und beide Paare den Garten verließen. Wir Hausgenossen verweilten noch kurze Zeit beisammen; dann gingen die Frauen mit Erni hinauf, Heidrich folgte ihnen bald und ich blieb allein zurück. Eine laue, mondlose Nacht breitete sich allmälig über die Wipfel. Geheimnißvoll schimmerten die Akazienblüthen; eine Fledermaus huschte mit leisem Fluge durch den Garten; von draußen herein scholl der Gesang fröhlich heimkehrender Menschen. Ich erhob mich und schritt langsam die verschlun¬ genen Pfade auf und nieder. Die Eindrücke des durchlebten Tages wirkten mit stiller Macht in mir nach, und es war mir, als säh' ich das weiße Kleid Mariannen's durch die Büsche leuchten und über den dunklen Rasen hinflattern. Endlich ging ich in den Pavillon, dessen Thüre nur wenig offen stand. Ein leichter Duft war im Raume verbreitet. Ich trat an das Sopha, wo die junge Frau geschlummert haben mußte; als ich mich darauf niederließ, faßte meine Hand etwas Glattes, Knisterndes: es war das Band, das sie in den Haaren ge¬ tragen. Eine süße Müdigkeit überkam mich; ich streckte mich aus -- und eh' ich mich dessen versehen hatte, war ich, die kühle, duftende Seide zwischen Hand und Wange, eingeschlafen. --
Am anderen Vormittage saß ich im Schatten der Laube. Ich hatte ein Buch vor mir; aber ich las nicht, sondern blickte hinaus in den goldenen Sonnenschein. Weiße Falter flatter¬ ten um die Blumen; ferne Glockenklänge zitterten durch die Luft; in den Zweigen des Apfelbaumes sang eine Meise, die
Saar, Novellen aus Oesterreich. 7
und beide Paare den Garten verließen. Wir Hausgenoſſen verweilten noch kurze Zeit beiſammen; dann gingen die Frauen mit Erni hinauf, Heidrich folgte ihnen bald und ich blieb allein zurück. Eine laue, mondloſe Nacht breitete ſich allmälig über die Wipfel. Geheimnißvoll ſchimmerten die Akazienblüthen; eine Fledermaus huſchte mit leiſem Fluge durch den Garten; von draußen herein ſcholl der Geſang fröhlich heimkehrender Menſchen. Ich erhob mich und ſchritt langſam die verſchlun¬ genen Pfade auf und nieder. Die Eindrücke des durchlebten Tages wirkten mit ſtiller Macht in mir nach, und es war mir, als ſäh' ich das weiße Kleid Mariannen's durch die Büſche leuchten und über den dunklen Raſen hinflattern. Endlich ging ich in den Pavillon, deſſen Thüre nur wenig offen ſtand. Ein leichter Duft war im Raume verbreitet. Ich trat an das Sopha, wo die junge Frau geſchlummert haben mußte; als ich mich darauf niederließ, faßte meine Hand etwas Glattes, Kniſterndes: es war das Band, das ſie in den Haaren ge¬ tragen. Eine ſüße Müdigkeit überkam mich; ich ſtreckte mich aus — und eh' ich mich deſſen verſehen hatte, war ich, die kühle, duftende Seide zwiſchen Hand und Wange, eingeſchlafen. —
Am anderen Vormittage ſaß ich im Schatten der Laube. Ich hatte ein Buch vor mir; aber ich las nicht, ſondern blickte hinaus in den goldenen Sonnenſchein. Weiße Falter flatter¬ ten um die Blumen; ferne Glockenklänge zitterten durch die Luft; in den Zweigen des Apfelbaumes ſang eine Meiſe, die
Saar, Novellen aus Oeſterreich. 7
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und beide Paare den Garten verließen. Wir Hausgenoſſen
verweilten noch kurze Zeit beiſammen; dann gingen die Frauen
mit Erni hinauf, Heidrich folgte ihnen bald und ich blieb allein
zurück. Eine laue, mondloſe Nacht breitete ſich allmälig über
die Wipfel. Geheimnißvoll ſchimmerten die Akazienblüthen;
eine Fledermaus huſchte mit leiſem Fluge durch den Garten;
von draußen herein ſcholl der Geſang fröhlich heimkehrender
Menſchen. Ich erhob mich und ſchritt langſam die verſchlun¬
genen Pfade auf und nieder. Die Eindrücke des durchlebten
Tages wirkten mit ſtiller Macht in mir nach, und es war mir,
als ſäh' ich das weiße Kleid Mariannen's durch die Büſche
leuchten und über den dunklen Raſen hinflattern. Endlich
ging ich in den Pavillon, deſſen Thüre nur wenig offen ſtand.
Ein leichter Duft war im Raume verbreitet. Ich trat an das
Sopha, wo die junge Frau geſchlummert haben mußte; als
ich mich darauf niederließ, faßte meine Hand etwas Glattes,
Kniſterndes: es war das Band, das ſie in den Haaren ge¬
tragen. Eine ſüße Müdigkeit überkam mich; ich ſtreckte mich
aus — und eh' ich mich deſſen verſehen hatte, war ich, die kühle,
duftende Seide zwiſchen Hand und Wange, eingeſchlafen. —
Am anderen Vormittage ſaß ich im Schatten der Laube.
Ich hatte ein Buch vor mir; aber ich las nicht, ſondern blickte
hinaus in den goldenen Sonnenſchein. Weiße Falter flatter¬
ten um die Blumen; ferne Glockenklänge zitterten durch die
Luft; in den Zweigen des Apfelbaumes ſang eine Meiſe, die
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/113>, abgerufen am 16.07.2024.
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