Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht selten an jener Durchsichtigkeit, dem Auftrage an jener
Modellirung, dem Landschaftlichen an jenem linearischen Zau-
ber, welchen wir in Raphaels Werken dieser Zeit überall
wahrzunehmen gewohnt sind. Sollte nicht Raphael, dem be-
reits die Aussicht auf Größeres sich eröffnete, schon in diesem
Werke fremder Hülfe sich bedient haben können? In der ma-
lerischen Ausführung erinnert Manches an Züge, welche sei-
nem Freunde Ridolfo bis in sein spätestes Alter (als er zu
Florenz agli Angeli noch das Abendmahl im Refectorio malte)
eigenthümlich geblieben sind. Allein auch die ängstlich genaue
Vorbildung des Ganzen in jener trefflichen Federzeichnung,
wie besonders die Quadrate, mit welchen sie überzogen ist,
scheint bey einer Arbeit, welche Raphael selbst ganz durchfüh-
ren wollte, minder nöthig, als wenn wir den Fall annehmen,
den ich angedeutet habe. Wie oft habe ich das Gemälde,
seine Zusammenstellung bewundernd, mir angesehn, ohne mir
erklären zu können, weßhalb das Pathetische mich so kalt lasse;
auch Andere beobachtet, welche, ohne mir, ohne es sich selbst
einzugestehn, doch das Ansehn hatten, gleich mir den Eindruck
des raphaelischen Wesens zu vermissen. Zudem ist in dem
Auftrage der Farbe eine Glätte, eine Aengstlichkeit in der
Nachachtung der vorgezeichneten Umrisse, welche in einem
Bilde Raphaels immer befremdlich bleibt. Doch gehe ich
nicht so weit, zu behaupten, daß Raphael das Bild durchaus
nicht berührt habe. Im Gegentheil ich sehe seine Hand un-
widersprechlich aus mehr als einem Zuge hervorleuchten; ob-
wohl nirgends ganz so deutlich, als in den grau in grau ge-
malten drey christlichen Tugenden, welche vordem den Gra-
dino des Bildes geziert haben, jetzt in der vaticanischen Gal-
lerie in eigenem Rahmen aufgestellt sind.

nicht ſelten an jener Durchſichtigkeit, dem Auftrage an jener
Modellirung, dem Landſchaftlichen an jenem lineariſchen Zau-
ber, welchen wir in Raphaels Werken dieſer Zeit uͤberall
wahrzunehmen gewohnt ſind. Sollte nicht Raphael, dem be-
reits die Ausſicht auf Groͤßeres ſich eroͤffnete, ſchon in dieſem
Werke fremder Huͤlfe ſich bedient haben koͤnnen? In der ma-
leriſchen Ausfuͤhrung erinnert Manches an Zuͤge, welche ſei-
nem Freunde Ridolfo bis in ſein ſpaͤteſtes Alter (als er zu
Florenz agli Angeli noch das Abendmahl im Refectorio malte)
eigenthuͤmlich geblieben ſind. Allein auch die aͤngſtlich genaue
Vorbildung des Ganzen in jener trefflichen Federzeichnung,
wie beſonders die Quadrate, mit welchen ſie uͤberzogen iſt,
ſcheint bey einer Arbeit, welche Raphael ſelbſt ganz durchfuͤh-
ren wollte, minder noͤthig, als wenn wir den Fall annehmen,
den ich angedeutet habe. Wie oft habe ich das Gemaͤlde,
ſeine Zuſammenſtellung bewundernd, mir angeſehn, ohne mir
erklaͤren zu koͤnnen, weßhalb das Pathetiſche mich ſo kalt laſſe;
auch Andere beobachtet, welche, ohne mir, ohne es ſich ſelbſt
einzugeſtehn, doch das Anſehn hatten, gleich mir den Eindruck
des raphaeliſchen Weſens zu vermiſſen. Zudem iſt in dem
Auftrage der Farbe eine Glaͤtte, eine Aengſtlichkeit in der
Nachachtung der vorgezeichneten Umriſſe, welche in einem
Bilde Raphaels immer befremdlich bleibt. Doch gehe ich
nicht ſo weit, zu behaupten, daß Raphael das Bild durchaus
nicht beruͤhrt habe. Im Gegentheil ich ſehe ſeine Hand un-
widerſprechlich aus mehr als einem Zuge hervorleuchten; ob-
wohl nirgends ganz ſo deutlich, als in den grau in grau ge-
malten drey chriſtlichen Tugenden, welche vordem den Gra-
dino des Bildes geziert haben, jetzt in der vaticaniſchen Gal-
lerie in eigenem Rahmen aufgeſtellt ſind.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0092" n="70"/>
nicht &#x017F;elten an jener Durch&#x017F;ichtigkeit, dem Auftrage an jener<lb/>
Modellirung, dem Land&#x017F;chaftlichen an jenem lineari&#x017F;chen Zau-<lb/>
ber, welchen wir in <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphaels</persName> Werken die&#x017F;er Zeit u&#x0364;berall<lb/>
wahrzunehmen gewohnt &#x017F;ind. Sollte nicht <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName>, dem be-<lb/>
reits die Aus&#x017F;icht auf Gro&#x0364;ßeres &#x017F;ich ero&#x0364;ffnete, &#x017F;chon in die&#x017F;em<lb/>
Werke fremder Hu&#x0364;lfe &#x017F;ich bedient haben ko&#x0364;nnen? In der ma-<lb/>
leri&#x017F;chen Ausfu&#x0364;hrung erinnert Manches an Zu&#x0364;ge, welche &#x017F;ei-<lb/>
nem Freunde <persName ref="http://d-nb.info/gnd/132924110">Ridolfo</persName> bis in &#x017F;ein &#x017F;pa&#x0364;te&#x017F;tes Alter (als er zu<lb/><placeName>Florenz</placeName> agli Angeli noch das Abendmahl im Refectorio malte)<lb/>
eigenthu&#x0364;mlich geblieben &#x017F;ind. Allein auch die a&#x0364;ng&#x017F;tlich genaue<lb/>
Vorbildung des Ganzen in jener trefflichen Federzeichnung,<lb/>
wie be&#x017F;onders die Quadrate, mit welchen &#x017F;ie u&#x0364;berzogen i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;cheint bey einer Arbeit, welche <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> &#x017F;elb&#x017F;t ganz durchfu&#x0364;h-<lb/>
ren wollte, minder no&#x0364;thig, als wenn wir den Fall annehmen,<lb/>
den ich angedeutet habe. Wie oft habe ich das Gema&#x0364;lde,<lb/>
&#x017F;eine Zu&#x017F;ammen&#x017F;tellung bewundernd, mir ange&#x017F;ehn, ohne mir<lb/>
erkla&#x0364;ren zu ko&#x0364;nnen, weßhalb das Patheti&#x017F;che mich &#x017F;o kalt la&#x017F;&#x017F;e;<lb/>
auch Andere beobachtet, welche, ohne mir, ohne es &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
einzuge&#x017F;tehn, doch das An&#x017F;ehn hatten, gleich mir den Eindruck<lb/>
des raphaeli&#x017F;chen We&#x017F;ens zu vermi&#x017F;&#x017F;en. Zudem i&#x017F;t in dem<lb/>
Auftrage der Farbe eine Gla&#x0364;tte, eine Aeng&#x017F;tlichkeit in der<lb/>
Nachachtung der vorgezeichneten Umri&#x017F;&#x017F;e, welche in einem<lb/>
Bilde <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphaels</persName> immer befremdlich bleibt. Doch gehe ich<lb/>
nicht &#x017F;o weit, zu behaupten, daß <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> das Bild durchaus<lb/>
nicht beru&#x0364;hrt habe. Im Gegentheil ich &#x017F;ehe &#x017F;eine Hand un-<lb/>
wider&#x017F;prechlich aus mehr als einem Zuge hervorleuchten; ob-<lb/>
wohl nirgends ganz &#x017F;o deutlich, als in den grau in grau ge-<lb/>
malten drey chri&#x017F;tlichen Tugenden, welche vordem den Gra-<lb/>
dino des Bildes geziert haben, jetzt in der vaticani&#x017F;chen Gal-<lb/>
lerie in eigenem Rahmen aufge&#x017F;tellt &#x017F;ind.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0092] nicht ſelten an jener Durchſichtigkeit, dem Auftrage an jener Modellirung, dem Landſchaftlichen an jenem lineariſchen Zau- ber, welchen wir in Raphaels Werken dieſer Zeit uͤberall wahrzunehmen gewohnt ſind. Sollte nicht Raphael, dem be- reits die Ausſicht auf Groͤßeres ſich eroͤffnete, ſchon in dieſem Werke fremder Huͤlfe ſich bedient haben koͤnnen? In der ma- leriſchen Ausfuͤhrung erinnert Manches an Zuͤge, welche ſei- nem Freunde Ridolfo bis in ſein ſpaͤteſtes Alter (als er zu Florenz agli Angeli noch das Abendmahl im Refectorio malte) eigenthuͤmlich geblieben ſind. Allein auch die aͤngſtlich genaue Vorbildung des Ganzen in jener trefflichen Federzeichnung, wie beſonders die Quadrate, mit welchen ſie uͤberzogen iſt, ſcheint bey einer Arbeit, welche Raphael ſelbſt ganz durchfuͤh- ren wollte, minder noͤthig, als wenn wir den Fall annehmen, den ich angedeutet habe. Wie oft habe ich das Gemaͤlde, ſeine Zuſammenſtellung bewundernd, mir angeſehn, ohne mir erklaͤren zu koͤnnen, weßhalb das Pathetiſche mich ſo kalt laſſe; auch Andere beobachtet, welche, ohne mir, ohne es ſich ſelbſt einzugeſtehn, doch das Anſehn hatten, gleich mir den Eindruck des raphaeliſchen Weſens zu vermiſſen. Zudem iſt in dem Auftrage der Farbe eine Glaͤtte, eine Aengſtlichkeit in der Nachachtung der vorgezeichneten Umriſſe, welche in einem Bilde Raphaels immer befremdlich bleibt. Doch gehe ich nicht ſo weit, zu behaupten, daß Raphael das Bild durchaus nicht beruͤhrt habe. Im Gegentheil ich ſehe ſeine Hand un- widerſprechlich aus mehr als einem Zuge hervorleuchten; ob- wohl nirgends ganz ſo deutlich, als in den grau in grau ge- malten drey chriſtlichen Tugenden, welche vordem den Gra- dino des Bildes geziert haben, jetzt in der vaticaniſchen Gal- lerie in eigenem Rahmen aufgeſtellt ſind.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/92
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/92>, abgerufen am 23.11.2024.