Nackten und der Carnation, das eine vielleicht (wenigstens in der Hand) von Raphael retouchirt, im Uebrigen höchst wahr- scheinlich unter des Meisters Auge angestellte Uebungen nach der bereits etwas veralteten Modella. Denn in so später Zeit bedurfte Raphael schwerlich noch eines Studii dieser schüler- mäßigen Art, welches weder durch den Gegenstand an sich selbst, noch durch geistreich neue, poetisch schöne Auffassung Antheil erweckt. Hoffen wir, daß einige andere jener vom Vasari angedeuteten Studien weiblicher Köpfe noch immer sich erhalten haben und noch einmal wiederum an das Licht treten werden.
Einige Spur der noch jugendlichen Züge der Fornarina glauben die Künstler und Kenner auch in der bekannten Ma- donna della Seggiola, jetzt in der Gallerie des Palast Pitti, in so weit die Allgemeinheit des Gegenstandes solches gestat- tet, wiederaufzufinden. Ueberhaupt scheint dieses Bild in der Zeit gemalt zu seyn, als Raphael, mit der Schule von Athen beschäftigt, an schweren Zeugen und vollen Gewandmassen, auch an breiten Formen und weichem Vertreiben, vorüberge- hend Geschmack gewonnen hatte. Unmittelbar nach seiner Ankunft in Rom nahm die Malerey auf der Mauer, eben weil sie ihm neu, die Unternehmung unermeßlich, sein Gönner voll Ungeduld war, ihn sicher eine längere Zeit ausschließlich in Anspruch. Zeigt nun die Madonna della Seggiola, bey so feinem Verständniß der Formen, doch eine gewisse Schüch- ternheit des Pinsels, so möchte die Vermuthung nicht so ge- wagt seyn, Raphael habe sie, nach längerer Versäumniß der Oelmalerey, etwa im Jahre 1510 gemalt. Wie bald indeß er dieser Manier (wenn jene Vermuthung haltbar ist) die alte Fertigkeit wieder abgewonnen, bezeugt, nächst jenen
Nackten und der Carnation, das eine vielleicht (wenigſtens in der Hand) von Raphael retouchirt, im Uebrigen hoͤchſt wahr- ſcheinlich unter des Meiſters Auge angeſtellte Uebungen nach der bereits etwas veralteten Modella. Denn in ſo ſpaͤter Zeit bedurfte Raphael ſchwerlich noch eines Studii dieſer ſchuͤler- maͤßigen Art, welches weder durch den Gegenſtand an ſich ſelbſt, noch durch geiſtreich neue, poetiſch ſchoͤne Auffaſſung Antheil erweckt. Hoffen wir, daß einige andere jener vom Vaſari angedeuteten Studien weiblicher Koͤpfe noch immer ſich erhalten haben und noch einmal wiederum an das Licht treten werden.
Einige Spur der noch jugendlichen Zuͤge der Fornarina glauben die Kuͤnſtler und Kenner auch in der bekannten Ma- donna della Seggiola, jetzt in der Gallerie des Palaſt Pitti, in ſo weit die Allgemeinheit des Gegenſtandes ſolches geſtat- tet, wiederaufzufinden. Ueberhaupt ſcheint dieſes Bild in der Zeit gemalt zu ſeyn, als Raphael, mit der Schule von Athen beſchaͤftigt, an ſchweren Zeugen und vollen Gewandmaſſen, auch an breiten Formen und weichem Vertreiben, voruͤberge- hend Geſchmack gewonnen hatte. Unmittelbar nach ſeiner Ankunft in Rom nahm die Malerey auf der Mauer, eben weil ſie ihm neu, die Unternehmung unermeßlich, ſein Goͤnner voll Ungeduld war, ihn ſicher eine laͤngere Zeit ausſchließlich in Anſpruch. Zeigt nun die Madonna della Seggiola, bey ſo feinem Verſtaͤndniß der Formen, doch eine gewiſſe Schuͤch- ternheit des Pinſels, ſo moͤchte die Vermuthung nicht ſo ge- wagt ſeyn, Raphael habe ſie, nach laͤngerer Verſaͤumniß der Oelmalerey, etwa im Jahre 1510 gemalt. Wie bald indeß er dieſer Manier (wenn jene Vermuthung haltbar iſt) die alte Fertigkeit wieder abgewonnen, bezeugt, naͤchſt jenen
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Nackten und der Carnation, das eine vielleicht (wenigſtens in
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ſcheinlich unter des Meiſters Auge angeſtellte Uebungen nach
der bereits etwas veralteten Modella. Denn in ſo ſpaͤter Zeit
bedurfte Raphael ſchwerlich noch eines Studii dieſer ſchuͤler-
maͤßigen Art, welches weder durch den Gegenſtand an ſich
ſelbſt, noch durch geiſtreich neue, poetiſch ſchoͤne Auffaſſung
Antheil erweckt. Hoffen wir, daß einige andere jener vom
Vaſari angedeuteten Studien weiblicher Koͤpfe noch immer
ſich erhalten haben und noch einmal wiederum an das Licht
treten werden.
Einige Spur der noch jugendlichen Zuͤge der Fornarina
glauben die Kuͤnſtler und Kenner auch in der bekannten Ma-
donna della Seggiola, jetzt in der Gallerie des Palaſt Pitti,
in ſo weit die Allgemeinheit des Gegenſtandes ſolches geſtat-
tet, wiederaufzufinden. Ueberhaupt ſcheint dieſes Bild in der
Zeit gemalt zu ſeyn, als Raphael, mit der Schule von Athen
beſchaͤftigt, an ſchweren Zeugen und vollen Gewandmaſſen,
auch an breiten Formen und weichem Vertreiben, voruͤberge-
hend Geſchmack gewonnen hatte. Unmittelbar nach ſeiner
Ankunft in Rom nahm die Malerey auf der Mauer, eben
weil ſie ihm neu, die Unternehmung unermeßlich, ſein Goͤnner
voll Ungeduld war, ihn ſicher eine laͤngere Zeit ausſchließlich
in Anſpruch. Zeigt nun die Madonna della Seggiola, bey
ſo feinem Verſtaͤndniß der Formen, doch eine gewiſſe Schuͤch-
ternheit des Pinſels, ſo moͤchte die Vermuthung nicht ſo ge-
wagt ſeyn, Raphael habe ſie, nach laͤngerer Verſaͤumniß der
Oelmalerey, etwa im Jahre 1510 gemalt. Wie bald indeß
er dieſer Manier (wenn jene Vermuthung haltbar iſt) die
alte Fertigkeit wieder abgewonnen, bezeugt, naͤchſt jenen
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/139>, abgerufen am 07.07.2024.
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