welche aus breiteren Licht- und Schattenmassen, mannichfachen Abstufungen und Uebergängen entsteht, Schmelz, Harmonie, Ton, Luftperspectiv, Helldunkel und anderes dem malerischen Reize Untergeordnete von nun an die größte ästhetische Wich- tigkeit, ward in der Theorie sogar dem Charakter, dem Aus- druck, überhaupt solchem, was in Kunstwerken den äußeren Sinn kaum noch berührt, hingegen schon den Geist erfüllt, das Gemüth hinreißt, ganz gleichgestellt. Aus diesem neuen Gesichtspunkte angesehen, mußten Raphaels ältere Arbeiten hart, gezwungen, ungefällig erscheinen, nur die späteren, ma- lerischen, vollen Beyfall erlangen.
Nichts liegt mir entfernter, als dem malerischen Reize seinen eigenthümlichen Werth abzusprechen, zu bestreiten, daß er schon für sich selbst, wie bey den Holländern der guten Schule, höchlich erfreuen könne. Allein, wie die Einführung dieses neuen Schönheitselementes jene antike Abgemessenheit, welche die Disputa in so großer Vollkommenheit darlegt, noth- wendig aus der neueren Kunst verdrängen mußte, so wirkte sie auch im Einzelnen nicht durchhin günstig. Einleuchtend vermag man Uebergang und Schmelz nur durch einen flüch- tigeren Zug der Hand, die breiteren Massen von Licht und Schatten nur durch erhebliche Vereinfachungen in der Ein- theilung der Flächen hervorzubringen. Also konnte der Künst- ler dem neuen malerischen Bestreben sich nicht hingeben, ohne zugleich, wie es geschehen ist, von den schlanken, gelenkigen Gestalten zu schweren und gedrängten überzugehen; in der flüch- tigeren Behandlung aber mußten unumgänglich viele Feinheiten der Absicht sich verlieren. Freylich hat Raphael selbst in sei- nen spätesten Arbeiten höhere Eigenschaften nie gänzlich dem malerischen Reize aufgeopfert; verglichen mit seinen Zeitge-
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welche aus breiteren Licht- und Schattenmaſſen, mannichfachen Abſtufungen und Uebergaͤngen entſteht, Schmelz, Harmonie, Ton, Luftperſpectiv, Helldunkel und anderes dem maleriſchen Reize Untergeordnete von nun an die groͤßte aͤſthetiſche Wich- tigkeit, ward in der Theorie ſogar dem Charakter, dem Aus- druck, uͤberhaupt ſolchem, was in Kunſtwerken den aͤußeren Sinn kaum noch beruͤhrt, hingegen ſchon den Geiſt erfuͤllt, das Gemuͤth hinreißt, ganz gleichgeſtellt. Aus dieſem neuen Geſichtspunkte angeſehen, mußten Raphaels aͤltere Arbeiten hart, gezwungen, ungefaͤllig erſcheinen, nur die ſpaͤteren, ma- leriſchen, vollen Beyfall erlangen.
Nichts liegt mir entfernter, als dem maleriſchen Reize ſeinen eigenthuͤmlichen Werth abzuſprechen, zu beſtreiten, daß er ſchon fuͤr ſich ſelbſt, wie bey den Hollaͤndern der guten Schule, hoͤchlich erfreuen koͤnne. Allein, wie die Einfuͤhrung dieſes neuen Schoͤnheitselementes jene antike Abgemeſſenheit, welche die Diſputa in ſo großer Vollkommenheit darlegt, noth- wendig aus der neueren Kunſt verdraͤngen mußte, ſo wirkte ſie auch im Einzelnen nicht durchhin guͤnſtig. Einleuchtend vermag man Uebergang und Schmelz nur durch einen fluͤch- tigeren Zug der Hand, die breiteren Maſſen von Licht und Schatten nur durch erhebliche Vereinfachungen in der Ein- theilung der Flaͤchen hervorzubringen. Alſo konnte der Kuͤnſt- ler dem neuen maleriſchen Beſtreben ſich nicht hingeben, ohne zugleich, wie es geſchehen iſt, von den ſchlanken, gelenkigen Geſtalten zu ſchweren und gedraͤngten uͤberzugehen; in der fluͤch- tigeren Behandlung aber mußten unumgaͤnglich viele Feinheiten der Abſicht ſich verlieren. Freylich hat Raphael ſelbſt in ſei- nen ſpaͤteſten Arbeiten hoͤhere Eigenſchaften nie gaͤnzlich dem maleriſchen Reize aufgeopfert; verglichen mit ſeinen Zeitge-
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welche aus breiteren Licht- und Schattenmaſſen, mannichfachen
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Reize Untergeordnete von nun an die groͤßte aͤſthetiſche Wich-
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druck, uͤberhaupt ſolchem, was in Kunſtwerken den aͤußeren
Sinn kaum noch beruͤhrt, hingegen ſchon den Geiſt erfuͤllt,
das Gemuͤth hinreißt, ganz gleichgeſtellt. Aus dieſem neuen
Geſichtspunkte angeſehen, mußten Raphaels aͤltere Arbeiten
hart, gezwungen, ungefaͤllig erſcheinen, nur die ſpaͤteren, ma-
leriſchen, vollen Beyfall erlangen.
Nichts liegt mir entfernter, als dem maleriſchen Reize
ſeinen eigenthuͤmlichen Werth abzuſprechen, zu beſtreiten, daß
er ſchon fuͤr ſich ſelbſt, wie bey den Hollaͤndern der guten
Schule, hoͤchlich erfreuen koͤnne. Allein, wie die Einfuͤhrung
dieſes neuen Schoͤnheitselementes jene antike Abgemeſſenheit,
welche die Diſputa in ſo großer Vollkommenheit darlegt, noth-
wendig aus der neueren Kunſt verdraͤngen mußte, ſo wirkte
ſie auch im Einzelnen nicht durchhin guͤnſtig. Einleuchtend
vermag man Uebergang und Schmelz nur durch einen fluͤch-
tigeren Zug der Hand, die breiteren Maſſen von Licht und
Schatten nur durch erhebliche Vereinfachungen in der Ein-
theilung der Flaͤchen hervorzubringen. Alſo konnte der Kuͤnſt-
ler dem neuen maleriſchen Beſtreben ſich nicht hingeben, ohne
zugleich, wie es geſchehen iſt, von den ſchlanken, gelenkigen
Geſtalten zu ſchweren und gedraͤngten uͤberzugehen; in der fluͤch-
tigeren Behandlung aber mußten unumgaͤnglich viele Feinheiten
der Abſicht ſich verlieren. Freylich hat Raphael ſelbſt in ſei-
nen ſpaͤteſten Arbeiten hoͤhere Eigenſchaften nie gaͤnzlich dem
maleriſchen Reize aufgeopfert; verglichen mit ſeinen Zeitge-
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/105>, abgerufen am 07.07.2024.
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