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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

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rücksichtigung gewürdigt, auch wohl, da ein Extrem das an-
dere hervorruft, überschätzt werden. Freylich ward jenes an-
tike Bestreben nach Schönheit der linearischen Anordnung schon
im funfzehnten Jahrhundert, oder in der Epoche fortgehender
Erweiterungen des Kunstgebietes, in verschiedenen Schulen,
vornehmlich den florentinischen, durch Theilung der Aufmerk-
samkeit in den Hintergrund gedrängt; indeß bewahrte es Pe-
rugino
in großer Reinheit, ward es durch ihn auf Raphael
fortgepflanzt, dessen Jugendwerke, wie in vielen anderen Be-
ziehungen, so besonders in dieser, wie ich bereits erinnert habe,
wahrhaft bezaubern. In der Disputa und in den Gemälden
an der Decke desselben Zimmers ließ Raphael jene antike Ge-
messenheit zum letzten Male über jede andere Berücksichtigung
vorwalten, unterwarf ihr noch ein Mal seine der erreichbaren
Höhe schon nahe stehende Meisterschaft. Also mußten Werke,
welche auch in anderen Dingen bereits die kühnsten Wünsche
erfüllen, denen, welche den antiken Sinn für schöne Abge-
messenheit in sich belebt, oder ihn von der Natur empfangen
hatten, nothwendig die schönsten, vollkommensten Leistungen
der neueren Kunst seyn.

Nun erheischt die Hervorbringung dieser Schönheit sicht-
lich ein deutliches Hervorheben der Linie, Absetzen der Flä-
chen, also eine gewisse an Härte grenzende Bestimmtheit,
welche Allem, was der sinnlichen Erscheinung malerischer
Kunstwerke Annehmlichkeit giebt, häufig geradehin entgegen-
steht. Für diese letzte ward aber durch Umstände, welche um
einige Zeilen später uns beschäftigen werden, eben als Ra-
phael
an der camera della segnatura fortarbeitete, der Sinn
lebhafter, als jemals in den vorangegangenen Zeiten, ange-
regt. Es erlangte daher jene rein sinnliche Annehmlichkeit,

ruͤckſichtigung gewuͤrdigt, auch wohl, da ein Extrem das an-
dere hervorruft, uͤberſchaͤtzt werden. Freylich ward jenes an-
tike Beſtreben nach Schoͤnheit der lineariſchen Anordnung ſchon
im funfzehnten Jahrhundert, oder in der Epoche fortgehender
Erweiterungen des Kunſtgebietes, in verſchiedenen Schulen,
vornehmlich den florentiniſchen, durch Theilung der Aufmerk-
ſamkeit in den Hintergrund gedraͤngt; indeß bewahrte es Pe-
rugino
in großer Reinheit, ward es durch ihn auf Raphael
fortgepflanzt, deſſen Jugendwerke, wie in vielen anderen Be-
ziehungen, ſo beſonders in dieſer, wie ich bereits erinnert habe,
wahrhaft bezaubern. In der Diſputa und in den Gemaͤlden
an der Decke deſſelben Zimmers ließ Raphael jene antike Ge-
meſſenheit zum letzten Male uͤber jede andere Beruͤckſichtigung
vorwalten, unterwarf ihr noch ein Mal ſeine der erreichbaren
Hoͤhe ſchon nahe ſtehende Meiſterſchaft. Alſo mußten Werke,
welche auch in anderen Dingen bereits die kuͤhnſten Wuͤnſche
erfuͤllen, denen, welche den antiken Sinn fuͤr ſchoͤne Abge-
meſſenheit in ſich belebt, oder ihn von der Natur empfangen
hatten, nothwendig die ſchoͤnſten, vollkommenſten Leiſtungen
der neueren Kunſt ſeyn.

Nun erheiſcht die Hervorbringung dieſer Schoͤnheit ſicht-
lich ein deutliches Hervorheben der Linie, Abſetzen der Flaͤ-
chen, alſo eine gewiſſe an Haͤrte grenzende Beſtimmtheit,
welche Allem, was der ſinnlichen Erſcheinung maleriſcher
Kunſtwerke Annehmlichkeit giebt, haͤufig geradehin entgegen-
ſteht. Fuͤr dieſe letzte ward aber durch Umſtaͤnde, welche um
einige Zeilen ſpaͤter uns beſchaͤftigen werden, eben als Ra-
phael
an der camera della segnatura fortarbeitete, der Sinn
lebhafter, als jemals in den vorangegangenen Zeiten, ange-
regt. Es erlangte daher jene rein ſinnliche Annehmlichkeit,

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[82/0104] ruͤckſichtigung gewuͤrdigt, auch wohl, da ein Extrem das an- dere hervorruft, uͤberſchaͤtzt werden. Freylich ward jenes an- tike Beſtreben nach Schoͤnheit der lineariſchen Anordnung ſchon im funfzehnten Jahrhundert, oder in der Epoche fortgehender Erweiterungen des Kunſtgebietes, in verſchiedenen Schulen, vornehmlich den florentiniſchen, durch Theilung der Aufmerk- ſamkeit in den Hintergrund gedraͤngt; indeß bewahrte es Pe- rugino in großer Reinheit, ward es durch ihn auf Raphael fortgepflanzt, deſſen Jugendwerke, wie in vielen anderen Be- ziehungen, ſo beſonders in dieſer, wie ich bereits erinnert habe, wahrhaft bezaubern. In der Diſputa und in den Gemaͤlden an der Decke deſſelben Zimmers ließ Raphael jene antike Ge- meſſenheit zum letzten Male uͤber jede andere Beruͤckſichtigung vorwalten, unterwarf ihr noch ein Mal ſeine der erreichbaren Hoͤhe ſchon nahe ſtehende Meiſterſchaft. Alſo mußten Werke, welche auch in anderen Dingen bereits die kuͤhnſten Wuͤnſche erfuͤllen, denen, welche den antiken Sinn fuͤr ſchoͤne Abge- meſſenheit in ſich belebt, oder ihn von der Natur empfangen hatten, nothwendig die ſchoͤnſten, vollkommenſten Leiſtungen der neueren Kunſt ſeyn. Nun erheiſcht die Hervorbringung dieſer Schoͤnheit ſicht- lich ein deutliches Hervorheben der Linie, Abſetzen der Flaͤ- chen, alſo eine gewiſſe an Haͤrte grenzende Beſtimmtheit, welche Allem, was der ſinnlichen Erſcheinung maleriſcher Kunſtwerke Annehmlichkeit giebt, haͤufig geradehin entgegen- ſteht. Fuͤr dieſe letzte ward aber durch Umſtaͤnde, welche um einige Zeilen ſpaͤter uns beſchaͤftigen werden, eben als Ra- phael an der camera della segnatura fortarbeitete, der Sinn lebhafter, als jemals in den vorangegangenen Zeiten, ange- regt. Es erlangte daher jene rein ſinnliche Annehmlichkeit,

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/104>, abgerufen am 27.11.2024.