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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877.

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in den Erholungsstunden um mich herumspringt und zutrau¬
lich in meinen Büchern und Schriften kramt. Des Abends
pflegt sich die ganze Familie unter dem Vorsitze der alten Frau,
welche früher nur selten das Zimmer verlassen hatte, in der
Weinlaube zum Vesperbrode zu versammeln. Manchmal ge¬
selle auch ich mich dem kleinen Kreise und erfreue mich am
Anblick eines Glückes, das ich so oft für mich selbst ersehnt.
Unlängst erschien auch eine jüngere Schwester der Frau Louise;
ein hübsches, schlankes, kaum den Kinderschuhen entwachsenes
Mädchen. Ein stattlicher Jüngling, begleitete sie; er soll be¬
reits ihr Verlobter und der Sohn eines wohlhabenden Fabrikherrn
aus der Umgegend sein. Eine andere Schwester ist, wie ich höre,
in der Provinz verheirathet. -- Und so bin ich, siehst Du,
wieder schlichten Menschen nahegerückt worden, wie sie mich
stets am meisten angezogen und bei denen mir das Herz auf¬
geht, während ich der literarischen sowohl, als auch der vor¬
nehmen Welt gegenüber, eine gewisse Scheu niemals habe los
werden können.


Am 18. Juni.

Ich wollte, Du könntest jetzt den Garten sehen! Die
beiden alten Rosenbüsche am Eingang, die in den letzten Jah¬
ren nicht mehr hatten treiben wollen, scheinen plötzlich wieder

in den Erholungsſtunden um mich herumſpringt und zutrau¬
lich in meinen Büchern und Schriften kramt. Des Abends
pflegt ſich die ganze Familie unter dem Vorſitze der alten Frau,
welche früher nur ſelten das Zimmer verlaſſen hatte, in der
Weinlaube zum Vesperbrode zu verſammeln. Manchmal ge¬
ſelle auch ich mich dem kleinen Kreiſe und erfreue mich am
Anblick eines Glückes, das ich ſo oft für mich ſelbſt erſehnt.
Unlängſt erſchien auch eine jüngere Schweſter der Frau Louiſe;
ein hübſches, ſchlankes, kaum den Kinderſchuhen entwachſenes
Mädchen. Ein ſtattlicher Jüngling, begleitete ſie; er ſoll be¬
reits ihr Verlobter und der Sohn eines wohlhabenden Fabrikherrn
aus der Umgegend ſein. Eine andere Schweſter iſt, wie ich höre,
in der Provinz verheirathet. — Und ſo bin ich, ſiehſt Du,
wieder ſchlichten Menſchen nahegerückt worden, wie ſie mich
ſtets am meiſten angezogen und bei denen mir das Herz auf¬
geht, während ich der literariſchen ſowohl, als auch der vor¬
nehmen Welt gegenüber, eine gewiſſe Scheu niemals habe los
werden können.


Am 18. Juni.

Ich wollte, Du könnteſt jetzt den Garten ſehen! Die
beiden alten Roſenbüſche am Eingang, die in den letzten Jah¬
ren nicht mehr hatten treiben wollen, ſcheinen plötzlich wieder

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[86/0102] in den Erholungsſtunden um mich herumſpringt und zutrau¬ lich in meinen Büchern und Schriften kramt. Des Abends pflegt ſich die ganze Familie unter dem Vorſitze der alten Frau, welche früher nur ſelten das Zimmer verlaſſen hatte, in der Weinlaube zum Vesperbrode zu verſammeln. Manchmal ge¬ ſelle auch ich mich dem kleinen Kreiſe und erfreue mich am Anblick eines Glückes, das ich ſo oft für mich ſelbſt erſehnt. Unlängſt erſchien auch eine jüngere Schweſter der Frau Louiſe; ein hübſches, ſchlankes, kaum den Kinderſchuhen entwachſenes Mädchen. Ein ſtattlicher Jüngling, begleitete ſie; er ſoll be¬ reits ihr Verlobter und der Sohn eines wohlhabenden Fabrikherrn aus der Umgegend ſein. Eine andere Schweſter iſt, wie ich höre, in der Provinz verheirathet. — Und ſo bin ich, ſiehſt Du, wieder ſchlichten Menſchen nahegerückt worden, wie ſie mich ſtets am meiſten angezogen und bei denen mir das Herz auf¬ geht, während ich der literariſchen ſowohl, als auch der vor¬ nehmen Welt gegenüber, eine gewiſſe Scheu niemals habe los werden können. Am 18. Juni. Ich wollte, Du könnteſt jetzt den Garten ſehen! Die beiden alten Roſenbüſche am Eingang, die in den letzten Jah¬ ren nicht mehr hatten treiben wollen, ſcheinen plötzlich wieder

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Zitationshilfe: Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/102>, abgerufen am 24.11.2024.