in den Hof, und in den Garten kam die Kleine gelaufen, wo sie alsbald daran ging, den letzten Fliederschmuck zu verwüsten. Ich räumte ihr das Feld und begab mich hinauf in meine Stube. Und je länger ich dort alle muthmaßlichen Folgen dieses Zwischenfalles erwog, desto gewisser schien es mir, daß nun meine ungestörten Tage gezählt seien. Aber meine Phan¬ tasie hatte wieder einmal zu schwarz gesehen. Denn sobald Alles unter Dach und Fach gebracht war, kehrte auch die frü¬ here Ruhe in's Haus zurück und man bemerkt jetzt kaum, daß es einen Zuwachs an Bewohnern erhalten. Heidrich, dessen heiteres, offenes Wesen Dir noch in guter Erinnerung sein wird, geht schon des Morgens seinen Berufsgeschäften nach, und Frau Louise, eine hochgewachsene schmächtige Brünette, wird ganz von der Wartung und Pflege ihres Knäbleins in Anspruch genommen, das seit seiner Geburt hoffnungslos dahin kränkelt. Zuweilen bringt sie den armen Wurm auf eine Stunde in den Garten herab, damit er etwas Luft und Son¬ nenschein genieße. Dann ist es gar rührend mit anzusehen, wie die junge Mutter seinen Schlaf überwacht und ihm, wenn er die Augen aufschlägt, ein Zweiglein oder eine Blume ent¬ gegenhält, damit er nur ein wenig lächle und mit den abge¬ zehrten Händchen danach lange. Auch die kleine Erni, welche im Hause erzogen wird, stört mich nicht. Sie besucht eine nahe Schule, und da ich die Kinder seit jeher geliebt, so mag ich es gerne leiden, daß das muntere pausbäckige Geschöpfchen
in den Hof, und in den Garten kam die Kleine gelaufen, wo ſie alsbald daran ging, den letzten Fliederſchmuck zu verwüſten. Ich räumte ihr das Feld und begab mich hinauf in meine Stube. Und je länger ich dort alle muthmaßlichen Folgen dieſes Zwiſchenfalles erwog, deſto gewiſſer ſchien es mir, daß nun meine ungeſtörten Tage gezählt ſeien. Aber meine Phan¬ taſie hatte wieder einmal zu ſchwarz geſehen. Denn ſobald Alles unter Dach und Fach gebracht war, kehrte auch die frü¬ here Ruhe in's Haus zurück und man bemerkt jetzt kaum, daß es einen Zuwachs an Bewohnern erhalten. Heidrich, deſſen heiteres, offenes Weſen Dir noch in guter Erinnerung ſein wird, geht ſchon des Morgens ſeinen Berufsgeſchäften nach, und Frau Louiſe, eine hochgewachſene ſchmächtige Brünette, wird ganz von der Wartung und Pflege ihres Knäbleins in Anſpruch genommen, das ſeit ſeiner Geburt hoffnungslos dahin kränkelt. Zuweilen bringt ſie den armen Wurm auf eine Stunde in den Garten herab, damit er etwas Luft und Son¬ nenſchein genieße. Dann iſt es gar rührend mit anzuſehen, wie die junge Mutter ſeinen Schlaf überwacht und ihm, wenn er die Augen aufſchlägt, ein Zweiglein oder eine Blume ent¬ gegenhält, damit er nur ein wenig lächle und mit den abge¬ zehrten Händchen danach lange. Auch die kleine Erni, welche im Hauſe erzogen wird, ſtört mich nicht. Sie beſucht eine nahe Schule, und da ich die Kinder ſeit jeher geliebt, ſo mag ich es gerne leiden, daß das muntere pausbäckige Geſchöpfchen
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in den Hof, und in den Garten kam die Kleine gelaufen, wo
ſie alsbald daran ging, den letzten Fliederſchmuck zu verwüſten.
Ich räumte ihr das Feld und begab mich hinauf in meine
Stube. Und je länger ich dort alle muthmaßlichen Folgen
dieſes Zwiſchenfalles erwog, deſto gewiſſer ſchien es mir, daß
nun meine ungeſtörten Tage gezählt ſeien. Aber meine Phan¬
taſie hatte wieder einmal zu ſchwarz geſehen. Denn ſobald
Alles unter Dach und Fach gebracht war, kehrte auch die frü¬
here Ruhe in's Haus zurück und man bemerkt jetzt kaum, daß
es einen Zuwachs an Bewohnern erhalten. Heidrich, deſſen
heiteres, offenes Weſen Dir noch in guter Erinnerung ſein
wird, geht ſchon des Morgens ſeinen Berufsgeſchäften nach,
und Frau Louiſe, eine hochgewachſene ſchmächtige Brünette,
wird ganz von der Wartung und Pflege ihres Knäbleins in
Anſpruch genommen, das ſeit ſeiner Geburt hoffnungslos dahin
kränkelt. Zuweilen bringt ſie den armen Wurm auf eine
Stunde in den Garten herab, damit er etwas Luft und Son¬
nenſchein genieße. Dann iſt es gar rührend mit anzuſehen,
wie die junge Mutter ſeinen Schlaf überwacht und ihm, wenn
er die Augen aufſchlägt, ein Zweiglein oder eine Blume ent¬
gegenhält, damit er nur ein wenig lächle und mit den abge¬
zehrten Händchen danach lange. Auch die kleine Erni, welche
im Hauſe erzogen wird, ſtört mich nicht. Sie beſucht eine
nahe Schule, und da ich die Kinder ſeit jeher geliebt, ſo mag
ich es gerne leiden, daß das muntere pausbäckige Geſchöpfchen
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Saar, Ferdinand von: Novellen aus Österreich. Heidelberg, 1877, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/saar_novellen_1877/101>, abgerufen am 24.11.2024.
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