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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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und Tertschka zu begehrn im Begriffe stand. Fortjagen wollte
man ihn und sie auseinander reißen, die so tief und innig
verbunden waren? Wer durfte das? Niemand! Und je
länger er darüber nachdachte, desto mehr empörte sich seine
sonst so verschüchterte und duldende Seele und eine hehre Kraft,
ein heiliger Muth loh'ten darin auf, jeder Macht der Erde
entgegen zu treten, die sich solcher Gewaltthat unterfinge.
Seine unscheinbaren Züge nahmen allmälig den Ausdruck fester
Entschlossenheit an und seine lichten Augen funkelten wunder¬
sam. Endlich erhob er sich und schritt, während ihm die An¬
dern verwundert nachsahen, zu Tertschka empor. Die saß
da und weinte.

"Weine nicht, Resi", sagte er und seine Stimme klang
ernst und tief.

Sie antwortete nicht.

Er hob ihr sanft das Haupt empor. Sie schluchzte noch
lauter.

"Weine nicht", wiederholte er. "Es hat Alles so kom¬
men müssen. Aber es ist gut; wir wissen nun, was wir zu
thun haben."

Sie sah vor sich hin.

"Er hat mich fortgejagt; ich muß gehen -- und Du
gehst mit mir."

Es war, als hörte sie ihn nicht.

und Tertſchka zu begehrn im Begriffe ſtand. Fortjagen wollte
man ihn und ſie auseinander reißen, die ſo tief und innig
verbunden waren? Wer durfte das? Niemand! Und je
länger er darüber nachdachte, deſto mehr empörte ſich ſeine
ſonſt ſo verſchüchterte und duldende Seele und eine hehre Kraft,
ein heiliger Muth loh'ten darin auf, jeder Macht der Erde
entgegen zu treten, die ſich ſolcher Gewaltthat unterfinge.
Seine unſcheinbaren Züge nahmen allmälig den Ausdruck feſter
Entſchloſſenheit an und ſeine lichten Augen funkelten wunder¬
ſam. Endlich erhob er ſich und ſchritt, während ihm die An¬
dern verwundert nachſahen, zu Tertſchka empor. Die ſaß
da und weinte.

„Weine nicht, Reſi“, ſagte er und ſeine Stimme klang
ernſt und tief.

Sie antwortete nicht.

Er hob ihr ſanft das Haupt empor. Sie ſchluchzte noch
lauter.

„Weine nicht“, wiederholte er. „Es hat Alles ſo kom¬
men müſſen. Aber es iſt gut; wir wiſſen nun, was wir zu
thun haben.“

Sie ſah vor ſich hin.

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[165/0181] und Tertſchka zu begehrn im Begriffe ſtand. Fortjagen wollte man ihn und ſie auseinander reißen, die ſo tief und innig verbunden waren? Wer durfte das? Niemand! Und je länger er darüber nachdachte, deſto mehr empörte ſich ſeine ſonſt ſo verſchüchterte und duldende Seele und eine hehre Kraft, ein heiliger Muth loh'ten darin auf, jeder Macht der Erde entgegen zu treten, die ſich ſolcher Gewaltthat unterfinge. Seine unſcheinbaren Züge nahmen allmälig den Ausdruck feſter Entſchloſſenheit an und ſeine lichten Augen funkelten wunder¬ ſam. Endlich erhob er ſich und ſchritt, während ihm die An¬ dern verwundert nachſahen, zu Tertſchka empor. Die ſaß da und weinte. „Weine nicht, Reſi“, ſagte er und ſeine Stimme klang ernſt und tief. Sie antwortete nicht. Er hob ihr ſanft das Haupt empor. Sie ſchluchzte noch lauter. „Weine nicht“, wiederholte er. „Es hat Alles ſo kom¬ men müſſen. Aber es iſt gut; wir wiſſen nun, was wir zu thun haben.“ Sie ſah vor ſich hin. „Er hat mich fortgejagt; ich muß gehen — und Du gehſt mit mir.“ Es war, als hörte ſie ihn nicht.

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/181>, abgerufen am 25.11.2024.