dessen für jedes Edle und Hohe empfängliche Gemüth dieses Opfer zu würdigen gewußt. Der bekannteste Kunstfreund, Herr Wikar, Maler, zu Rom, besitzt ein viertes Rund mit einer heiligen Katharina, welches demselben Gradino angehört und mit den übrigen Stücken gedient hat, entweder kleine Vorsprünge zu verzieren, oder auch längere Abtheilungen von einander abzusondern. Auch dieser mit den äußeren Kennzei- chen Raphaels sehr vertraute Kenner, vormals ästhetischer Commissar der französischen Republik in der Zeit ihrer Aus- breitung über Italien, war der Abkunft seines Fragments sehr gewiß, was die Vermuthung erweckt, er kenne dessen Ursprung.
Zwey Zeichnungen, deren schon Vasari allgemeinhin er- wähnt, stehen nach ihrem Charakter dem Sposalizio sehr nahe; die eine im Hause Baldeschi zu Perugia, die andere unter den Handzeichnungen der florentinischen Gallerie der Uffizj; beide Entwürfe für Wandgemälde des Chorbüchergemaches (libre- ria) im Dome zu Siena, beide in derselben Manier, braun mit Sepia getuscht, und, kaum noch bemerklich, mit Deckweiß nachgehöht.
Hier begegnen wir von Neuem jener vorwitzigen Will- kührlichkeit, welche der modernen Kunsthistorie so häufig für Kritik und Kennerschaft gilt. Vasari, die Quelle, aus welcher hier allein geschöpft wird, sagt im Leben des Pinturicchio: "Raphael machte die Entwürfe und Cartons für sämmt- liche Darstellungen," und dagegen im Leben Raphaels: "er habe für jenes Werk einige Zeichnungen und Cartons ge- macht." Vasari war demnach nicht gewiß, ob Raphael nur einige, oder alle Darstellungen entworfen; ob er nur Skizzen und Entwürfe, oder ausführliche Zeichnungen in der Größe
deſſen fuͤr jedes Edle und Hohe empfaͤngliche Gemuͤth dieſes Opfer zu wuͤrdigen gewußt. Der bekannteſte Kunſtfreund, Herr Wikar, Maler, zu Rom, beſitzt ein viertes Rund mit einer heiligen Katharina, welches demſelben Gradino angehoͤrt und mit den uͤbrigen Stuͤcken gedient hat, entweder kleine Vorſpruͤnge zu verzieren, oder auch laͤngere Abtheilungen von einander abzuſondern. Auch dieſer mit den aͤußeren Kennzei- chen Raphaels ſehr vertraute Kenner, vormals aͤſthetiſcher Commiſſar der franzoͤſiſchen Republik in der Zeit ihrer Aus- breitung uͤber Italien, war der Abkunft ſeines Fragments ſehr gewiß, was die Vermuthung erweckt, er kenne deſſen Urſprung.
Zwey Zeichnungen, deren ſchon Vaſari allgemeinhin er- waͤhnt, ſtehen nach ihrem Charakter dem Spoſalizio ſehr nahe; die eine im Hauſe Baldeſchi zu Perugia, die andere unter den Handzeichnungen der florentiniſchen Gallerie der Uffizj; beide Entwuͤrfe fuͤr Wandgemaͤlde des Chorbuͤchergemaches (libre- ria) im Dome zu Siena, beide in derſelben Manier, braun mit Sepia getuſcht, und, kaum noch bemerklich, mit Deckweiß nachgehoͤht.
Hier begegnen wir von Neuem jener vorwitzigen Will- kuͤhrlichkeit, welche der modernen Kunſthiſtorie ſo haͤufig fuͤr Kritik und Kennerſchaft gilt. Vaſari, die Quelle, aus welcher hier allein geſchoͤpft wird, ſagt im Leben des Pinturicchio: „Raphael machte die Entwuͤrfe und Cartons fuͤr ſaͤmmt- liche Darſtellungen,“ und dagegen im Leben Raphaels: „er habe fuͤr jenes Werk einige Zeichnungen und Cartons ge- macht.“ Vaſari war demnach nicht gewiß, ob Raphael nur einige, oder alle Darſtellungen entworfen; ob er nur Skizzen und Entwuͤrfe, oder ausfuͤhrliche Zeichnungen in der Groͤße
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deſſen fuͤr jedes Edle und Hohe empfaͤngliche Gemuͤth dieſes
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Herr Wikar, Maler, zu Rom, beſitzt ein viertes Rund mit
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und mit den uͤbrigen Stuͤcken gedient hat, entweder kleine
Vorſpruͤnge zu verzieren, oder auch laͤngere Abtheilungen von
einander abzuſondern. Auch dieſer mit den aͤußeren Kennzei-
chen Raphaels ſehr vertraute Kenner, vormals aͤſthetiſcher
Commiſſar der franzoͤſiſchen Republik in der Zeit ihrer Aus-
breitung uͤber Italien, war der Abkunft ſeines Fragments
ſehr gewiß, was die Vermuthung erweckt, er kenne deſſen
Urſprung.
Zwey Zeichnungen, deren ſchon Vaſari allgemeinhin er-
waͤhnt, ſtehen nach ihrem Charakter dem Spoſalizio ſehr nahe;
die eine im Hauſe Baldeſchi zu Perugia, die andere unter den
Handzeichnungen der florentiniſchen Gallerie der Uffizj; beide
Entwuͤrfe fuͤr Wandgemaͤlde des Chorbuͤchergemaches (libre-
ria) im Dome zu Siena, beide in derſelben Manier, braun
mit Sepia getuſcht, und, kaum noch bemerklich, mit Deckweiß
nachgehoͤht.
Hier begegnen wir von Neuem jener vorwitzigen Will-
kuͤhrlichkeit, welche der modernen Kunſthiſtorie ſo haͤufig fuͤr
Kritik und Kennerſchaft gilt. Vaſari, die Quelle, aus welcher
hier allein geſchoͤpft wird, ſagt im Leben des Pinturicchio:
„Raphael machte die Entwuͤrfe und Cartons fuͤr ſaͤmmt-
liche Darſtellungen,“ und dagegen im Leben Raphaels: „er
habe fuͤr jenes Werk einige Zeichnungen und Cartons ge-
macht.“ Vaſari war demnach nicht gewiß, ob Raphael nur
einige, oder alle Darſtellungen entworfen; ob er nur Skizzen
und Entwuͤrfe, oder ausfuͤhrliche Zeichnungen in der Groͤße
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/64>, abgerufen am 16.07.2024.
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