dem stattlichen Säulenhalbkreis an der Rückseite der schönen Kirche S. Frediano zu Lucca. Man mag diese luftigen Säu- lengänge auch zur Vertheidigung und zur Lust genutzt haben; denn sicher hatte die halboffene, räumige, auf eckige, schmuck- lose Pilaster gestützte Halle unter dem Giebel der Kirche S. Saba, in den verödeten Theilen Roms, nie den Zweck, die Vorseite zu verschönern, vielmehr einen practischen. Andere Seltsamkeiten und Abweichungen von bis dahin festgehaltenen Ueberlieferungen aus dem christlichen Alterthume erklären sich bequemer und sicherer aus den frey productiven Bestrebungen der tramontanen, besonders der deutschen Steinmetzen und Baukünstler, welche, unabhängig vom täglichen Eindrucke der antiken Denkmale, schon auf eine ganz neue Bauart abzielten. Erweislich haben diese nördlicheren Kunstrichtungen schon seit dem Jahre 1100 auf Italien Einfluß gewonnen.
In Ansehung ihrer größeren Beharrlichkeit beym Alten erhielt sich bey den Byzantinern sicher, bis zur fränkisch-ve- nezianischen Eroberung, die Bauverzierung ungleich mehr in den hergebrachten Formen der christlich-römischen Bauschule. Diese war schon im vierten Jahrhunderte vom Alterthume in vielen Dingen abgewichen. Am Palast Diocletians zu Spa- latro zeigen sich Säulen über Consolen, was indeß nach ei- nem wohlgearbeiteten Fragment im vaticanischen Museo schon ungleich früher gebräuchlich gewesen. Die Bildnerarbeit zu umgehen (deren Schule schon im vierten Jahrhundert und tiefer gesunken war, als jemals die Malerey), schloß man in sehr früher Zeit die Fensteröffnungen durch Bogenconstructio- nen verschiedener Art, beschränkte sich aber zuletzt auf den Halbkreis, unter welchem man zeitig kleinere Säulen anbrachte, sowohl die Füllungsmauer zu unterstützen, als auch die Lä-
dem ſtattlichen Saͤulenhalbkreis an der Ruͤckſeite der ſchoͤnen Kirche S. Frediano zu Lucca. Man mag dieſe luftigen Saͤu- lengaͤnge auch zur Vertheidigung und zur Luſt genutzt haben; denn ſicher hatte die halboffene, raͤumige, auf eckige, ſchmuck- loſe Pilaſter geſtuͤtzte Halle unter dem Giebel der Kirche S. Saba, in den veroͤdeten Theilen Roms, nie den Zweck, die Vorſeite zu verſchoͤnern, vielmehr einen practiſchen. Andere Seltſamkeiten und Abweichungen von bis dahin feſtgehaltenen Ueberlieferungen aus dem chriſtlichen Alterthume erklaͤren ſich bequemer und ſicherer aus den frey productiven Beſtrebungen der tramontanen, beſonders der deutſchen Steinmetzen und Baukuͤnſtler, welche, unabhaͤngig vom taͤglichen Eindrucke der antiken Denkmale, ſchon auf eine ganz neue Bauart abzielten. Erweislich haben dieſe noͤrdlicheren Kunſtrichtungen ſchon ſeit dem Jahre 1100 auf Italien Einfluß gewonnen.
In Anſehung ihrer groͤßeren Beharrlichkeit beym Alten erhielt ſich bey den Byzantinern ſicher, bis zur fraͤnkiſch-ve- nezianiſchen Eroberung, die Bauverzierung ungleich mehr in den hergebrachten Formen der chriſtlich-roͤmiſchen Bauſchule. Dieſe war ſchon im vierten Jahrhunderte vom Alterthume in vielen Dingen abgewichen. Am Palaſt Diocletians zu Spa- latro zeigen ſich Saͤulen uͤber Conſolen, was indeß nach ei- nem wohlgearbeiteten Fragment im vaticaniſchen Muſeo ſchon ungleich fruͤher gebraͤuchlich geweſen. Die Bildnerarbeit zu umgehen (deren Schule ſchon im vierten Jahrhundert und tiefer geſunken war, als jemals die Malerey), ſchloß man in ſehr fruͤher Zeit die Fenſteroͤffnungen durch Bogenconſtructio- nen verſchiedener Art, beſchraͤnkte ſich aber zuletzt auf den Halbkreis, unter welchem man zeitig kleinere Saͤulen anbrachte, ſowohl die Fuͤllungsmauer zu unterſtuͤtzen, als auch die Laͤ-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0236"n="214"/>
dem ſtattlichen Saͤulenhalbkreis an der Ruͤckſeite der ſchoͤnen<lb/>
Kirche S. Frediano zu <placeName>Lucca</placeName>. Man mag dieſe luftigen Saͤu-<lb/>
lengaͤnge auch zur Vertheidigung und zur Luſt genutzt haben;<lb/>
denn ſicher hatte die halboffene, raͤumige, auf eckige, ſchmuck-<lb/>
loſe Pilaſter geſtuͤtzte Halle unter dem Giebel der Kirche S.<lb/>
Saba, in den veroͤdeten Theilen <placeName>Roms</placeName>, nie den Zweck, die<lb/>
Vorſeite zu verſchoͤnern, vielmehr einen practiſchen. Andere<lb/>
Seltſamkeiten und Abweichungen von bis dahin feſtgehaltenen<lb/>
Ueberlieferungen aus dem chriſtlichen Alterthume erklaͤren ſich<lb/>
bequemer und ſicherer aus den frey productiven Beſtrebungen<lb/>
der tramontanen, beſonders der deutſchen Steinmetzen und<lb/>
Baukuͤnſtler, welche, unabhaͤngig vom taͤglichen Eindrucke der<lb/>
antiken Denkmale, ſchon auf eine ganz neue Bauart abzielten.<lb/>
Erweislich haben dieſe noͤrdlicheren Kunſtrichtungen ſchon ſeit<lb/>
dem Jahre 1100 auf <placeName>Italien</placeName> Einfluß gewonnen.</p><lb/><p>In Anſehung ihrer groͤßeren Beharrlichkeit beym Alten<lb/>
erhielt ſich bey den Byzantinern ſicher, bis zur fraͤnkiſch-ve-<lb/>
nezianiſchen Eroberung, die Bauverzierung ungleich mehr in<lb/>
den hergebrachten Formen der chriſtlich-roͤmiſchen Bauſchule.<lb/>
Dieſe war ſchon im vierten Jahrhunderte vom Alterthume in<lb/>
vielen Dingen abgewichen. Am Palaſt <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118679651">Diocletians</persName> zu <placeName>Spa-<lb/>
latro</placeName> zeigen ſich Saͤulen uͤber Conſolen, was indeß nach ei-<lb/>
nem wohlgearbeiteten Fragment im vaticaniſchen Muſeo ſchon<lb/>
ungleich fruͤher gebraͤuchlich geweſen. Die Bildnerarbeit zu<lb/>
umgehen (deren Schule ſchon im vierten Jahrhundert und<lb/>
tiefer geſunken war, als jemals die Malerey), ſchloß man in<lb/>ſehr fruͤher Zeit die Fenſteroͤffnungen durch Bogenconſtructio-<lb/>
nen verſchiedener Art, beſchraͤnkte ſich aber zuletzt auf den<lb/>
Halbkreis, unter welchem man zeitig kleinere Saͤulen anbrachte,<lb/>ſowohl die Fuͤllungsmauer zu unterſtuͤtzen, als auch die Laͤ-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[214/0236]
dem ſtattlichen Saͤulenhalbkreis an der Ruͤckſeite der ſchoͤnen
Kirche S. Frediano zu Lucca. Man mag dieſe luftigen Saͤu-
lengaͤnge auch zur Vertheidigung und zur Luſt genutzt haben;
denn ſicher hatte die halboffene, raͤumige, auf eckige, ſchmuck-
loſe Pilaſter geſtuͤtzte Halle unter dem Giebel der Kirche S.
Saba, in den veroͤdeten Theilen Roms, nie den Zweck, die
Vorſeite zu verſchoͤnern, vielmehr einen practiſchen. Andere
Seltſamkeiten und Abweichungen von bis dahin feſtgehaltenen
Ueberlieferungen aus dem chriſtlichen Alterthume erklaͤren ſich
bequemer und ſicherer aus den frey productiven Beſtrebungen
der tramontanen, beſonders der deutſchen Steinmetzen und
Baukuͤnſtler, welche, unabhaͤngig vom taͤglichen Eindrucke der
antiken Denkmale, ſchon auf eine ganz neue Bauart abzielten.
Erweislich haben dieſe noͤrdlicheren Kunſtrichtungen ſchon ſeit
dem Jahre 1100 auf Italien Einfluß gewonnen.
In Anſehung ihrer groͤßeren Beharrlichkeit beym Alten
erhielt ſich bey den Byzantinern ſicher, bis zur fraͤnkiſch-ve-
nezianiſchen Eroberung, die Bauverzierung ungleich mehr in
den hergebrachten Formen der chriſtlich-roͤmiſchen Bauſchule.
Dieſe war ſchon im vierten Jahrhunderte vom Alterthume in
vielen Dingen abgewichen. Am Palaſt Diocletians zu Spa-
latro zeigen ſich Saͤulen uͤber Conſolen, was indeß nach ei-
nem wohlgearbeiteten Fragment im vaticaniſchen Muſeo ſchon
ungleich fruͤher gebraͤuchlich geweſen. Die Bildnerarbeit zu
umgehen (deren Schule ſchon im vierten Jahrhundert und
tiefer geſunken war, als jemals die Malerey), ſchloß man in
ſehr fruͤher Zeit die Fenſteroͤffnungen durch Bogenconſtructio-
nen verſchiedener Art, beſchraͤnkte ſich aber zuletzt auf den
Halbkreis, unter welchem man zeitig kleinere Saͤulen anbrachte,
ſowohl die Fuͤllungsmauer zu unterſtuͤtzen, als auch die Laͤ-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/236>, abgerufen am 07.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.