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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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Vorfall. Ich vernahm, wie man darüber scherzte und lachte;
als ich jedoch später hinaustrat, fand ich Marianne nicht mehr
unter den Anwesenden. Es hieß, sie sei nach Hause ge¬
gangen, weil sie noch immer heftige Schmerzen empfunden habe.


20. Juli.

Erspare Dir doch Deine langen Episteln, Theuerster, voll
von Zweifeln an meiner gerühmten Entsagungskraft und son¬
stigen Besorgnissen! Die Gefahr, von der Du mich und die
junge Frau bedroht siehst, ist im Vorüberziehen. Und zwar
hat das Schicksal selbst Deine Rolle übernommen und, immer
mächtiger als wir armen Menschenkinder, sich nicht bloß auf
Ermahnungen und weise Rathschläge beschränkt, sondern gleich
-- nicht etwa mit rauher, nein: mit liebender Hand einge¬
griffen.

Du erinnerst Dich, daß ich vor zwei Jahren den Sommer
im südlichen Böhmen bei meinem Jugendfreunde Robert zu¬
gebracht habe, der seit dem letzten Feldzuge mit durchschossener
Brust in fremder Erde vermodert. Wenn Du Dir die Mühe
nehmen und meine Briefe aus jener Zeit hervorsuchen willst,
so wird Dir daraus das grüne, freundliche Moldauthal, die
herrliche Birken- und Tannenpracht des Böhmerwaldes ent¬
gegentreten und das alte Stammschloß der Rosenberge, auf

Vorfall. Ich vernahm, wie man darüber ſcherzte und lachte;
als ich jedoch ſpäter hinaustrat, fand ich Marianne nicht mehr
unter den Anweſenden. Es hieß, ſie ſei nach Hauſe ge¬
gangen, weil ſie noch immer heftige Schmerzen empfunden habe.


20. Juli.

Erſpare Dir doch Deine langen Epiſteln, Theuerſter, voll
von Zweifeln an meiner gerühmten Entſagungskraft und ſon¬
ſtigen Beſorgniſſen! Die Gefahr, von der Du mich und die
junge Frau bedroht ſiehſt, iſt im Vorüberziehen. Und zwar
hat das Schickſal ſelbſt Deine Rolle übernommen und, immer
mächtiger als wir armen Menſchenkinder, ſich nicht bloß auf
Ermahnungen und weiſe Rathſchläge beſchränkt, ſondern gleich
— nicht etwa mit rauher, nein: mit liebender Hand einge¬
griffen.

Du erinnerſt Dich, daß ich vor zwei Jahren den Sommer
im ſüdlichen Böhmen bei meinem Jugendfreunde Robert zu¬
gebracht habe, der ſeit dem letzten Feldzuge mit durchſchoſſener
Bruſt in fremder Erde vermodert. Wenn Du Dir die Mühe
nehmen und meine Briefe aus jener Zeit hervorſuchen willſt,
ſo wird Dir daraus das grüne, freundliche Moldauthal, die
herrliche Birken- und Tannenpracht des Böhmerwaldes ent¬
gegentreten und das alte Stammſchloß der Roſenberge, auf

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[107/0123] Vorfall. Ich vernahm, wie man darüber ſcherzte und lachte; als ich jedoch ſpäter hinaustrat, fand ich Marianne nicht mehr unter den Anweſenden. Es hieß, ſie ſei nach Hauſe ge¬ gangen, weil ſie noch immer heftige Schmerzen empfunden habe. 20. Juli. Erſpare Dir doch Deine langen Epiſteln, Theuerſter, voll von Zweifeln an meiner gerühmten Entſagungskraft und ſon¬ ſtigen Beſorgniſſen! Die Gefahr, von der Du mich und die junge Frau bedroht ſiehſt, iſt im Vorüberziehen. Und zwar hat das Schickſal ſelbſt Deine Rolle übernommen und, immer mächtiger als wir armen Menſchenkinder, ſich nicht bloß auf Ermahnungen und weiſe Rathſchläge beſchränkt, ſondern gleich — nicht etwa mit rauher, nein: mit liebender Hand einge¬ griffen. Du erinnerſt Dich, daß ich vor zwei Jahren den Sommer im ſüdlichen Böhmen bei meinem Jugendfreunde Robert zu¬ gebracht habe, der ſeit dem letzten Feldzuge mit durchſchoſſener Bruſt in fremder Erde vermodert. Wenn Du Dir die Mühe nehmen und meine Briefe aus jener Zeit hervorſuchen willſt, ſo wird Dir daraus das grüne, freundliche Moldauthal, die herrliche Birken- und Tannenpracht des Böhmerwaldes ent¬ gegentreten und das alte Stammſchloß der Roſenberge, auf

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/123>, abgerufen am 27.11.2024.