Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 125–209. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Schon lange hatte die Spindel im Drehen leise fortgeschwirrt, als Giustiniano das Auge aufschlug, seine Gattin anzusehen, welche mit gesenktem Blicke fortspann und noch zu verbergen suchte, daß sie blinzelnd den Mann doch im Gesichte behalte. Er wähnte sich unbemerkt und sah um so liebevoller auf sie hin, daß ihr das Herz davon überging und unter den seidenen Wimpern Thränen hervorquollen. Als sie die Hand erhob, ihre Thränen abzuwischen, fragte Giustiniano: ob sie denn schon erfahren, was es im Orte gegeben. -- Nichts, entgegnete sie, ich weine nur, weil ich dich traurig sehe. Wünschest du zu erfahren, was mich betrübt? fragte der Gatte. -- Ich wünsche es nicht, entgegnete sie, und fürchte es auch nicht. Wenn ich dich trösten, dir helfen kann, so sprich. Sonst behalte dein Geheimniß. Der Oheim hieß mich hinausgehen, vielleicht soll und darf ich's nicht einmal wissen. Besinne dich also, ehe du sprichst; ich kann auch unwissend dein Leid mitfühlen, dich beklagen, vielleicht selbst dich trösten. Giustiniano legte die Hand vor die Augen und sprach, nachdem er aus, der Tiefe seiner breiten und hohen Brust schwer aufgeathmet, mit Ernst und Feier: Cassandra, liebes Weib, magst du das Geheimniß deines Oheims hören wollen oder nicht, so muß ich doch es dir sagen. Ein Ungewitter ist über unsere Stadt gezogen; der Savello ist angekommen, hat mit einer That begonnen, welche Felsen von ihrer Stelle Schon lange hatte die Spindel im Drehen leise fortgeschwirrt, als Giustiniano das Auge aufschlug, seine Gattin anzusehen, welche mit gesenktem Blicke fortspann und noch zu verbergen suchte, daß sie blinzelnd den Mann doch im Gesichte behalte. Er wähnte sich unbemerkt und sah um so liebevoller auf sie hin, daß ihr das Herz davon überging und unter den seidenen Wimpern Thränen hervorquollen. Als sie die Hand erhob, ihre Thränen abzuwischen, fragte Giustiniano: ob sie denn schon erfahren, was es im Orte gegeben. — Nichts, entgegnete sie, ich weine nur, weil ich dich traurig sehe. Wünschest du zu erfahren, was mich betrübt? fragte der Gatte. — Ich wünsche es nicht, entgegnete sie, und fürchte es auch nicht. Wenn ich dich trösten, dir helfen kann, so sprich. Sonst behalte dein Geheimniß. Der Oheim hieß mich hinausgehen, vielleicht soll und darf ich's nicht einmal wissen. Besinne dich also, ehe du sprichst; ich kann auch unwissend dein Leid mitfühlen, dich beklagen, vielleicht selbst dich trösten. Giustiniano legte die Hand vor die Augen und sprach, nachdem er aus, der Tiefe seiner breiten und hohen Brust schwer aufgeathmet, mit Ernst und Feier: Cassandra, liebes Weib, magst du das Geheimniß deines Oheims hören wollen oder nicht, so muß ich doch es dir sagen. Ein Ungewitter ist über unsere Stadt gezogen; der Savello ist angekommen, hat mit einer That begonnen, welche Felsen von ihrer Stelle <TEI> <text> <body> <div n="2"> <pb facs="#f0054"/> <p>Schon lange hatte die Spindel im Drehen leise fortgeschwirrt, als Giustiniano das Auge aufschlug, seine Gattin anzusehen, welche mit gesenktem Blicke fortspann und noch zu verbergen suchte, daß sie blinzelnd den Mann doch im Gesichte behalte. Er wähnte sich unbemerkt und sah um so liebevoller auf sie hin, daß ihr das Herz davon überging und unter den seidenen Wimpern Thränen hervorquollen. Als sie die Hand erhob, ihre Thränen abzuwischen, fragte Giustiniano: ob sie denn schon erfahren, was es im Orte gegeben. — Nichts, entgegnete sie, ich weine nur, weil ich dich traurig sehe.</p><lb/> <p>Wünschest du zu erfahren, was mich betrübt? fragte der Gatte. — Ich wünsche es nicht, entgegnete sie, und fürchte es auch nicht. Wenn ich dich trösten, dir helfen kann, so sprich. Sonst behalte dein Geheimniß. Der Oheim hieß mich hinausgehen, vielleicht soll und darf ich's nicht einmal wissen. Besinne dich also, ehe du sprichst; ich kann auch unwissend dein Leid mitfühlen, dich beklagen, vielleicht selbst dich trösten.</p><lb/> <p>Giustiniano legte die Hand vor die Augen und sprach, nachdem er aus, der Tiefe seiner breiten und hohen Brust schwer aufgeathmet, mit Ernst und Feier: Cassandra, liebes Weib, magst du das Geheimniß deines Oheims hören wollen oder nicht, so muß ich doch es dir sagen. Ein Ungewitter ist über unsere Stadt gezogen; der Savello ist angekommen, hat mit einer That begonnen, welche Felsen von ihrer Stelle<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0054]
Schon lange hatte die Spindel im Drehen leise fortgeschwirrt, als Giustiniano das Auge aufschlug, seine Gattin anzusehen, welche mit gesenktem Blicke fortspann und noch zu verbergen suchte, daß sie blinzelnd den Mann doch im Gesichte behalte. Er wähnte sich unbemerkt und sah um so liebevoller auf sie hin, daß ihr das Herz davon überging und unter den seidenen Wimpern Thränen hervorquollen. Als sie die Hand erhob, ihre Thränen abzuwischen, fragte Giustiniano: ob sie denn schon erfahren, was es im Orte gegeben. — Nichts, entgegnete sie, ich weine nur, weil ich dich traurig sehe.
Wünschest du zu erfahren, was mich betrübt? fragte der Gatte. — Ich wünsche es nicht, entgegnete sie, und fürchte es auch nicht. Wenn ich dich trösten, dir helfen kann, so sprich. Sonst behalte dein Geheimniß. Der Oheim hieß mich hinausgehen, vielleicht soll und darf ich's nicht einmal wissen. Besinne dich also, ehe du sprichst; ich kann auch unwissend dein Leid mitfühlen, dich beklagen, vielleicht selbst dich trösten.
Giustiniano legte die Hand vor die Augen und sprach, nachdem er aus, der Tiefe seiner breiten und hohen Brust schwer aufgeathmet, mit Ernst und Feier: Cassandra, liebes Weib, magst du das Geheimniß deines Oheims hören wollen oder nicht, so muß ich doch es dir sagen. Ein Ungewitter ist über unsere Stadt gezogen; der Savello ist angekommen, hat mit einer That begonnen, welche Felsen von ihrer Stelle
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Zitationshilfe: | Rumohr, Karl Friedrich: Der letzte Savello. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 125–209. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_savello_1910/54>, abgerufen am 16.02.2025. |