auch, weil wohl Jeder den Zauber der Liebe an sich selbst erfahren hat und so im Stande ist, sich das Glück Georgs und Tertschkas nach seinem eigenen Herzen auszumalen. Frei¬ lich mußten sie dieses Glück scheu und ängstlich geheim halten wie ein Verbrechen; aber es lebte und blühte desto schöner in der Tiefe ihres Inneren fort und bei der angeborenen und lang geübten Begnügsamkeit ihres Wesens waren sie zufrieden, wenn sie sich des Morgens, Mittags und Abends verstohlen entgegen lächeln oder zu einem flüchtigen Händedruck an einander vor¬ überstreifen konnten. Auch schien es, als ob der Aufseher immer weniger auf sie achte, daher sich ihre Besorgniß, er könnte vielleicht doch von ihrem gemeinsamen Gange nach Schottwien Kenntniß oder Vermuthung haben, mehr und mehr verlor. Ja, Georg wagte sich sogar, wenn er, um Schotter zu holen, mit seinem Schiebkarren nach dem Steinbruch mußte, manchmal rasch zu Tertschka hinauf, wo dann den Liebenden in einer kurzen Umarmung die Welt versank. In einem sol¬ chen Augenblick jedoch erschallten plötzlich nahende Tritte und als sie erschrocken aus einander fuhren, sahen sie den Aufseher, der mit hohn- und wuthverzerrtem Antlitz hinter ihnen stand. "Hab' ich Euch, Ihr Racker!" schrie er. "So befolgt Ihr mein Gebot und meint, ich merke Euer Treiben nicht! Ich wußte recht gut, daß Ihr letzthin den ganzen Sonntag mit einander herumgezogen seid; aber ich wollt' Euch auf frischer That ertappen, und jetzt sollt Ihr mir's büßen!" Und damit
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auch, weil wohl Jeder den Zauber der Liebe an ſich ſelbſt erfahren hat und ſo im Stande iſt, ſich das Glück Georgs und Tertſchkas nach ſeinem eigenen Herzen auszumalen. Frei¬ lich mußten ſie dieſes Glück ſcheu und ängſtlich geheim halten wie ein Verbrechen; aber es lebte und blühte deſto ſchöner in der Tiefe ihres Inneren fort und bei der angeborenen und lang geübten Begnügſamkeit ihres Weſens waren ſie zufrieden, wenn ſie ſich des Morgens, Mittags und Abends verſtohlen entgegen lächeln oder zu einem flüchtigen Händedruck an einander vor¬ überſtreifen konnten. Auch ſchien es, als ob der Aufſeher immer weniger auf ſie achte, daher ſich ihre Beſorgniß, er könnte vielleicht doch von ihrem gemeinſamen Gange nach Schottwien Kenntniß oder Vermuthung haben, mehr und mehr verlor. Ja, Georg wagte ſich ſogar, wenn er, um Schotter zu holen, mit ſeinem Schiebkarren nach dem Steinbruch mußte, manchmal raſch zu Tertſchka hinauf, wo dann den Liebenden in einer kurzen Umarmung die Welt verſank. In einem ſol¬ chen Augenblick jedoch erſchallten plötzlich nahende Tritte und als ſie erſchrocken aus einander fuhren, ſahen ſie den Aufſeher, der mit hohn- und wuthverzerrtem Antlitz hinter ihnen ſtand. „Hab' ich Euch, Ihr Racker!“ ſchrie er. „So befolgt Ihr mein Gebot und meint, ich merke Euer Treiben nicht! Ich wußte recht gut, daß Ihr letzthin den ganzen Sonntag mit einander herumgezogen ſeid; aber ich wollt' Euch auf friſcher That ertappen, und jetzt ſollt Ihr mir's büßen!“ Und damit
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auch, weil wohl Jeder den Zauber der Liebe an ſich ſelbſt
erfahren hat und ſo im Stande iſt, ſich das Glück Georgs
und Tertſchkas nach ſeinem eigenen Herzen auszumalen. Frei¬
lich mußten ſie dieſes Glück ſcheu und ängſtlich geheim halten
wie ein Verbrechen; aber es lebte und blühte deſto ſchöner in
der Tiefe ihres Inneren fort und bei der angeborenen und lang
geübten Begnügſamkeit ihres Weſens waren ſie zufrieden, wenn
ſie ſich des Morgens, Mittags und Abends verſtohlen entgegen
lächeln oder zu einem flüchtigen Händedruck an einander vor¬
überſtreifen konnten. Auch ſchien es, als ob der Aufſeher
immer weniger auf ſie achte, daher ſich ihre Beſorgniß, er
könnte vielleicht doch von ihrem gemeinſamen Gange nach
Schottwien Kenntniß oder Vermuthung haben, mehr und mehr
verlor. Ja, Georg wagte ſich ſogar, wenn er, um Schotter
zu holen, mit ſeinem Schiebkarren nach dem Steinbruch mußte,
manchmal raſch zu Tertſchka hinauf, wo dann den Liebenden
in einer kurzen Umarmung die Welt verſank. In einem ſol¬
chen Augenblick jedoch erſchallten plötzlich nahende Tritte und
als ſie erſchrocken aus einander fuhren, ſahen ſie den Aufſeher,
der mit hohn- und wuthverzerrtem Antlitz hinter ihnen ſtand.
„Hab' ich Euch, Ihr Racker!“ ſchrie er. „So befolgt Ihr
mein Gebot und meint, ich merke Euer Treiben nicht! Ich
wußte recht gut, daß Ihr letzthin den ganzen Sonntag mit
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/179>, abgerufen am 25.11.2024.
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