Unter den Trümmern einer der ältesten florentinischen Sammlungen fand ich vor einigen Jahren ein rundes Bild, welches mir in diese frühe Epoche Raphaels einzufallen schien. Der Gegenstand, die Madonna mit beiden Kindern und zween halberwachsenen Engeln, deren einer das Kind der Mutter zur Verehrung entgegenhält, der andere, niederknieend, den kleinen Johannes dem Jesuskinde zu empfehlen scheint, findet sich Stück für Stück in einem Bilde des Perugino aus seiner besten Zeit (von 1480--90), gegenwärtig im Hause der Gra- fen Mozzi zu Florenz, bey der Brücke alle grazie. Von die- sem Bilde ist das unsrige eine Art Copie, doch nur der Zu- sammenstellung, der Motive, nicht der Charaktere und einzel- nen Ausgestaltungen in den Lagen, Wendungen, Köpfen und Händen. In diesen zeigen sich bey wenig äußerer Fertigkeit so viel richtige, tiefbegründete Wünsche und Absichten, als in dieser Epoche und Schule, auf einer so bescheidenen Stufe der technischen Entwickelung, nur dem Raphael beyzumessen sind. Auch die ungemein schöne, zierliche Landschaft, der frische Lo- calton der Carnation, die saubere Umränderung der Tafel in glänzendem Schwarz, scheinen für meine Vermuthung zu spre- chen. Da endlich selbst mein Berichtgeber in Dingen der Stadt Urbino darin eine Annäherung an jenes Bildchen zu Urbino wahrzunehmen glaubte, der Preis aber auf zwanzig Zecchinen zu bringen war; so schwankte ich nicht länger, die- ses jugendlich anmuthsvolle Bild für die Sammlungen der Majestät des Königs von Preußen zu erstehen. Im Museo zu Berlin hat es in der ersten Abtheilung die Nummer 222.
Mit Sicherheit weiß ich nichts anzuführen, was jenen frühesten, wohl auch noch bezweifelten Jugendarbeiten unmit- telbar sich anschlösse. Hatte Raphael, wie doch nicht ohne
Unter den Truͤmmern einer der aͤlteſten florentiniſchen Sammlungen fand ich vor einigen Jahren ein rundes Bild, welches mir in dieſe fruͤhe Epoche Raphaels einzufallen ſchien. Der Gegenſtand, die Madonna mit beiden Kindern und zween halberwachſenen Engeln, deren einer das Kind der Mutter zur Verehrung entgegenhaͤlt, der andere, niederknieend, den kleinen Johannes dem Jeſuskinde zu empfehlen ſcheint, findet ſich Stuͤck fuͤr Stuͤck in einem Bilde des Perugino aus ſeiner beſten Zeit (von 1480—90), gegenwaͤrtig im Hauſe der Gra- fen Mozzi zu Florenz, bey der Bruͤcke alle grazie. Von die- ſem Bilde iſt das unſrige eine Art Copie, doch nur der Zu- ſammenſtellung, der Motive, nicht der Charaktere und einzel- nen Ausgeſtaltungen in den Lagen, Wendungen, Koͤpfen und Haͤnden. In dieſen zeigen ſich bey wenig aͤußerer Fertigkeit ſo viel richtige, tiefbegruͤndete Wuͤnſche und Abſichten, als in dieſer Epoche und Schule, auf einer ſo beſcheidenen Stufe der techniſchen Entwickelung, nur dem Raphael beyzumeſſen ſind. Auch die ungemein ſchoͤne, zierliche Landſchaft, der friſche Lo- calton der Carnation, die ſaubere Umraͤnderung der Tafel in glaͤnzendem Schwarz, ſcheinen fuͤr meine Vermuthung zu ſpre- chen. Da endlich ſelbſt mein Berichtgeber in Dingen der Stadt Urbino darin eine Annaͤherung an jenes Bildchen zu Urbino wahrzunehmen glaubte, der Preis aber auf zwanzig Zecchinen zu bringen war; ſo ſchwankte ich nicht laͤnger, die- ſes jugendlich anmuthsvolle Bild fuͤr die Sammlungen der Majeſtaͤt des Koͤnigs von Preußen zu erſtehen. Im Muſeo zu Berlin hat es in der erſten Abtheilung die Nummer 222.
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Unter den Truͤmmern einer der aͤlteſten florentiniſchen
Sammlungen fand ich vor einigen Jahren ein rundes Bild,
welches mir in dieſe fruͤhe Epoche Raphaels einzufallen ſchien.
Der Gegenſtand, die Madonna mit beiden Kindern und zween
halberwachſenen Engeln, deren einer das Kind der Mutter
zur Verehrung entgegenhaͤlt, der andere, niederknieend, den
kleinen Johannes dem Jeſuskinde zu empfehlen ſcheint, findet
ſich Stuͤck fuͤr Stuͤck in einem Bilde des Perugino aus ſeiner
beſten Zeit (von 1480—90), gegenwaͤrtig im Hauſe der Gra-
fen Mozzi zu Florenz, bey der Bruͤcke alle grazie. Von die-
ſem Bilde iſt das unſrige eine Art Copie, doch nur der Zu-
ſammenſtellung, der Motive, nicht der Charaktere und einzel-
nen Ausgeſtaltungen in den Lagen, Wendungen, Koͤpfen und
Haͤnden. In dieſen zeigen ſich bey wenig aͤußerer Fertigkeit
ſo viel richtige, tiefbegruͤndete Wuͤnſche und Abſichten, als in
dieſer Epoche und Schule, auf einer ſo beſcheidenen Stufe der
techniſchen Entwickelung, nur dem Raphael beyzumeſſen ſind.
Auch die ungemein ſchoͤne, zierliche Landſchaft, der friſche Lo-
calton der Carnation, die ſaubere Umraͤnderung der Tafel in
glaͤnzendem Schwarz, ſcheinen fuͤr meine Vermuthung zu ſpre-
chen. Da endlich ſelbſt mein Berichtgeber in Dingen der
Stadt Urbino darin eine Annaͤherung an jenes Bildchen zu
Urbino wahrzunehmen glaubte, der Preis aber auf zwanzig
Zecchinen zu bringen war; ſo ſchwankte ich nicht laͤnger, die-
ſes jugendlich anmuthsvolle Bild fuͤr die Sammlungen der
Majeſtaͤt des Koͤnigs von Preußen zu erſtehen. Im Muſeo
zu Berlin hat es in der erſten Abtheilung die Nummer 222.
Mit Sicherheit weiß ich nichts anzufuͤhren, was jenen
fruͤheſten, wohl auch noch bezweifelten Jugendarbeiten unmit-
telbar ſich anſchloͤſſe. Hatte Raphael, wie doch nicht ohne
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/46>, abgerufen am 29.07.2024.
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