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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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des Suezcanals und dem Durchstich des Mont Cenis noch
immer nicht ihre kühnste Bethätigung gefunden. An Eines
aber, das kann man zuversichtlich annehmen, werden die We¬
nigsten gedacht haben: an die Tausende und aber Tausende
von Menschen, welche im Schweiße ihres Angesichtes, allen
Fährlichkeiten preisgegeben, Felsen gesprengt, Steinblöcke ge¬
wälzt, Abgründe überbrückt und so recht eigentlich jene geprie¬
sene Verkehrsstraße geschaffen, auf welcher Du, freundlicher
Leser, wenn Du gleich mir in der unruhvollen, staubdurch¬
wirbelten Hauptstadt an der Donau lebst, fast so rasch wie
Dein Gedanke an den Strand der blauen Adria versetzt wer¬
den kannst. Von zweien solcher armer Menschen, welche seit
jeher, ohne daß ihnen selbst bis jetzt die Segnungen des Fort¬
schrittes zu Theil geworden wären, treulich mitgeholfen bei der
großen Culturarbeit der Völker, will ich nun eine kleine Ge¬
schichte erzählen. Nicht etwa, um das harte Loos dieser Parias
der Gesellschaft, die unsere Dome und Paläste, unsere Unter¬
richtsanstalten und Kunstinstitute bauen, in grellen Farben zu
schildern oder darzuthun, welche Rolle der sogenannte fünfte
Stand dereinst noch im Laufe der Begebenheiten zu spielen
berufen sein dürfte; ein Unternehmen, das der Dichter, wie
billig, dem Socialpolitiker überläßt: sondern nur, um ein
schlichtes Lebensbild aus der großen Masse Derjenigen festzu¬
halten, deren Dasein, von schweren körperlichen Mühen über¬
bürdet, im Kampfe um das tägliche Stück Brod meist ungekannt

des Suezcanals und dem Durchſtich des Mont Cenis noch
immer nicht ihre kühnſte Bethätigung gefunden. An Eines
aber, das kann man zuverſichtlich annehmen, werden die We¬
nigſten gedacht haben: an die Tauſende und aber Tauſende
von Menſchen, welche im Schweiße ihres Angeſichtes, allen
Fährlichkeiten preisgegeben, Felſen geſprengt, Steinblöcke ge¬
wälzt, Abgründe überbrückt und ſo recht eigentlich jene geprie¬
ſene Verkehrsſtraße geſchaffen, auf welcher Du, freundlicher
Leſer, wenn Du gleich mir in der unruhvollen, ſtaubdurch¬
wirbelten Hauptſtadt an der Donau lebſt, faſt ſo raſch wie
Dein Gedanke an den Strand der blauen Adria verſetzt wer¬
den kannſt. Von zweien ſolcher armer Menſchen, welche ſeit
jeher, ohne daß ihnen ſelbſt bis jetzt die Segnungen des Fort¬
ſchrittes zu Theil geworden wären, treulich mitgeholfen bei der
großen Culturarbeit der Völker, will ich nun eine kleine Ge¬
ſchichte erzählen. Nicht etwa, um das harte Loos dieſer Parias
der Geſellſchaft, die unſere Dome und Paläſte, unſere Unter¬
richtsanſtalten und Kunſtinſtitute bauen, in grellen Farben zu
ſchildern oder darzuthun, welche Rolle der ſogenannte fünfte
Stand dereinſt noch im Laufe der Begebenheiten zu ſpielen
berufen ſein dürfte; ein Unternehmen, das der Dichter, wie
billig, dem Socialpolitiker überläßt: ſondern nur, um ein
ſchlichtes Lebensbild aus der großen Maſſe Derjenigen feſtzu¬
halten, deren Daſein, von ſchweren körperlichen Mühen über¬
bürdet, im Kampfe um das tägliche Stück Brod meiſt ungekannt

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[128/0144] des Suezcanals und dem Durchſtich des Mont Cenis noch immer nicht ihre kühnſte Bethätigung gefunden. An Eines aber, das kann man zuverſichtlich annehmen, werden die We¬ nigſten gedacht haben: an die Tauſende und aber Tauſende von Menſchen, welche im Schweiße ihres Angeſichtes, allen Fährlichkeiten preisgegeben, Felſen geſprengt, Steinblöcke ge¬ wälzt, Abgründe überbrückt und ſo recht eigentlich jene geprie¬ ſene Verkehrsſtraße geſchaffen, auf welcher Du, freundlicher Leſer, wenn Du gleich mir in der unruhvollen, ſtaubdurch¬ wirbelten Hauptſtadt an der Donau lebſt, faſt ſo raſch wie Dein Gedanke an den Strand der blauen Adria verſetzt wer¬ den kannſt. Von zweien ſolcher armer Menſchen, welche ſeit jeher, ohne daß ihnen ſelbſt bis jetzt die Segnungen des Fort¬ ſchrittes zu Theil geworden wären, treulich mitgeholfen bei der großen Culturarbeit der Völker, will ich nun eine kleine Ge¬ ſchichte erzählen. Nicht etwa, um das harte Loos dieſer Parias der Geſellſchaft, die unſere Dome und Paläſte, unſere Unter¬ richtsanſtalten und Kunſtinſtitute bauen, in grellen Farben zu ſchildern oder darzuthun, welche Rolle der ſogenannte fünfte Stand dereinſt noch im Laufe der Begebenheiten zu ſpielen berufen ſein dürfte; ein Unternehmen, das der Dichter, wie billig, dem Socialpolitiker überläßt: ſondern nur, um ein ſchlichtes Lebensbild aus der großen Maſſe Derjenigen feſtzu¬ halten, deren Daſein, von ſchweren körperlichen Mühen über¬ bürdet, im Kampfe um das tägliche Stück Brod meiſt ungekannt

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/144>, abgerufen am 24.11.2024.