"Es gab in der Stadt Siena vortreffliche und geschickte Meister. Unter diesen war Ambruogio Lorenzetti ein berühm- ter und ausgezeichneter Meister, welcher viele Werke vollbracht hat." Nachdem er darauf die Werke dieses und anderer siene- sischen Maler, des Simon, Lippo und Barna aufgezählt, schließt er, indem er nachholt: "Es gab in Siena noch den Duccio, welcher die griechische Manier beybehalten; und von seiner Hand ist die Tafel des Hauptaltares im Dome zu Siena, auf der Vorseite derselben u. s. f. Viele Maler, er- zählt er weiter, besaß die Stadt Siena und war fruchtbar an erstaunlichen Talenten, deren Viele wir auslassen, um nicht weitschweifig zu seyn." *)
Ghiberti also, der, bey dem lebhaftesten und freudigsten Bewußtseyn der Vorzüge seiner Vaterstadt, doch von jener patriotischen Grille der Florentiner noch durchaus frey war, kannte und schätzte die sienesische Schule, als eine eigenthüm- liche, für sich bestehende. Die allgemeinen geschichtlichen Ver- hältnisse waren, wie wir uns früher erinnert hatten, während des dreyzehnten Jahrhundertes den Sienesern ungleich günsti- ger, als den Florentinern. Endlich haben wir auch urkund- liche Zeugnisse für die frühe Entstehung, den Fortgang, die Leistungen der sienesischen Schule, in hinreichender Fülle ge- sammelt. Sehn wir nun, ob die Geschichte der florentinischen reichhaltiger und besser begründet sey, wie doch die Ableitun- gen des Vasari und Baldinucci, wenn sie anders Grund haben sollten, voraussetzen ließen.
Allerdings wird es auch zu Florenz, welches seit dem eilften Jahrhunderte, zwar noch für lange nicht als ein herr-
„Es gab in der Stadt Siena vortreffliche und geſchickte Meiſter. Unter dieſen war Ambruogio Lorenzetti ein beruͤhm- ter und ausgezeichneter Meiſter, welcher viele Werke vollbracht hat.“ Nachdem er darauf die Werke dieſes und anderer ſiene- ſiſchen Maler, des Simon, Lippo und Barna aufgezaͤhlt, ſchließt er, indem er nachholt: „Es gab in Siena noch den Duccio, welcher die griechiſche Manier beybehalten; und von ſeiner Hand iſt die Tafel des Hauptaltares im Dome zu Siena, auf der Vorſeite derſelben u. ſ. f. Viele Maler, er- zaͤhlt er weiter, beſaß die Stadt Siena und war fruchtbar an erſtaunlichen Talenten, deren Viele wir auslaſſen, um nicht weitſchweifig zu ſeyn.“ *)
Ghiberti alſo, der, bey dem lebhafteſten und freudigſten Bewußtſeyn der Vorzuͤge ſeiner Vaterſtadt, doch von jener patriotiſchen Grille der Florentiner noch durchaus frey war, kannte und ſchaͤtzte die ſieneſiſche Schule, als eine eigenthuͤm- liche, fuͤr ſich beſtehende. Die allgemeinen geſchichtlichen Ver- haͤltniſſe waren, wie wir uns fruͤher erinnert hatten, waͤhrend des dreyzehnten Jahrhundertes den Sieneſern ungleich guͤnſti- ger, als den Florentinern. Endlich haben wir auch urkund- liche Zeugniſſe fuͤr die fruͤhe Entſtehung, den Fortgang, die Leiſtungen der ſieneſiſchen Schule, in hinreichender Fuͤlle ge- ſammelt. Sehn wir nun, ob die Geſchichte der florentiniſchen reichhaltiger und beſſer begruͤndet ſey, wie doch die Ableitun- gen des Vaſari und Baldinucci, wenn ſie anders Grund haben ſollten, vorausſetzen ließen.
Allerdings wird es auch zu Florenz, welches ſeit dem eilften Jahrhunderte, zwar noch fuͤr lange nicht als ein herr-
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„Es gab in der Stadt Siena vortreffliche und geſchickte
Meiſter. Unter dieſen war Ambruogio Lorenzetti ein beruͤhm-
ter und ausgezeichneter Meiſter, welcher viele Werke vollbracht
hat.“ Nachdem er darauf die Werke dieſes und anderer ſiene-
ſiſchen Maler, des Simon, Lippo und Barna aufgezaͤhlt,
ſchließt er, indem er nachholt: „Es gab in Siena noch den
Duccio, welcher die griechiſche Manier beybehalten; und von
ſeiner Hand iſt die Tafel des Hauptaltares im Dome zu
Siena, auf der Vorſeite derſelben u. ſ. f. Viele Maler, er-
zaͤhlt er weiter, beſaß die Stadt Siena und war fruchtbar an
erſtaunlichen Talenten, deren Viele wir auslaſſen, um nicht
weitſchweifig zu ſeyn.“ *)
Ghiberti alſo, der, bey dem lebhafteſten und freudigſten
Bewußtſeyn der Vorzuͤge ſeiner Vaterſtadt, doch von jener
patriotiſchen Grille der Florentiner noch durchaus frey war,
kannte und ſchaͤtzte die ſieneſiſche Schule, als eine eigenthuͤm-
liche, fuͤr ſich beſtehende. Die allgemeinen geſchichtlichen Ver-
haͤltniſſe waren, wie wir uns fruͤher erinnert hatten, waͤhrend
des dreyzehnten Jahrhundertes den Sieneſern ungleich guͤnſti-
ger, als den Florentinern. Endlich haben wir auch urkund-
liche Zeugniſſe fuͤr die fruͤhe Entſtehung, den Fortgang, die
Leiſtungen der ſieneſiſchen Schule, in hinreichender Fuͤlle ge-
ſammelt. Sehn wir nun, ob die Geſchichte der florentiniſchen
reichhaltiger und beſſer begruͤndet ſey, wie doch die Ableitun-
gen des Vaſari und Baldinucci, wenn ſie anders Grund haben
ſollten, vorausſetzen ließen.
Allerdings wird es auch zu Florenz, welches ſeit dem
eilften Jahrhunderte, zwar noch fuͤr lange nicht als ein herr-
*) Lor. Ghib. MS. cit. fo. 9. a tergo.
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/45>, abgerufen am 21.11.2024.
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