gehenden. Es gibt ganz nette Gesichter unter den hiesigen Mädchen. Auch fehlt es nicht an Besuch von Cameraden, und nach der Retraite wird gewöhnlich ein kleines Spiel arran¬ girt. Hier oben aber ist man von aller Welt abgeschnitten, wie auf einer wüsten Insel. Du hast es übrigens," setzte er nach kurzem Besinnen hinzu, "doch etwas besser getroffen, als ich. Denn morgen ist Sonntag, und da kommen wenigstens Leute in die Messe herauf."
"In die Messe? Ist denn hier eine Kirche?" fragte ich überrascht.
"Allerdings. Etwa tausend Schritte von hier, gegen die Moldau zu," sagte er, während ich unwillkürlich nach dem Innern des Forts blickte. Aber die Aussicht war durch eine nahe, ziemlich hohe Schanze benommen, hinter welcher nur die Wetterstangen und spitzen Bedachungen der Pulvermagazine hervorragten. "Um sie zu sehen," fuhr der Baron fort, "müßtest Du dort auf die Schauze hinauf. Dazu hast Du später Muße genug. Ein kleiner Friedhof ist auch dabei, wo ich mich gleich würde begraben lassen, wenn ich beständig hier oben leben sollte, wie der Pfaff', der ganz allein in einer Art Kloster neben der Kirche wohnt. Ein seltsamer Kauz! Man muß lachen, wenn man ihn mit seinen langen Beinen und der schlenkernden Kutte, beständig ein Buch unter dem Arm, ein¬ hersteigen sieht. Dabei schaut er immer in's Blaue, und thut, als bemerke er Einen gar nicht, wenn man an ihm vorüber kommt."
gehenden. Es gibt ganz nette Geſichter unter den hieſigen Mädchen. Auch fehlt es nicht an Beſuch von Cameraden, und nach der Retraite wird gewöhnlich ein kleines Spiel arran¬ girt. Hier oben aber iſt man von aller Welt abgeſchnitten, wie auf einer wüſten Inſel. Du haſt es übrigens,“ ſetzte er nach kurzem Beſinnen hinzu, „doch etwas beſſer getroffen, als ich. Denn morgen iſt Sonntag, und da kommen wenigſtens Leute in die Meſſe herauf.“
„In die Meſſe? Iſt denn hier eine Kirche?“ fragte ich überraſcht.
„Allerdings. Etwa tauſend Schritte von hier, gegen die Moldau zu,“ ſagte er, während ich unwillkürlich nach dem Innern des Forts blickte. Aber die Ausſicht war durch eine nahe, ziemlich hohe Schanze benommen, hinter welcher nur die Wetterſtangen und ſpitzen Bedachungen der Pulvermagazine hervorragten. „Um ſie zu ſehen,“ fuhr der Baron fort, „müßteſt Du dort auf die Schauze hinauf. Dazu haſt Du ſpäter Muße genug. Ein kleiner Friedhof iſt auch dabei, wo ich mich gleich würde begraben laſſen, wenn ich beſtändig hier oben leben ſollte, wie der Pfaff', der ganz allein in einer Art Kloſter neben der Kirche wohnt. Ein ſeltſamer Kauz! Man muß lachen, wenn man ihn mit ſeinen langen Beinen und der ſchlenkernden Kutte, beſtändig ein Buch unter dem Arm, ein¬ herſteigen ſieht. Dabei ſchaut er immer in's Blaue, und thut, als bemerke er Einen gar nicht, wenn man an ihm vorüber kommt.“
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gehenden. Es gibt ganz nette Geſichter unter den hieſigen
Mädchen. Auch fehlt es nicht an Beſuch von Cameraden,
und nach der Retraite wird gewöhnlich ein kleines Spiel arran¬
girt. Hier oben aber iſt man von aller Welt abgeſchnitten,
wie auf einer wüſten Inſel. Du haſt es übrigens,“ ſetzte er
nach kurzem Beſinnen hinzu, „doch etwas beſſer getroffen, als
ich. Denn morgen iſt Sonntag, und da kommen wenigſtens
Leute in die Meſſe herauf.“
„In die Meſſe? Iſt denn hier eine Kirche?“ fragte ich
überraſcht.
„Allerdings. Etwa tauſend Schritte von hier, gegen die
Moldau zu,“ ſagte er, während ich unwillkürlich nach dem
Innern des Forts blickte. Aber die Ausſicht war durch eine
nahe, ziemlich hohe Schanze benommen, hinter welcher nur die
Wetterſtangen und ſpitzen Bedachungen der Pulvermagazine
hervorragten. „Um ſie zu ſehen,“ fuhr der Baron fort, „müßteſt
Du dort auf die Schauze hinauf. Dazu haſt Du ſpäter Muße
genug. Ein kleiner Friedhof iſt auch dabei, wo ich mich gleich
würde begraben laſſen, wenn ich beſtändig hier oben leben
ſollte, wie der Pfaff', der ganz allein in einer Art Kloſter
neben der Kirche wohnt. Ein ſeltſamer Kauz! Man muß
lachen, wenn man ihn mit ſeinen langen Beinen und der
ſchlenkernden Kutte, beſtändig ein Buch unter dem Arm, ein¬
herſteigen ſieht. Dabei ſchaut er immer in's Blaue, und thut, als
bemerke er Einen gar nicht, wenn man an ihm vorüber kommt.“
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/20>, abgerufen am 16.02.2025.
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