die einzigen Passanten der Festungsthore. So herrscht innerhalb der Wälle gewöhnlich die tiefste Stille, die nur selten durch das Rollen eines Wagens, regelmäßig aber früh, Mittags und Abends durch den Wachetambour mit rasselnden Trommelsig¬ nalen unterbrochen wird.
Zumal im Winter ist es hier oben traurig und ausge¬ storben. Kalt und schneidend saus't der Wind um die ver¬ lassene Höhe, und mißmuthig, dicht in ihre Mäntel gehüllt, gehen die Schildwachen auf den eingeschneiten, von krächzenden Dohlen beflogenen Wällen auf und nieder. Aber wenn der Schnee in's Schmelzen kommt und die Moldau unten wieder blau und schimmernd vorüberwallt, da entfaltet sich in dieser Abgeschiedenheit ein wunderbarer Lenz. Dichter, glänzender Graswuchs überkleidet alle Gräben und Böschungen, und um die eingesunkenen Kanonenlafetten sprießen Veilchen und Pri¬ meln. Immer bunter schmückt sich der Rasen, und manche Schießscharte wird durch einen wilden, in voller Blüthe stehen¬ den Rosenbusch verdeckt, den ein langjähriger Friede hart am Gemäuer wachsen ließ. Selbst aus den Kugelpyramiden, die der Zeugwart so zierlich zu errichten versteht, sprießt und blüht es: denn der Wind hat Erdreich und Samen in den Fugen abgelagert, und nun duften und schwanken über den furchtbaren Geschossen die blaßgelbe Reseda, der dunkelblaue Rittersporn und die röthliche, langgestielte Steinnelke. Bienen und gepanzerte Käfer summen und schwirren durch die heiße,
die einzigen Paſſanten der Feſtungsthore. So herrſcht innerhalb der Wälle gewöhnlich die tiefſte Stille, die nur ſelten durch das Rollen eines Wagens, regelmäßig aber früh, Mittags und Abends durch den Wachetambour mit raſſelnden Trommelſig¬ nalen unterbrochen wird.
Zumal im Winter iſt es hier oben traurig und ausge¬ ſtorben. Kalt und ſchneidend ſauſ't der Wind um die ver¬ laſſene Höhe, und mißmuthig, dicht in ihre Mäntel gehüllt, gehen die Schildwachen auf den eingeſchneiten, von krächzenden Dohlen beflogenen Wällen auf und nieder. Aber wenn der Schnee in's Schmelzen kommt und die Moldau unten wieder blau und ſchimmernd vorüberwallt, da entfaltet ſich in dieſer Abgeſchiedenheit ein wunderbarer Lenz. Dichter, glänzender Graswuchs überkleidet alle Gräben und Böſchungen, und um die eingeſunkenen Kanonenlafetten ſprießen Veilchen und Pri¬ meln. Immer bunter ſchmückt ſich der Raſen, und manche Schießſcharte wird durch einen wilden, in voller Blüthe ſtehen¬ den Roſenbuſch verdeckt, den ein langjähriger Friede hart am Gemäuer wachſen ließ. Selbſt aus den Kugelpyramiden, die der Zeugwart ſo zierlich zu errichten verſteht, ſprießt und blüht es: denn der Wind hat Erdreich und Samen in den Fugen abgelagert, und nun duften und ſchwanken über den furchtbaren Geſchoſſen die blaßgelbe Reſeda, der dunkelblaue Ritterſporn und die röthliche, langgeſtielte Steinnelke. Bienen und gepanzerte Käfer ſummen und ſchwirren durch die heiße,
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die einzigen Paſſanten der Feſtungsthore. So herrſcht innerhalb
der Wälle gewöhnlich die tiefſte Stille, die nur ſelten durch das
Rollen eines Wagens, regelmäßig aber früh, Mittags und
Abends durch den Wachetambour mit raſſelnden Trommelſig¬
nalen unterbrochen wird.
Zumal im Winter iſt es hier oben traurig und ausge¬
ſtorben. Kalt und ſchneidend ſauſ't der Wind um die ver¬
laſſene Höhe, und mißmuthig, dicht in ihre Mäntel gehüllt,
gehen die Schildwachen auf den eingeſchneiten, von krächzenden
Dohlen beflogenen Wällen auf und nieder. Aber wenn der
Schnee in's Schmelzen kommt und die Moldau unten wieder
blau und ſchimmernd vorüberwallt, da entfaltet ſich in dieſer
Abgeſchiedenheit ein wunderbarer Lenz. Dichter, glänzender
Graswuchs überkleidet alle Gräben und Böſchungen, und um
die eingeſunkenen Kanonenlafetten ſprießen Veilchen und Pri¬
meln. Immer bunter ſchmückt ſich der Raſen, und manche
Schießſcharte wird durch einen wilden, in voller Blüthe ſtehen¬
den Roſenbuſch verdeckt, den ein langjähriger Friede hart am
Gemäuer wachſen ließ. Selbſt aus den Kugelpyramiden, die
der Zeugwart ſo zierlich zu errichten verſteht, ſprießt und
blüht es: denn der Wind hat Erdreich und Samen in den
Fugen abgelagert, und nun duften und ſchwanken über den
furchtbaren Geſchoſſen die blaßgelbe Reſeda, der dunkelblaue
Ritterſporn und die röthliche, langgeſtielte Steinnelke. Bienen
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/18>, abgerufen am 11.12.2024.
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