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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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beleben gestrebt; und es war ihnen häufig gelungen, die
mumienhafte Umhüllung davon abzustreifen, mit welcher die
mechanischen Nachbildner des Mittelalters sie allgemach um-
geben hatten. Giotto hingegen durchbrach die Schranken,
welche jene noch anerkannt hatten, und entäußerte sich, indem
er den Rost veralteter Manieren abwarf, zugleich des hohen,
ächt christlichen und ächt künstlerischen Geistes, welcher selbst
aus jenen so vielfältig verkümmerten Darstellungen noch immer
hervorleuchtet. -- Die Möglichkeit aller Neuerung beruhet
auf Kraft; die Gesinnung aber, aus welcher der Neuerer
entsteht, ist im Durchschnitt unheilig und frevelhaft. Während
wir in Giotto das Talent, den Muth, die Geisteskraft bewun-
dern müssen, welche ihn erfähigten, der Mehrzahl seiner Zeit-
genossen eine durchaus neue Bahn vorzuzeichnen, werden wir
doch nicht übersehen dürfen, daß seine Richtung derjenigen,
welche einige Neuere ihm willkührlich beygelegt haben, durch-
aus entgegengesetzt ist.

Wenn diese ihm unzweydeutig eine gewisse religiöse
Strenge des Eingehns in die vorwaltenden Kunstaufgaben
seiner Zeit beylegen, seinen Werth eben nur in die Tiefe und
Begründung seiner Auffassung versetzen: so werden sie sich
täuschen, wenn anders seinen näheren Zeitgenossen eine Stimme
gebührt. Ueberall, wo diese etwas näher in den Charakter
unseres Malers eingehn, verweisen sie, mit beachtenswerther
Uebereinstimmung, auf Leichtigkeit, Neuheit, Fruchtbarkeit und
Vielseitigkeit, sogar, wie ich zeigen werde, auf einen gewissen
Grad von Leichtfertigkeit und Nichtachtung der Sinnbilder des
Heiligen; ganz wie es bey einem Neuerer vorauszusetzen war.

Die Hingebung in eine solche Sinnesart mußte noth-
wendig zur Objectivität führen; und, obwohl Giotto, nach

beleben geſtrebt; und es war ihnen haͤufig gelungen, die
mumienhafte Umhuͤllung davon abzuſtreifen, mit welcher die
mechaniſchen Nachbildner des Mittelalters ſie allgemach um-
geben hatten. Giotto hingegen durchbrach die Schranken,
welche jene noch anerkannt hatten, und entaͤußerte ſich, indem
er den Roſt veralteter Manieren abwarf, zugleich des hohen,
aͤcht chriſtlichen und aͤcht kuͤnſtleriſchen Geiſtes, welcher ſelbſt
aus jenen ſo vielfaͤltig verkuͤmmerten Darſtellungen noch immer
hervorleuchtet. — Die Moͤglichkeit aller Neuerung beruhet
auf Kraft; die Geſinnung aber, aus welcher der Neuerer
entſteht, iſt im Durchſchnitt unheilig und frevelhaft. Waͤhrend
wir in Giotto das Talent, den Muth, die Geiſteskraft bewun-
dern muͤſſen, welche ihn erfaͤhigten, der Mehrzahl ſeiner Zeit-
genoſſen eine durchaus neue Bahn vorzuzeichnen, werden wir
doch nicht uͤberſehen duͤrfen, daß ſeine Richtung derjenigen,
welche einige Neuere ihm willkuͤhrlich beygelegt haben, durch-
aus entgegengeſetzt iſt.

Wenn dieſe ihm unzweydeutig eine gewiſſe religioͤſe
Strenge des Eingehns in die vorwaltenden Kunſtaufgaben
ſeiner Zeit beylegen, ſeinen Werth eben nur in die Tiefe und
Begruͤndung ſeiner Auffaſſung verſetzen: ſo werden ſie ſich
taͤuſchen, wenn anders ſeinen naͤheren Zeitgenoſſen eine Stimme
gebuͤhrt. Ueberall, wo dieſe etwas naͤher in den Charakter
unſeres Malers eingehn, verweiſen ſie, mit beachtenswerther
Uebereinſtimmung, auf Leichtigkeit, Neuheit, Fruchtbarkeit und
Vielſeitigkeit, ſogar, wie ich zeigen werde, auf einen gewiſſen
Grad von Leichtfertigkeit und Nichtachtung der Sinnbilder des
Heiligen; ganz wie es bey einem Neuerer vorauszuſetzen war.

Die Hingebung in eine ſolche Sinnesart mußte noth-
wendig zur Objectivitaͤt fuͤhren; und, obwohl Giotto, nach

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[44/0062] beleben geſtrebt; und es war ihnen haͤufig gelungen, die mumienhafte Umhuͤllung davon abzuſtreifen, mit welcher die mechaniſchen Nachbildner des Mittelalters ſie allgemach um- geben hatten. Giotto hingegen durchbrach die Schranken, welche jene noch anerkannt hatten, und entaͤußerte ſich, indem er den Roſt veralteter Manieren abwarf, zugleich des hohen, aͤcht chriſtlichen und aͤcht kuͤnſtleriſchen Geiſtes, welcher ſelbſt aus jenen ſo vielfaͤltig verkuͤmmerten Darſtellungen noch immer hervorleuchtet. — Die Moͤglichkeit aller Neuerung beruhet auf Kraft; die Geſinnung aber, aus welcher der Neuerer entſteht, iſt im Durchſchnitt unheilig und frevelhaft. Waͤhrend wir in Giotto das Talent, den Muth, die Geiſteskraft bewun- dern muͤſſen, welche ihn erfaͤhigten, der Mehrzahl ſeiner Zeit- genoſſen eine durchaus neue Bahn vorzuzeichnen, werden wir doch nicht uͤberſehen duͤrfen, daß ſeine Richtung derjenigen, welche einige Neuere ihm willkuͤhrlich beygelegt haben, durch- aus entgegengeſetzt iſt. Wenn dieſe ihm unzweydeutig eine gewiſſe religioͤſe Strenge des Eingehns in die vorwaltenden Kunſtaufgaben ſeiner Zeit beylegen, ſeinen Werth eben nur in die Tiefe und Begruͤndung ſeiner Auffaſſung verſetzen: ſo werden ſie ſich taͤuſchen, wenn anders ſeinen naͤheren Zeitgenoſſen eine Stimme gebuͤhrt. Ueberall, wo dieſe etwas naͤher in den Charakter unſeres Malers eingehn, verweiſen ſie, mit beachtenswerther Uebereinſtimmung, auf Leichtigkeit, Neuheit, Fruchtbarkeit und Vielſeitigkeit, ſogar, wie ich zeigen werde, auf einen gewiſſen Grad von Leichtfertigkeit und Nichtachtung der Sinnbilder des Heiligen; ganz wie es bey einem Neuerer vorauszuſetzen war. Die Hingebung in eine ſolche Sinnesart mußte noth- wendig zur Objectivitaͤt fuͤhren; und, obwohl Giotto, nach

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/62>, abgerufen am 27.11.2024.