gleichzeitig, halte ich eine andere unvollendet gebliebene Ma- donna mit dem Kinde, Halbfigur, in der Hauskapelle der Fa- milie Gregori zu Fuligno, welche, wenn sie überhaupt von Raphaels Hand ist, nothwendig derselben Richtung angehört, als die obigen Gemälde. Wie bey jenem von Pescia, so ist auch in diesem Bilde dem Haare der Madonna offenbar nach- geholfen, was dem Kopfe ein fremdartiges, unraphaelisches Ansehn giebt. Wahrscheinlich ward in beiden Gemälden das Haar ganz weggelassen, für die, unterbliebene, Uebermalung aufgespart. Da nun dessenungeachtet beide, nicht als Studien aufbewahrt, sondern in einer Kappelle, in einem Saale sollten aufgestellt werden, schien vielleicht der Haarschmuck kaum ent- behrlich, wurde er nach den Umständen ergänzt. In dem Bilde Gregori blickt der entschlossene, bewegte Umriß eben- falls durch das Impasto. Doch erinnere ich, daß ich dieses Bild nur bey Kerzenlicht, nicht am vollen Tage habe unter- suchen können.
Das Gemeinschaftliche in diesen und anderen, wenn es deren noch giebt, ihnen ähnlichen Beyspielen schmeichle ich mir genügend ins Licht gesetzt zu haben. Es bleibt mir, zu zeigen, daß Raphael von solchen Uebungen und Versuchen selbstständiger Kraft sich unablässig zum strengsten Studien- fleiße zurückgewendet habe, die Werke aufzuzählen, welche da- für Zeugniß ablegen.
Der strenge Studienfleiß bey Lösung bescheidener häus- licher Aufgaben, wie solche dem noch wenig bekannten Jüng- ling unter engbürgerlichen Verhältnissen gerade sich darboten, tritt uns zuerst in zweien häuslichen Andachtsbildern entgegen, welche Vasari, so deutlich, als wahrscheinlich, als seine floren- tinische Laufbahn eröffnend bezeichnet. Vasari erzählt: "vor
gleichzeitig, halte ich eine andere unvollendet gebliebene Ma- donna mit dem Kinde, Halbfigur, in der Hauskapelle der Fa- milie Gregori zu Fuligno, welche, wenn ſie uͤberhaupt von Raphaels Hand iſt, nothwendig derſelben Richtung angehoͤrt, als die obigen Gemaͤlde. Wie bey jenem von Peſcia, ſo iſt auch in dieſem Bilde dem Haare der Madonna offenbar nach- geholfen, was dem Kopfe ein fremdartiges, unraphaeliſches Anſehn giebt. Wahrſcheinlich ward in beiden Gemaͤlden das Haar ganz weggelaſſen, fuͤr die, unterbliebene, Uebermalung aufgeſpart. Da nun deſſenungeachtet beide, nicht als Studien aufbewahrt, ſondern in einer Kappelle, in einem Saale ſollten aufgeſtellt werden, ſchien vielleicht der Haarſchmuck kaum ent- behrlich, wurde er nach den Umſtaͤnden ergaͤnzt. In dem Bilde Gregori blickt der entſchloſſene, bewegte Umriß eben- falls durch das Impaſto. Doch erinnere ich, daß ich dieſes Bild nur bey Kerzenlicht, nicht am vollen Tage habe unter- ſuchen koͤnnen.
Das Gemeinſchaftliche in dieſen und anderen, wenn es deren noch giebt, ihnen aͤhnlichen Beyſpielen ſchmeichle ich mir genuͤgend ins Licht geſetzt zu haben. Es bleibt mir, zu zeigen, daß Raphael von ſolchen Uebungen und Verſuchen ſelbſtſtaͤndiger Kraft ſich unablaͤſſig zum ſtrengſten Studien- fleiße zuruͤckgewendet habe, die Werke aufzuzaͤhlen, welche da- fuͤr Zeugniß ablegen.
Der ſtrenge Studienfleiß bey Loͤſung beſcheidener haͤus- licher Aufgaben, wie ſolche dem noch wenig bekannten Juͤng- ling unter engbuͤrgerlichen Verhaͤltniſſen gerade ſich darboten, tritt uns zuerſt in zweien haͤuslichen Andachtsbildern entgegen, welche Vaſari, ſo deutlich, als wahrſcheinlich, als ſeine floren- tiniſche Laufbahn eroͤffnend bezeichnet. Vaſari erzaͤhlt: „vor
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Raphaels Hand iſt, nothwendig derſelben Richtung angehoͤrt,
als die obigen Gemaͤlde. Wie bey jenem von Peſcia, ſo iſt
auch in dieſem Bilde dem Haare der Madonna offenbar nach-
geholfen, was dem Kopfe ein fremdartiges, unraphaeliſches
Anſehn giebt. Wahrſcheinlich ward in beiden Gemaͤlden das
Haar ganz weggelaſſen, fuͤr die, unterbliebene, Uebermalung
aufgeſpart. Da nun deſſenungeachtet beide, nicht als Studien
aufbewahrt, ſondern in einer Kappelle, in einem Saale ſollten
aufgeſtellt werden, ſchien vielleicht der Haarſchmuck kaum ent-
behrlich, wurde er nach den Umſtaͤnden ergaͤnzt. In dem
Bilde Gregori blickt der entſchloſſene, bewegte Umriß eben-
falls durch das Impaſto. Doch erinnere ich, daß ich dieſes
Bild nur bey Kerzenlicht, nicht am vollen Tage habe unter-
ſuchen koͤnnen.
Das Gemeinſchaftliche in dieſen und anderen, wenn es
deren noch giebt, ihnen aͤhnlichen Beyſpielen ſchmeichle ich
mir genuͤgend ins Licht geſetzt zu haben. Es bleibt mir, zu
zeigen, daß Raphael von ſolchen Uebungen und Verſuchen
ſelbſtſtaͤndiger Kraft ſich unablaͤſſig zum ſtrengſten Studien-
fleiße zuruͤckgewendet habe, die Werke aufzuzaͤhlen, welche da-
fuͤr Zeugniß ablegen.
Der ſtrenge Studienfleiß bey Loͤſung beſcheidener haͤus-
licher Aufgaben, wie ſolche dem noch wenig bekannten Juͤng-
ling unter engbuͤrgerlichen Verhaͤltniſſen gerade ſich darboten,
tritt uns zuerſt in zweien haͤuslichen Andachtsbildern entgegen,
welche Vaſari, ſo deutlich, als wahrſcheinlich, als ſeine floren-
tiniſche Laufbahn eroͤffnend bezeichnet. Vaſari erzaͤhlt: „vor
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/80>, abgerufen am 16.07.2024.
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