"Vielleicht; aber nur wie es Kinder zu sein pflegen. Wahrlich, Frau Dorner, wenn man nicht wüßte, daß Sie verheirathet sind --"
"So würde man mich nicht dafür halten," vollendete sie ganz unbefangen, da ich mitten in der Rede abbrach. "Mir ist oft selbst so zu Muthe!" Und es klang wie ein leiser Seufzer durch diese Worte, die scherzhaft gesprochen waren. "Aber," fuhr sie mit plötzlichem Ernste fort, "ich muß jetzt meine Schwester aufsuchen." Und mit einer Verneigung wollte sie sich entfernen.
"Noch einen Augenblick!" bat ich. "Sie haben gestern im Pavillon Etwas vergessen." Und ich reichte ihr das grüne Band, das ich bei mir trug. Sie warf erröthend einen Blick darauf, nahm es mit einem dankenden Kopfnicken an sich und verließ, rasch und anmuthig schreitend, den Garten. --
Und nun kommt sie, wie gesagt, fast täglich; zumeist in den frühen Nachmittagsstunden. Dann sitzt sie arbeitend in der Laube oder spielt mit Erni, welche mit der Leidenschaftlich¬ keit der Kinder an ihr hängt. Auch hilft sie ihrer Schwester das Knäblein betreuen, wobei sie fast noch mehr Zärtlichkeit und Sorgfalt an den Tag legt, als die Mutter selbst. Eine wahre Freude aber ist es, wenn sie auch beim Abendessen bleibt; denn sie weiß dann durch allerlei Scherz und eine köst¬ liche Plaudergabe stets die heiterste Stimmung hervorzurufen. Nur in Gegenwart ihres Gatten, der meistens, um sie abzu¬
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„Vielleicht; aber nur wie es Kinder zu ſein pflegen. Wahrlich, Frau Dorner, wenn man nicht wüßte, daß Sie verheirathet ſind —“
„So würde man mich nicht dafür halten,“ vollendete ſie ganz unbefangen, da ich mitten in der Rede abbrach. „Mir iſt oft ſelbſt ſo zu Muthe!“ Und es klang wie ein leiſer Seufzer durch dieſe Worte, die ſcherzhaft geſprochen waren. „Aber,“ fuhr ſie mit plötzlichem Ernſte fort, „ich muß jetzt meine Schweſter aufſuchen.“ Und mit einer Verneigung wollte ſie ſich entfernen.
„Noch einen Augenblick!“ bat ich. „Sie haben geſtern im Pavillon Etwas vergeſſen.“ Und ich reichte ihr das grüne Band, das ich bei mir trug. Sie warf erröthend einen Blick darauf, nahm es mit einem dankenden Kopfnicken an ſich und verließ, raſch und anmuthig ſchreitend, den Garten. —
Und nun kommt ſie, wie geſagt, faſt täglich; zumeiſt in den frühen Nachmittagsſtunden. Dann ſitzt ſie arbeitend in der Laube oder ſpielt mit Erni, welche mit der Leidenſchaftlich¬ keit der Kinder an ihr hängt. Auch hilft ſie ihrer Schweſter das Knäblein betreuen, wobei ſie faſt noch mehr Zärtlichkeit und Sorgfalt an den Tag legt, als die Mutter ſelbſt. Eine wahre Freude aber iſt es, wenn ſie auch beim Abendeſſen bleibt; denn ſie weiß dann durch allerlei Scherz und eine köſt¬ liche Plaudergabe ſtets die heiterſte Stimmung hervorzurufen. Nur in Gegenwart ihres Gatten, der meiſtens, um ſie abzu¬
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„Vielleicht; aber nur wie es Kinder zu ſein pflegen.
Wahrlich, Frau Dorner, wenn man nicht wüßte, daß Sie
verheirathet ſind —“
„So würde man mich nicht dafür halten,“ vollendete ſie
ganz unbefangen, da ich mitten in der Rede abbrach. „Mir
iſt oft ſelbſt ſo zu Muthe!“ Und es klang wie ein leiſer
Seufzer durch dieſe Worte, die ſcherzhaft geſprochen waren.
„Aber,“ fuhr ſie mit plötzlichem Ernſte fort, „ich muß jetzt
meine Schweſter aufſuchen.“ Und mit einer Verneigung wollte
ſie ſich entfernen.
„Noch einen Augenblick!“ bat ich. „Sie haben geſtern
im Pavillon Etwas vergeſſen.“ Und ich reichte ihr das grüne
Band, das ich bei mir trug. Sie warf erröthend einen Blick
darauf, nahm es mit einem dankenden Kopfnicken an ſich und
verließ, raſch und anmuthig ſchreitend, den Garten. —
Und nun kommt ſie, wie geſagt, faſt täglich; zumeiſt in
den frühen Nachmittagsſtunden. Dann ſitzt ſie arbeitend in
der Laube oder ſpielt mit Erni, welche mit der Leidenſchaftlich¬
keit der Kinder an ihr hängt. Auch hilft ſie ihrer Schweſter
das Knäblein betreuen, wobei ſie faſt noch mehr Zärtlichkeit
und Sorgfalt an den Tag legt, als die Mutter ſelbſt. Eine
wahre Freude aber iſt es, wenn ſie auch beim Abendeſſen
bleibt; denn ſie weiß dann durch allerlei Scherz und eine köſt¬
liche Plaudergabe ſtets die heiterſte Stimmung hervorzurufen.
Nur in Gegenwart ihres Gatten, der meiſtens, um ſie abzu¬
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/115>, abgerufen am 16.07.2024.
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