trank, füllte es wieder und kehrte zurück. Das Brod lag noch immer unberührt neben Georg. Aber das Wasser nahm er. "Ich danke Dir", sagte er innig, nachdem er getrunken hatte.
"Weßhalb? Ich thu's ja gern. -- Aber jetzt iß", fuhr sie, sich wieder setzend, mit sanftem Drängen fort. "Von mir kannst Du's schon nehmen."
Er langte verschämt nach dem Brode. "Du hast gewiß im Leben auch schon viel Noth gelitten, weil Du so gut bist", sagte er, indem er, ohne sie anzusehen, ein Stückchen weg¬ brach. --
"Ja, das hab' ich. Und ich spür' auch jetzt noch oft genug, wie weh der Hunger thut."
Es war, als blieb' ihm der Bissen im Halse stecken. "Auch jetzt noch?" fragte er endlich. "Wird denn die Arbeit gar so schlecht bezahlt?"
"Mir wird sie gar nicht bezahlt."
"Was? Du bekommst keinen Taglohn?"
"Nein; den behält der Aufseher."
"Der Aufseher?"
"Er ist mein Stiefvater."
"Dein Stiefvater --" wiederholte er, noch immer ganz gedankenlos vor Erstaunen.
"Ja; mein rechter ist bei der Arbeit verunglückt, als ich noch ganz klein war; abstürzende Erde hat ihn verschüttet.
trank, füllte es wieder und kehrte zurück. Das Brod lag noch immer unberührt neben Georg. Aber das Waſſer nahm er. „Ich danke Dir“, ſagte er innig, nachdem er getrunken hatte.
„Weßhalb? Ich thu's ja gern. — Aber jetzt iß“, fuhr ſie, ſich wieder ſetzend, mit ſanftem Drängen fort. „Von mir kannſt Du's ſchon nehmen.“
Er langte verſchämt nach dem Brode. „Du haſt gewiß im Leben auch ſchon viel Noth gelitten, weil Du ſo gut biſt“, ſagte er, indem er, ohne ſie anzuſehen, ein Stückchen weg¬ brach. —
„Ja, das hab' ich. Und ich ſpür' auch jetzt noch oft genug, wie weh der Hunger thut.“
Es war, als blieb' ihm der Biſſen im Halſe ſtecken. „Auch jetzt noch?“ fragte er endlich. „Wird denn die Arbeit gar ſo ſchlecht bezahlt?“
„Mir wird ſie gar nicht bezahlt.“
„Was? Du bekommſt keinen Taglohn?“
„Nein; den behält der Aufſeher.“
„Der Aufſeher?“
„Er iſt mein Stiefvater.“
„Dein Stiefvater —“ wiederholte er, noch immer ganz gedankenlos vor Erſtaunen.
„Ja; mein rechter iſt bei der Arbeit verunglückt, als ich noch ganz klein war; abſtürzende Erde hat ihn verſchüttet.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0156"n="140"/>
trank, füllte es wieder und kehrte zurück. Das Brod lag<lb/>
noch immer unberührt neben Georg. Aber das Waſſer nahm<lb/>
er. „Ich danke Dir“, ſagte er innig, nachdem er getrunken<lb/>
hatte.</p><lb/><p>„Weßhalb? Ich thu's ja gern. — Aber jetzt iß“, fuhr<lb/>ſie, ſich wieder ſetzend, mit ſanftem Drängen fort. „Von mir<lb/>
kannſt Du's ſchon nehmen.“</p><lb/><p>Er langte verſchämt nach dem Brode. „Du haſt gewiß<lb/>
im Leben auch ſchon viel Noth gelitten, weil Du ſo gut biſt“,<lb/>ſagte er, indem er, ohne ſie anzuſehen, ein Stückchen weg¬<lb/>
brach. —</p><lb/><p>„Ja, das hab' ich. Und ich ſpür' auch jetzt noch oft<lb/>
genug, wie weh der Hunger thut.“</p><lb/><p>Es war, als blieb' ihm der Biſſen im Halſe ſtecken.<lb/>„Auch jetzt noch?“ fragte er endlich. „Wird denn die Arbeit<lb/>
gar ſo ſchlecht bezahlt?“</p><lb/><p>„Mir wird ſie gar nicht bezahlt.“</p><lb/><p>„Was? Du bekommſt keinen Taglohn?“</p><lb/><p>„Nein; den behält der Aufſeher.“</p><lb/><p>„Der Aufſeher?“</p><lb/><p>„Er iſt mein Stiefvater.“</p><lb/><p>„Dein Stiefvater —“ wiederholte er, noch immer ganz<lb/>
gedankenlos vor Erſtaunen.</p><lb/><p>„Ja; mein rechter iſt bei der Arbeit verunglückt, als ich<lb/>
noch ganz klein war; abſtürzende Erde hat ihn verſchüttet.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[140/0156]
trank, füllte es wieder und kehrte zurück. Das Brod lag
noch immer unberührt neben Georg. Aber das Waſſer nahm
er. „Ich danke Dir“, ſagte er innig, nachdem er getrunken
hatte.
„Weßhalb? Ich thu's ja gern. — Aber jetzt iß“, fuhr
ſie, ſich wieder ſetzend, mit ſanftem Drängen fort. „Von mir
kannſt Du's ſchon nehmen.“
Er langte verſchämt nach dem Brode. „Du haſt gewiß
im Leben auch ſchon viel Noth gelitten, weil Du ſo gut biſt“,
ſagte er, indem er, ohne ſie anzuſehen, ein Stückchen weg¬
brach. —
„Ja, das hab' ich. Und ich ſpür' auch jetzt noch oft
genug, wie weh der Hunger thut.“
Es war, als blieb' ihm der Biſſen im Halſe ſtecken.
„Auch jetzt noch?“ fragte er endlich. „Wird denn die Arbeit
gar ſo ſchlecht bezahlt?“
„Mir wird ſie gar nicht bezahlt.“
„Was? Du bekommſt keinen Taglohn?“
„Nein; den behält der Aufſeher.“
„Der Aufſeher?“
„Er iſt mein Stiefvater.“
„Dein Stiefvater —“ wiederholte er, noch immer ganz
gedankenlos vor Erſtaunen.
„Ja; mein rechter iſt bei der Arbeit verunglückt, als ich
noch ganz klein war; abſtürzende Erde hat ihn verſchüttet.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/156>, abgerufen am 20.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.