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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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ergriff er Georg rückwärts beim Halse und schleuderte ihn
ein paar Schritte weit zu Boden, daß Sand und Geröll auf¬
stob. "Fahr' Deinen Schotter hinab, Du Galgenstrick, und
dann schnürst Du Deinen Bündel und gehst! Wenn Du mir
noch einmal unter die Augen kommst, so schlag' ich Dich krumm
und lahm!' Bei diesen Worten stieß er den mühsam sich
Aufrichtenden zu dem Schiebkarren und trieb ihn mit drohend
geschwungener Faust den Abhang hinunter. Hierauf kehrte er
zu Tertschka zurück und betrachtete sie lange mit einem bösen,
grausamen Blicke. "Mit Dir", sagte er endlich, "werd' ich
später reden." Und er ging, unverständliche Worte in sich
hinein murmelnd.

Betäubt, seiner Sinne beraubt, war Georg bei seinen
Genossen angelangt. Er hatte mechanisch den Schiebkarren
ausgeleert; dann setzte er sich auf einen Stein und blickte ge¬
dankenlos in's Weite hinaus. Der Himmel war am Morgen schon
leicht umwölkt gewesen; nun hatte sich ein trüber, grauer Tag zu¬
sammen gezogen. Herbstlicher Windhauch strich leise durch die
Wipfel der Tannen und ein feiner kalter Regen fiel auf die
Erde. Aber Georg empfand die Tropfen nicht, die scharf in
sein Antlitz schlugen. Feurige Funken tanzten vor seinen Augen
und ein heißer Schauer durchrieselte die Leere seiner Brust.
Nach und nach jedoch drängte sich das Bewußtsein der erlitte¬
nen Schmach immer mächtiger in ihm hervor und mischte sich
mit dem brennenden Gefühl des Unrechtes, das man an ihm

ergriff er Georg rückwärts beim Halſe und ſchleuderte ihn
ein paar Schritte weit zu Boden, daß Sand und Geröll auf¬
ſtob. „Fahr' Deinen Schotter hinab, Du Galgenſtrick, und
dann ſchnürſt Du Deinen Bündel und gehſt! Wenn Du mir
noch einmal unter die Augen kommſt, ſo ſchlag' ich Dich krumm
und lahm!‛ Bei dieſen Worten ſtieß er den mühſam ſich
Aufrichtenden zu dem Schiebkarren und trieb ihn mit drohend
geſchwungener Fauſt den Abhang hinunter. Hierauf kehrte er
zu Tertſchka zurück und betrachtete ſie lange mit einem böſen,
grauſamen Blicke. „Mit Dir“, ſagte er endlich, „werd' ich
ſpäter reden.“ Und er ging, unverſtändliche Worte in ſich
hinein murmelnd.

Betäubt, ſeiner Sinne beraubt, war Georg bei ſeinen
Genoſſen angelangt. Er hatte mechaniſch den Schiebkarren
ausgeleert; dann ſetzte er ſich auf einen Stein und blickte ge¬
dankenlos in's Weite hinaus. Der Himmel war am Morgen ſchon
leicht umwölkt geweſen; nun hatte ſich ein trüber, grauer Tag zu¬
ſammen gezogen. Herbſtlicher Windhauch ſtrich leiſe durch die
Wipfel der Tannen und ein feiner kalter Regen fiel auf die
Erde. Aber Georg empfand die Tropfen nicht, die ſcharf in
ſein Antlitz ſchlugen. Feurige Funken tanzten vor ſeinen Augen
und ein heißer Schauer durchrieſelte die Leere ſeiner Bruſt.
Nach und nach jedoch drängte ſich das Bewußtſein der erlitte¬
nen Schmach immer mächtiger in ihm hervor und miſchte ſich
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[164/0180] ergriff er Georg rückwärts beim Halſe und ſchleuderte ihn ein paar Schritte weit zu Boden, daß Sand und Geröll auf¬ ſtob. „Fahr' Deinen Schotter hinab, Du Galgenſtrick, und dann ſchnürſt Du Deinen Bündel und gehſt! Wenn Du mir noch einmal unter die Augen kommſt, ſo ſchlag' ich Dich krumm und lahm!‛ Bei dieſen Worten ſtieß er den mühſam ſich Aufrichtenden zu dem Schiebkarren und trieb ihn mit drohend geſchwungener Fauſt den Abhang hinunter. Hierauf kehrte er zu Tertſchka zurück und betrachtete ſie lange mit einem böſen, grauſamen Blicke. „Mit Dir“, ſagte er endlich, „werd' ich ſpäter reden.“ Und er ging, unverſtändliche Worte in ſich hinein murmelnd. Betäubt, ſeiner Sinne beraubt, war Georg bei ſeinen Genoſſen angelangt. Er hatte mechaniſch den Schiebkarren ausgeleert; dann ſetzte er ſich auf einen Stein und blickte ge¬ dankenlos in's Weite hinaus. Der Himmel war am Morgen ſchon leicht umwölkt geweſen; nun hatte ſich ein trüber, grauer Tag zu¬ ſammen gezogen. Herbſtlicher Windhauch ſtrich leiſe durch die Wipfel der Tannen und ein feiner kalter Regen fiel auf die Erde. Aber Georg empfand die Tropfen nicht, die ſcharf in ſein Antlitz ſchlugen. Feurige Funken tanzten vor ſeinen Augen und ein heißer Schauer durchrieſelte die Leere ſeiner Bruſt. Nach und nach jedoch drängte ſich das Bewußtſein der erlitte¬ nen Schmach immer mächtiger in ihm hervor und miſchte ſich mit dem brennenden Gefühl des Unrechtes, das man an ihm

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/180>, abgerufen am 25.11.2024.