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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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schlangen nur um so mehr Arbeit, als man aus ihrem Leben
noch jedes kleinen Umstandes sich erinnerte und in der An-
spielung auf ihre mannichfaltigsten Verdienste in der ersten
Wärme ganz unerschöpflich war. Daher ward Giotto, nach-
dem er, sey es durch Lauigkeit, oder durch äußeren Zwang,
oder auch durch ein zufälliges Zusammentreffen beider Ursa-
chen der älteren Richtung entrückt worden, fast durchhin auf
Handlungen und Allegorieen angewiesen, für weiche er sicher
nicht begeistert war, welche nur in so fern für ihn Werth ha-
ben konnten, als sie menschliche Beziehungen und Handlun-
gen einschlossen, denen er in der That, nach Maßgabe der
Ausbildung seiner Darstellung, viel Wahrheit und Stärke
gegeben.

Also wird die Umwälzung, welche die Zeitgenossen des
Giotto andeuten, von einigen technischen Aenderungen abge-
sehn, besonders darauf beruhen, daß Giotto die Richtung sei-
ner Vorgänger auf edle Ausbildung heiliger und göttlicher
Charaktere, wenn auch nicht ganz aufgegeben, doch hintange-
setzt, hingegen die italienische Malerey zur Darstellung von
Handlungen und Affecten hinübergelenkt hat, in denen, nach
dem Wesen des Mönchthumes, das Burleske neben dem Pa-
thetischen Raum fand. *) Die Natürlichkeit, welche die Zeit-

*) Nicht, um in die üblichen Declamationen gegen ein histo-
risch denkwürdiges, einflußreiches Institut einzustimmen, nur weil
es gilt, dessen Verhältniß zur neueren Malerey richtig aufzufassen,
bringe ich hier das Heitere und gutmüthig Lächerliche in Erinne-
rung, welches der weltlichen Unbehülflichkeit ächter, einfältig from-
mer Mönche anhängt; welches die italienische Malerey von jeher
vielfältig benutzt hat; der Spanier nicht zu gedenken, deren dra-
matische Dichter, obwohl die größesten selbst Mönche waren, aus
demselben naiv Burlesken häufig genug Vortheil gezogen. -- Obige

ſchlangen nur um ſo mehr Arbeit, als man aus ihrem Leben
noch jedes kleinen Umſtandes ſich erinnerte und in der An-
ſpielung auf ihre mannichfaltigſten Verdienſte in der erſten
Waͤrme ganz unerſchoͤpflich war. Daher ward Giotto, nach-
dem er, ſey es durch Lauigkeit, oder durch aͤußeren Zwang,
oder auch durch ein zufaͤlliges Zuſammentreffen beider Urſa-
chen der aͤlteren Richtung entruͤckt worden, faſt durchhin auf
Handlungen und Allegorieen angewieſen, fuͤr weiche er ſicher
nicht begeiſtert war, welche nur in ſo fern fuͤr ihn Werth ha-
ben konnten, als ſie menſchliche Beziehungen und Handlun-
gen einſchloſſen, denen er in der That, nach Maßgabe der
Ausbildung ſeiner Darſtellung, viel Wahrheit und Staͤrke
gegeben.

Alſo wird die Umwaͤlzung, welche die Zeitgenoſſen des
Giotto andeuten, von einigen techniſchen Aenderungen abge-
ſehn, beſonders darauf beruhen, daß Giotto die Richtung ſei-
ner Vorgaͤnger auf edle Ausbildung heiliger und goͤttlicher
Charaktere, wenn auch nicht ganz aufgegeben, doch hintange-
ſetzt, hingegen die italieniſche Malerey zur Darſtellung von
Handlungen und Affecten hinuͤbergelenkt hat, in denen, nach
dem Weſen des Moͤnchthumes, das Burleske neben dem Pa-
thetiſchen Raum fand. *) Die Natuͤrlichkeit, welche die Zeit-

*) Nicht, um in die uͤblichen Declamationen gegen ein hiſto-
riſch denkwuͤrdiges, einflußreiches Inſtitut einzuſtimmen, nur weil
es gilt, deſſen Verhaͤltniß zur neueren Malerey richtig aufzufaſſen,
bringe ich hier das Heitere und gutmuͤthig Laͤcherliche in Erinne-
rung, welches der weltlichen Unbehuͤlflichkeit aͤchter, einfaͤltig from-
mer Moͤnche anhaͤngt; welches die italieniſche Malerey von jeher
vielfaͤltig benutzt hat; der Spanier nicht zu gedenken, deren dra-
matiſche Dichter, obwohl die groͤßeſten ſelbſt Moͤnche waren, aus
demſelben naiv Burlesken haͤufig genug Vortheil gezogen. — Obige
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[56/0074] ſchlangen nur um ſo mehr Arbeit, als man aus ihrem Leben noch jedes kleinen Umſtandes ſich erinnerte und in der An- ſpielung auf ihre mannichfaltigſten Verdienſte in der erſten Waͤrme ganz unerſchoͤpflich war. Daher ward Giotto, nach- dem er, ſey es durch Lauigkeit, oder durch aͤußeren Zwang, oder auch durch ein zufaͤlliges Zuſammentreffen beider Urſa- chen der aͤlteren Richtung entruͤckt worden, faſt durchhin auf Handlungen und Allegorieen angewieſen, fuͤr weiche er ſicher nicht begeiſtert war, welche nur in ſo fern fuͤr ihn Werth ha- ben konnten, als ſie menſchliche Beziehungen und Handlun- gen einſchloſſen, denen er in der That, nach Maßgabe der Ausbildung ſeiner Darſtellung, viel Wahrheit und Staͤrke gegeben. Alſo wird die Umwaͤlzung, welche die Zeitgenoſſen des Giotto andeuten, von einigen techniſchen Aenderungen abge- ſehn, beſonders darauf beruhen, daß Giotto die Richtung ſei- ner Vorgaͤnger auf edle Ausbildung heiliger und goͤttlicher Charaktere, wenn auch nicht ganz aufgegeben, doch hintange- ſetzt, hingegen die italieniſche Malerey zur Darſtellung von Handlungen und Affecten hinuͤbergelenkt hat, in denen, nach dem Weſen des Moͤnchthumes, das Burleske neben dem Pa- thetiſchen Raum fand. *) Die Natuͤrlichkeit, welche die Zeit- *) Nicht, um in die uͤblichen Declamationen gegen ein hiſto- riſch denkwuͤrdiges, einflußreiches Inſtitut einzuſtimmen, nur weil es gilt, deſſen Verhaͤltniß zur neueren Malerey richtig aufzufaſſen, bringe ich hier das Heitere und gutmuͤthig Laͤcherliche in Erinne- rung, welches der weltlichen Unbehuͤlflichkeit aͤchter, einfaͤltig from- mer Moͤnche anhaͤngt; welches die italieniſche Malerey von jeher vielfaͤltig benutzt hat; der Spanier nicht zu gedenken, deren dra- matiſche Dichter, obwohl die groͤßeſten ſelbſt Moͤnche waren, aus demſelben naiv Burlesken haͤufig genug Vortheil gezogen. — Obige

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/74>, abgerufen am 24.11.2024.