Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 125–209. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zurück. Eben wurden im Hause die Fenster geöffnet, das holde Morgenlicht und den Frühlingsduft des Gartens einzulassen. Er horchte auf; es war stille im Hause; sein Besuch im Garten war unbemerkt geblieben. Auf Umwegen eilte er nach dem Schlosse, um seinem Herrn den Erfolg seines letzten Wagstückes zu berichten, von ihm Lob und Belohnungen einzuernten. -- Es war ihm gelungen, die leichtfertige Magd sich ganz zu unterwerfen. Während sie ihren Arbeiten nachging, schwebte ihr der schlanke Freier unablässig vor Augen, fühlte sie ein brennendes Verlangen, seinen Auftrag wohl auszurichten. Als nun endlich der Herr gegangen war und sie die Hausthüre wiederum verschlossen hatte, holte sie aus ihrer Kammer das Geschmeide hervor, hielt es einen Augenblick in der Hand dem Sonnenstrahle entgegen, welcher durch das hochbelegene Gitterfenster in den schwach erhellten Raum einfiel. Sie hätte es lieber für sich selbst behalten, entschloß sich jedoch gegen die Regung der Habsucht und gegen das Zagen ihres ungewißen Herzens damit die Treppe hinaufzugehen, wo sie die edle Hausfrau mit der Spindel zur Hand am Herde sitzend fand. Ihr Anblick benahm ihr den Muth; Cassandra, wie sie da saß, arbeitsam, ernst, nachdenklich, gab und erweckte ein so vollendetes Bild weiblicher Tugend und Schönheit, daß Niemand so leicht den ehrlosen Antrag ohne geheimen Widerwillen ihr hätte entgegenbringen können. zurück. Eben wurden im Hause die Fenster geöffnet, das holde Morgenlicht und den Frühlingsduft des Gartens einzulassen. Er horchte auf; es war stille im Hause; sein Besuch im Garten war unbemerkt geblieben. Auf Umwegen eilte er nach dem Schlosse, um seinem Herrn den Erfolg seines letzten Wagstückes zu berichten, von ihm Lob und Belohnungen einzuernten. — Es war ihm gelungen, die leichtfertige Magd sich ganz zu unterwerfen. Während sie ihren Arbeiten nachging, schwebte ihr der schlanke Freier unablässig vor Augen, fühlte sie ein brennendes Verlangen, seinen Auftrag wohl auszurichten. Als nun endlich der Herr gegangen war und sie die Hausthüre wiederum verschlossen hatte, holte sie aus ihrer Kammer das Geschmeide hervor, hielt es einen Augenblick in der Hand dem Sonnenstrahle entgegen, welcher durch das hochbelegene Gitterfenster in den schwach erhellten Raum einfiel. Sie hätte es lieber für sich selbst behalten, entschloß sich jedoch gegen die Regung der Habsucht und gegen das Zagen ihres ungewißen Herzens damit die Treppe hinaufzugehen, wo sie die edle Hausfrau mit der Spindel zur Hand am Herde sitzend fand. Ihr Anblick benahm ihr den Muth; Cassandra, wie sie da saß, arbeitsam, ernst, nachdenklich, gab und erweckte ein so vollendetes Bild weiblicher Tugend und Schönheit, daß Niemand so leicht den ehrlosen Antrag ohne geheimen Widerwillen ihr hätte entgegenbringen können. <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0073"/> zurück. Eben wurden im Hause die Fenster geöffnet, das holde Morgenlicht und den Frühlingsduft des Gartens einzulassen. Er horchte auf; es war stille im Hause; sein Besuch im Garten war unbemerkt geblieben.</p><lb/> <p>Auf Umwegen eilte er nach dem Schlosse, um seinem Herrn den Erfolg seines letzten Wagstückes zu berichten, von ihm Lob und Belohnungen einzuernten. — Es war ihm gelungen, die leichtfertige Magd sich ganz zu unterwerfen. Während sie ihren Arbeiten nachging, schwebte ihr der schlanke Freier unablässig vor Augen, fühlte sie ein brennendes Verlangen, seinen Auftrag wohl auszurichten.</p><lb/> <p>Als nun endlich der Herr gegangen war und sie die Hausthüre wiederum verschlossen hatte, holte sie aus ihrer Kammer das Geschmeide hervor, hielt es einen Augenblick in der Hand dem Sonnenstrahle entgegen, welcher durch das hochbelegene Gitterfenster in den schwach erhellten Raum einfiel. Sie hätte es lieber für sich selbst behalten, entschloß sich jedoch gegen die Regung der Habsucht und gegen das Zagen ihres ungewißen Herzens damit die Treppe hinaufzugehen, wo sie die edle Hausfrau mit der Spindel zur Hand am Herde sitzend fand. Ihr Anblick benahm ihr den Muth; Cassandra, wie sie da saß, arbeitsam, ernst, nachdenklich, gab und erweckte ein so vollendetes Bild weiblicher Tugend und Schönheit, daß Niemand so leicht den ehrlosen Antrag ohne geheimen Widerwillen ihr hätte entgegenbringen können.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0073]
zurück. Eben wurden im Hause die Fenster geöffnet, das holde Morgenlicht und den Frühlingsduft des Gartens einzulassen. Er horchte auf; es war stille im Hause; sein Besuch im Garten war unbemerkt geblieben.
Auf Umwegen eilte er nach dem Schlosse, um seinem Herrn den Erfolg seines letzten Wagstückes zu berichten, von ihm Lob und Belohnungen einzuernten. — Es war ihm gelungen, die leichtfertige Magd sich ganz zu unterwerfen. Während sie ihren Arbeiten nachging, schwebte ihr der schlanke Freier unablässig vor Augen, fühlte sie ein brennendes Verlangen, seinen Auftrag wohl auszurichten.
Als nun endlich der Herr gegangen war und sie die Hausthüre wiederum verschlossen hatte, holte sie aus ihrer Kammer das Geschmeide hervor, hielt es einen Augenblick in der Hand dem Sonnenstrahle entgegen, welcher durch das hochbelegene Gitterfenster in den schwach erhellten Raum einfiel. Sie hätte es lieber für sich selbst behalten, entschloß sich jedoch gegen die Regung der Habsucht und gegen das Zagen ihres ungewißen Herzens damit die Treppe hinaufzugehen, wo sie die edle Hausfrau mit der Spindel zur Hand am Herde sitzend fand. Ihr Anblick benahm ihr den Muth; Cassandra, wie sie da saß, arbeitsam, ernst, nachdenklich, gab und erweckte ein so vollendetes Bild weiblicher Tugend und Schönheit, daß Niemand so leicht den ehrlosen Antrag ohne geheimen Widerwillen ihr hätte entgegenbringen können.
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Zitationshilfe: | Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 125–209. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_savello_1910/73>, abgerufen am 16.02.2025. |