Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

ten, sogar seine eigenen Beyspiele noch vermehren dürfen, in-
dem wir darauf hinweisen, daß Raphael des Buonarota un-
übertreffliche Auffassung des erzväterlichen Wesens als vorbild-
lich, typisch, angesehn und bey verwandten Aufgaben (in
den Logen, an der Decke der zweyten Stanza) ihr sich an-
geschlossen habe. Allein es ist an dieser Stelle unsere aus-
schließliche Aufgabe, zu finden, ob, und in wiefern Michelan-
gelo
, oder im Gegentheil Raphael, die Entstehung und Aus-
bildung der schönen neuen Manier thätiger gefördert habe.

Wer nun von beiden wird dem anderen in der Auffin-
dung eines rein malerischen Princips vorangegangen seyn?
Der Bildner, welcher nur als Dilettant die einzige Manier
a tempera getrieben? oder vielmehr der Maler von Zunft
und Gewerb? -- Wir besitzen einige malerische Versuche des
Michelangelo, welche in die Jahre 1500 bis 1506 fallen:
das Rund a tempera in der florentinischen Gallerie (1503);
das (wohl ältere) schönere, halbbeendigte Gemälde a tem-
pera,
sonst im Besitze der Madame Day zu Rom, jetzt in
England; den Carton einer Madonna, Vorbereitung zu einem
Gemälde, beym Cavaliere Buonaroti zu Florenz; das Blatt
des Marcanton, ein anderes vom Veneziano, nach Theilen
des untergegangenen Carton von Pisa. Diese Arbeiten gehö-
ren indeß, was die Malerey angeht, sämmtlich dem strengen
Style. Hingegen verräth sich das Hereinbrechen des maleri-
schen Geschmackes bereits in Raphaels Glorie von 1505, in
dessen flüchtigeren, vor seiner Versetzung nach Rom entworfe-
nen, oder ganz beendigten Gemälden, besonders in der camera
della segnatura,
welche der sixtinischen Kappelle vorangeht;
während in dieser nicht der Spiegel des Gewölbes (noth-
wendig, was Vasari die ältere, zuerst vollendete und vorläu-

fig

ten, ſogar ſeine eigenen Beyſpiele noch vermehren duͤrfen, in-
dem wir darauf hinweiſen, daß Raphael des Buonarota un-
uͤbertreffliche Auffaſſung des erzvaͤterlichen Weſens als vorbild-
lich, typiſch, angeſehn und bey verwandten Aufgaben (in
den Logen, an der Decke der zweyten Stanza) ihr ſich an-
geſchloſſen habe. Allein es iſt an dieſer Stelle unſere aus-
ſchließliche Aufgabe, zu finden, ob, und in wiefern Michelan-
gelo
, oder im Gegentheil Raphael, die Entſtehung und Aus-
bildung der ſchoͤnen neuen Manier thaͤtiger gefoͤrdert habe.

Wer nun von beiden wird dem anderen in der Auffin-
dung eines rein maleriſchen Princips vorangegangen ſeyn?
Der Bildner, welcher nur als Dilettant die einzige Manier
a tempera getrieben? oder vielmehr der Maler von Zunft
und Gewerb? — Wir beſitzen einige maleriſche Verſuche des
Michelangelo, welche in die Jahre 1500 bis 1506 fallen:
das Rund a tempera in der florentiniſchen Gallerie (1503);
das (wohl aͤltere) ſchoͤnere, halbbeendigte Gemaͤlde a tem-
pera,
ſonſt im Beſitze der Madame Day zu Rom, jetzt in
England; den Carton einer Madonna, Vorbereitung zu einem
Gemaͤlde, beym Cavaliere Buonaroti zu Florenz; das Blatt
des Marcanton, ein anderes vom Veneziano, nach Theilen
des untergegangenen Carton von Piſa. Dieſe Arbeiten gehoͤ-
ren indeß, was die Malerey angeht, ſaͤmmtlich dem ſtrengen
Style. Hingegen verraͤth ſich das Hereinbrechen des maleri-
ſchen Geſchmackes bereits in Raphaels Glorie von 1505, in
deſſen fluͤchtigeren, vor ſeiner Verſetzung nach Rom entworfe-
nen, oder ganz beendigten Gemaͤlden, beſonders in der camera
della segnatura,
welche der ſixtiniſchen Kappelle vorangeht;
waͤhrend in dieſer nicht der Spiegel des Gewoͤlbes (noth-
wendig, was Vaſari die aͤltere, zuerſt vollendete und vorlaͤu-

fig
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0118" n="96"/>
ten, &#x017F;ogar &#x017F;eine eigenen Bey&#x017F;piele noch vermehren du&#x0364;rfen, in-<lb/>
dem wir darauf hinwei&#x017F;en, daß <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118582143">Buonarota</persName> un-<lb/>
u&#x0364;bertreffliche Auffa&#x017F;&#x017F;ung des erzva&#x0364;terlichen We&#x017F;ens als vorbild-<lb/>
lich, typi&#x017F;ch, ange&#x017F;ehn und bey verwandten Aufgaben (in<lb/>
den Logen, an der Decke der zweyten Stanza) ihr &#x017F;ich an-<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en habe. Allein es i&#x017F;t an die&#x017F;er Stelle un&#x017F;ere aus-<lb/>
&#x017F;chließliche Aufgabe, zu finden, ob, und in wiefern <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118582143">Michelan-<lb/>
gelo</persName>, oder im Gegentheil <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName>, die Ent&#x017F;tehung und Aus-<lb/>
bildung der &#x017F;cho&#x0364;nen neuen Manier tha&#x0364;tiger gefo&#x0364;rdert habe.</p><lb/>
            <p>Wer nun von beiden wird dem anderen in der Auffin-<lb/>
dung eines rein maleri&#x017F;chen Princips vorangegangen &#x017F;eyn?<lb/>
Der Bildner, welcher nur als Dilettant die einzige Manier<lb/><hi rendition="#aq">a tempera</hi> getrieben? oder vielmehr der Maler von Zunft<lb/>
und Gewerb? &#x2014; Wir be&#x017F;itzen einige maleri&#x017F;che Ver&#x017F;uche des<lb/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118582143">Michelangelo</persName>, welche in die Jahre 1500 bis 1506 fallen:<lb/>
das Rund <hi rendition="#aq">a tempera</hi> in der florentini&#x017F;chen Gallerie (1503);<lb/>
das (wohl a&#x0364;ltere) &#x017F;cho&#x0364;nere, halbbeendigte Gema&#x0364;lde <hi rendition="#aq">a tem-<lb/>
pera,</hi> &#x017F;on&#x017F;t im Be&#x017F;itze der Madame <persName ref="nognd">Day</persName> zu <placeName>Rom</placeName>, jetzt in<lb/><placeName>England</placeName>; den Carton einer Madonna, Vorbereitung zu einem<lb/>
Gema&#x0364;lde, beym Cavaliere <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118582143">Buonaroti</persName> zu <placeName>Florenz</placeName>; das Blatt<lb/>
des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118787748">Marcanton</persName>, ein anderes vom Veneziano, nach Theilen<lb/>
des untergegangenen Carton von <placeName>Pi&#x017F;a</placeName>. Die&#x017F;e Arbeiten geho&#x0364;-<lb/>
ren indeß, was die Malerey angeht, &#x017F;a&#x0364;mmtlich dem &#x017F;trengen<lb/>
Style. Hingegen verra&#x0364;th &#x017F;ich das Hereinbrechen des maleri-<lb/>
&#x017F;chen Ge&#x017F;chmackes bereits in <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphaels</persName> Glorie von 1505, in<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en flu&#x0364;chtigeren, vor &#x017F;einer Ver&#x017F;etzung nach <placeName>Rom</placeName> entworfe-<lb/>
nen, oder ganz beendigten Gema&#x0364;lden, be&#x017F;onders in der <hi rendition="#aq">camera<lb/>
della segnatura,</hi> welche der &#x017F;ixtini&#x017F;chen Kappelle vorangeht;<lb/>
wa&#x0364;hrend in die&#x017F;er nicht der Spiegel des Gewo&#x0364;lbes (noth-<lb/>
wendig, was <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Va&#x017F;ari</persName> die a&#x0364;ltere, zuer&#x017F;t vollendete und vorla&#x0364;u-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fig</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0118] ten, ſogar ſeine eigenen Beyſpiele noch vermehren duͤrfen, in- dem wir darauf hinweiſen, daß Raphael des Buonarota un- uͤbertreffliche Auffaſſung des erzvaͤterlichen Weſens als vorbild- lich, typiſch, angeſehn und bey verwandten Aufgaben (in den Logen, an der Decke der zweyten Stanza) ihr ſich an- geſchloſſen habe. Allein es iſt an dieſer Stelle unſere aus- ſchließliche Aufgabe, zu finden, ob, und in wiefern Michelan- gelo, oder im Gegentheil Raphael, die Entſtehung und Aus- bildung der ſchoͤnen neuen Manier thaͤtiger gefoͤrdert habe. Wer nun von beiden wird dem anderen in der Auffin- dung eines rein maleriſchen Princips vorangegangen ſeyn? Der Bildner, welcher nur als Dilettant die einzige Manier a tempera getrieben? oder vielmehr der Maler von Zunft und Gewerb? — Wir beſitzen einige maleriſche Verſuche des Michelangelo, welche in die Jahre 1500 bis 1506 fallen: das Rund a tempera in der florentiniſchen Gallerie (1503); das (wohl aͤltere) ſchoͤnere, halbbeendigte Gemaͤlde a tem- pera, ſonſt im Beſitze der Madame Day zu Rom, jetzt in England; den Carton einer Madonna, Vorbereitung zu einem Gemaͤlde, beym Cavaliere Buonaroti zu Florenz; das Blatt des Marcanton, ein anderes vom Veneziano, nach Theilen des untergegangenen Carton von Piſa. Dieſe Arbeiten gehoͤ- ren indeß, was die Malerey angeht, ſaͤmmtlich dem ſtrengen Style. Hingegen verraͤth ſich das Hereinbrechen des maleri- ſchen Geſchmackes bereits in Raphaels Glorie von 1505, in deſſen fluͤchtigeren, vor ſeiner Verſetzung nach Rom entworfe- nen, oder ganz beendigten Gemaͤlden, beſonders in der camera della segnatura, welche der ſixtiniſchen Kappelle vorangeht; waͤhrend in dieſer nicht der Spiegel des Gewoͤlbes (noth- wendig, was Vaſari die aͤltere, zuerſt vollendete und vorlaͤu- fig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/118
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/118>, abgerufen am 27.11.2024.