wildniß ausgerodet, das letzte Stückchen Grün vertilgt
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