Kunst, hatten die Großen ihr gehuldigt, ihr sich gefügt. Bald aber ging man zu einer falschen Zuversicht über, bediente sich der neuen Eroberung als eines sicheren Besitzes, der, einmal erworben, nicht mehr entgehen könne, unterwarf daher die Kunst, der man anfangs mit Ehrfurcht gedient hatte, nun- mehr den Launen und Gelüsten der Macht. Hieraus ent- stand ohne Verschulden des Künstlers: Zusammenstellung des Unvereinbaren (die Logen), Aufopferung des Höheren für Untergeordnetes (Saal der Thierbildungen), endlich, in Folge der Ungeduld nach schneller Befriedigung, der Spärlichkeit der Belohnungen, flüchtigere, vernachlässigte Ausführung (die Lo- gen, die Farnesina, andere Villen, unzählige Staffeleygemälde, selbst die Cartons zu den Tapeten). Die Zeit, in welcher Lionardo da Vinci durch den Adel und das Tiefsinnnige sehr vereinzelter Leistungen, durch seine mannichfaltigen Forschun- gen, die Gunst und den freygebigen Schutz großer Fürsten sich erwerben konnte, war nun vorüber. Man wollte in kur- zer Zeit befriedigt seyn, bey mäßigem Anfwand große Räume durch mancherley Andeutungen ausgefüllt sehn; für die in- nere Fülle und gänzliche Unerschöpflichkeit des Gehaltes wahr- haft vollendeter Kunstwerke verlor sich die Empfänglichkeit mehr und mehr. Es war nicht mehr weit bis zu der Epoche, da Vasari in Aufschriften und in Büchern der Kürze der Zeit sich rühmen durfte, in welcher seinem haltlosen Talent gelun- gen war, ungeheuere Säle und mächtige Triumphbogen durch Figuren ohne Charakter, Leben und Bedeutung auszufüllen. Bey abnehmender Kunstliebe der Menge warben die Künstler um gegenseitigen Neid, oder Beyfall; daher entstand wiederum, den Untergang der Kunst zu beschleunigen, Schulpedanterey und Wetteifer im Paradoxen und Grillenhaften.
III. 10
Kunſt, hatten die Großen ihr gehuldigt, ihr ſich gefuͤgt. Bald aber ging man zu einer falſchen Zuverſicht uͤber, bediente ſich der neuen Eroberung als eines ſicheren Beſitzes, der, einmal erworben, nicht mehr entgehen koͤnne, unterwarf daher die Kunſt, der man anfangs mit Ehrfurcht gedient hatte, nun- mehr den Launen und Geluͤſten der Macht. Hieraus ent- ſtand ohne Verſchulden des Kuͤnſtlers: Zuſammenſtellung des Unvereinbaren (die Logen), Aufopferung des Hoͤheren fuͤr Untergeordnetes (Saal der Thierbildungen), endlich, in Folge der Ungeduld nach ſchneller Befriedigung, der Spaͤrlichkeit der Belohnungen, fluͤchtigere, vernachlaͤſſigte Ausfuͤhrung (die Lo- gen, die Farneſina, andere Villen, unzaͤhlige Staffeleygemaͤlde, ſelbſt die Cartons zu den Tapeten). Die Zeit, in welcher Lionardo da Vinci durch den Adel und das Tiefſinnnige ſehr vereinzelter Leiſtungen, durch ſeine mannichfaltigen Forſchun- gen, die Gunſt und den freygebigen Schutz großer Fuͤrſten ſich erwerben konnte, war nun voruͤber. Man wollte in kur- zer Zeit befriedigt ſeyn, bey maͤßigem Anfwand große Raͤume durch mancherley Andeutungen ausgefuͤllt ſehn; fuͤr die in- nere Fuͤlle und gaͤnzliche Unerſchoͤpflichkeit des Gehaltes wahr- haft vollendeter Kunſtwerke verlor ſich die Empfaͤnglichkeit mehr und mehr. Es war nicht mehr weit bis zu der Epoche, da Vaſari in Aufſchriften und in Buͤchern der Kuͤrze der Zeit ſich ruͤhmen durfte, in welcher ſeinem haltloſen Talent gelun- gen war, ungeheuere Saͤle und maͤchtige Triumphbogen durch Figuren ohne Charakter, Leben und Bedeutung auszufuͤllen. Bey abnehmender Kunſtliebe der Menge warben die Kuͤnſtler um gegenſeitigen Neid, oder Beyfall; daher entſtand wiederum, den Untergang der Kunſt zu beſchleunigen, Schulpedanterey und Wetteifer im Paradoxen und Grillenhaften.
III. 10
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0167"n="145"/>
Kunſt, hatten die Großen ihr gehuldigt, ihr ſich gefuͤgt. Bald<lb/>
aber ging man zu einer falſchen Zuverſicht uͤber, bediente ſich<lb/>
der neuen Eroberung als eines ſicheren Beſitzes, der, einmal<lb/>
erworben, nicht mehr entgehen koͤnne, unterwarf daher die<lb/>
Kunſt, der man anfangs mit Ehrfurcht gedient hatte, nun-<lb/>
mehr den Launen und Geluͤſten der Macht. Hieraus ent-<lb/>ſtand ohne Verſchulden des Kuͤnſtlers: Zuſammenſtellung des<lb/>
Unvereinbaren (die Logen), Aufopferung des Hoͤheren fuͤr<lb/>
Untergeordnetes (Saal der Thierbildungen), endlich, in Folge<lb/>
der Ungeduld nach ſchneller Befriedigung, der Spaͤrlichkeit der<lb/>
Belohnungen, fluͤchtigere, vernachlaͤſſigte Ausfuͤhrung (die Lo-<lb/>
gen, die Farneſina, andere Villen, unzaͤhlige Staffeleygemaͤlde,<lb/>ſelbſt die Cartons zu den Tapeten). Die Zeit, in welcher<lb/><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118640445">Lionardo da Vinci</persName> durch den Adel und das Tiefſinnnige ſehr<lb/>
vereinzelter Leiſtungen, durch ſeine mannichfaltigen Forſchun-<lb/>
gen, die Gunſt und den freygebigen Schutz großer Fuͤrſten<lb/>ſich erwerben konnte, war nun voruͤber. Man wollte in kur-<lb/>
zer Zeit befriedigt ſeyn, bey maͤßigem Anfwand große Raͤume<lb/>
durch mancherley Andeutungen ausgefuͤllt ſehn; fuͤr die in-<lb/>
nere Fuͤlle und gaͤnzliche Unerſchoͤpflichkeit des Gehaltes wahr-<lb/>
haft vollendeter Kunſtwerke verlor ſich die Empfaͤnglichkeit<lb/>
mehr und mehr. Es war nicht mehr weit bis zu der Epoche,<lb/>
da <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Vaſari</persName> in Aufſchriften und in Buͤchern der Kuͤrze der Zeit<lb/>ſich ruͤhmen durfte, in welcher ſeinem haltloſen Talent gelun-<lb/>
gen war, ungeheuere Saͤle und maͤchtige Triumphbogen durch<lb/>
Figuren ohne Charakter, Leben und Bedeutung auszufuͤllen.<lb/>
Bey abnehmender Kunſtliebe der Menge warben die Kuͤnſtler<lb/>
um gegenſeitigen Neid, oder Beyfall; daher entſtand wiederum,<lb/>
den Untergang der Kunſt zu beſchleunigen, Schulpedanterey<lb/>
und Wetteifer im Paradoxen und Grillenhaften.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">III.</hi> 10</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[145/0167]
Kunſt, hatten die Großen ihr gehuldigt, ihr ſich gefuͤgt. Bald
aber ging man zu einer falſchen Zuverſicht uͤber, bediente ſich
der neuen Eroberung als eines ſicheren Beſitzes, der, einmal
erworben, nicht mehr entgehen koͤnne, unterwarf daher die
Kunſt, der man anfangs mit Ehrfurcht gedient hatte, nun-
mehr den Launen und Geluͤſten der Macht. Hieraus ent-
ſtand ohne Verſchulden des Kuͤnſtlers: Zuſammenſtellung des
Unvereinbaren (die Logen), Aufopferung des Hoͤheren fuͤr
Untergeordnetes (Saal der Thierbildungen), endlich, in Folge
der Ungeduld nach ſchneller Befriedigung, der Spaͤrlichkeit der
Belohnungen, fluͤchtigere, vernachlaͤſſigte Ausfuͤhrung (die Lo-
gen, die Farneſina, andere Villen, unzaͤhlige Staffeleygemaͤlde,
ſelbſt die Cartons zu den Tapeten). Die Zeit, in welcher
Lionardo da Vinci durch den Adel und das Tiefſinnnige ſehr
vereinzelter Leiſtungen, durch ſeine mannichfaltigen Forſchun-
gen, die Gunſt und den freygebigen Schutz großer Fuͤrſten
ſich erwerben konnte, war nun voruͤber. Man wollte in kur-
zer Zeit befriedigt ſeyn, bey maͤßigem Anfwand große Raͤume
durch mancherley Andeutungen ausgefuͤllt ſehn; fuͤr die in-
nere Fuͤlle und gaͤnzliche Unerſchoͤpflichkeit des Gehaltes wahr-
haft vollendeter Kunſtwerke verlor ſich die Empfaͤnglichkeit
mehr und mehr. Es war nicht mehr weit bis zu der Epoche,
da Vaſari in Aufſchriften und in Buͤchern der Kuͤrze der Zeit
ſich ruͤhmen durfte, in welcher ſeinem haltloſen Talent gelun-
gen war, ungeheuere Saͤle und maͤchtige Triumphbogen durch
Figuren ohne Charakter, Leben und Bedeutung auszufuͤllen.
Bey abnehmender Kunſtliebe der Menge warben die Kuͤnſtler
um gegenſeitigen Neid, oder Beyfall; daher entſtand wiederum,
den Untergang der Kunſt zu beſchleunigen, Schulpedanterey
und Wetteifer im Paradoxen und Grillenhaften.
III. 10
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/167>, abgerufen am 29.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.