in gutem Einverständniß mögen gearbeitet, und die darzustel- lenden Begebenheiten nach Lust und Gelegenheit unter sich vertheilt haben. Die übrigen siebenundzwanzig Darstellungen vollbrachte Razzi allein und zeigte darin einen Umfang der Beobachtung, eine Schärfe des Sinnes für die Bedeutung des Charakters und der Bewegung menschlicher Formen, welche in seinen späteren Gemälden einer sehr allgemeinen Vorstel- lung von sinnlicher Anmuth Raum gegeben hat. Häufig be- nutzte er in diesen Zusammenstellungen jene heftige Bewegung, jene starke, beynahe überladene Charakteristik, welche in den Ar- beiten des Sandro Botticelli anzieht und über deren Willkühr- lichkeiten hinaussehn macht. Wie nur der Sieneser zu diesen Reminiscenzen gelangt seyn mag? Vielleicht hatte er bey Fi- lippino gelernt, oder demselben als Geselle gedient. Es hat seine Durchschnittsvorstellung von schöner weiblicher Bildung eine gewisse Verwandtschaft mit den anmuthigen Weiberköpfen der Kappelle Strozzi in sta Maria novella. Indeß fehlt es mir, diese Wahrscheinlichkeiten zur Gewißheit zu erheben, bis jetzt an urkundlichen Zeugnissen.
Giovann Antonio war auch in der Folge bisweilen kräf- tig und ausdrucksvoll, z. B. in den Malereyen der Kappelle der Hl. Katharina in s. Domenico zu Siena; häufiger reizend und lieblich, wie besonders in dem bekannten Gemache der Farnesina zu Rom; doch unterlag er, im Ganzen angesehn, dem gemeinsamen Schicksal aller großen Talente, welche das Todesjahr Raphaels überlebten. Dieser große Künstler, den man auch in den dunkelsten Epochen stets als das vorleuch- tende Gestirn der neueren Kunst betrachtet, dem man indeß, statt im Thun und Lassen seinem Beyspiel zu folgen, nur eben in seiner unerreichbaren Eigenthümlichkeit nachgeahmet hat,
in gutem Einverſtaͤndniß moͤgen gearbeitet, und die darzuſtel- lenden Begebenheiten nach Luſt und Gelegenheit unter ſich vertheilt haben. Die uͤbrigen ſiebenundzwanzig Darſtellungen vollbrachte Razzi allein und zeigte darin einen Umfang der Beobachtung, eine Schaͤrfe des Sinnes fuͤr die Bedeutung des Charakters und der Bewegung menſchlicher Formen, welche in ſeinen ſpaͤteren Gemaͤlden einer ſehr allgemeinen Vorſtel- lung von ſinnlicher Anmuth Raum gegeben hat. Haͤufig be- nutzte er in dieſen Zuſammenſtellungen jene heftige Bewegung, jene ſtarke, beynahe uͤberladene Charakteriſtik, welche in den Ar- beiten des Sandro Botticelli anzieht und uͤber deren Willkuͤhr- lichkeiten hinausſehn macht. Wie nur der Sieneſer zu dieſen Reminiſcenzen gelangt ſeyn mag? Vielleicht hatte er bey Fi- lippino gelernt, oder demſelben als Geſelle gedient. Es hat ſeine Durchſchnittsvorſtellung von ſchoͤner weiblicher Bildung eine gewiſſe Verwandtſchaft mit den anmuthigen Weiberkoͤpfen der Kappelle Strozzi in ſta Maria novella. Indeß fehlt es mir, dieſe Wahrſcheinlichkeiten zur Gewißheit zu erheben, bis jetzt an urkundlichen Zeugniſſen.
Giovann Antonio war auch in der Folge bisweilen kraͤf- tig und ausdrucksvoll, z. B. in den Malereyen der Kappelle der Hl. Katharina in ſ. Domenico zu Siena; haͤufiger reizend und lieblich, wie beſonders in dem bekannten Gemache der Farneſina zu Rom; doch unterlag er, im Ganzen angeſehn, dem gemeinſamen Schickſal aller großen Talente, welche das Todesjahr Raphaels uͤberlebten. Dieſer große Kuͤnſtler, den man auch in den dunkelſten Epochen ſtets als das vorleuch- tende Geſtirn der neueren Kunſt betrachtet, dem man indeß, ſtatt im Thun und Laſſen ſeinem Beyſpiel zu folgen, nur eben in ſeiner unerreichbaren Eigenthuͤmlichkeit nachgeahmet hat,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0406"n="388"/>
in gutem Einverſtaͤndniß moͤgen gearbeitet, und die darzuſtel-<lb/>
lenden Begebenheiten nach Luſt und Gelegenheit unter ſich<lb/>
vertheilt haben. Die uͤbrigen ſiebenundzwanzig Darſtellungen<lb/>
vollbrachte <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118797859">Razzi</persName> allein und zeigte darin einen Umfang der<lb/>
Beobachtung, eine Schaͤrfe des Sinnes fuͤr die Bedeutung des<lb/>
Charakters und der Bewegung menſchlicher Formen, welche<lb/>
in ſeinen ſpaͤteren Gemaͤlden einer ſehr allgemeinen Vorſtel-<lb/>
lung von ſinnlicher Anmuth Raum gegeben hat. Haͤufig be-<lb/>
nutzte er in dieſen Zuſammenſtellungen jene heftige Bewegung,<lb/>
jene ſtarke, beynahe uͤberladene Charakteriſtik, welche in den Ar-<lb/>
beiten des <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118514008">Sandro Botticelli</persName> anzieht und uͤber deren Willkuͤhr-<lb/>
lichkeiten hinausſehn macht. Wie nur der Sieneſer zu dieſen<lb/>
Reminiſcenzen gelangt ſeyn mag? Vielleicht hatte er bey <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118780123">Fi-<lb/>
lippino</persName> gelernt, oder demſelben als Geſelle gedient. Es hat<lb/>ſeine Durchſchnittsvorſtellung von ſchoͤner weiblicher Bildung<lb/>
eine gewiſſe Verwandtſchaft mit den anmuthigen Weiberkoͤpfen<lb/>
der Kappelle Strozzi in ſta Maria novella. Indeß fehlt es<lb/>
mir, dieſe Wahrſcheinlichkeiten zur Gewißheit zu erheben, bis<lb/>
jetzt an urkundlichen Zeugniſſen.</p><lb/><p><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118797859">Giovann Antonio</persName> war auch in der Folge bisweilen kraͤf-<lb/>
tig und ausdrucksvoll, z. B. in den Malereyen der Kappelle<lb/>
der Hl. Katharina in ſ. Domenico zu <placeName>Siena</placeName>; haͤufiger reizend<lb/>
und lieblich, wie beſonders in dem bekannten Gemache der<lb/>
Farneſina zu <placeName>Rom</placeName>; doch unterlag er, im Ganzen angeſehn,<lb/>
dem gemeinſamen Schickſal aller großen Talente, welche das<lb/>
Todesjahr <persNameref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphaels</persName> uͤberlebten. Dieſer große Kuͤnſtler, den<lb/>
man auch in den dunkelſten Epochen ſtets als das vorleuch-<lb/>
tende Geſtirn der neueren Kunſt betrachtet, dem man indeß,<lb/>ſtatt im Thun und Laſſen ſeinem Beyſpiel zu folgen, nur<lb/>
eben in ſeiner unerreichbaren Eigenthuͤmlichkeit nachgeahmet hat,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[388/0406]
in gutem Einverſtaͤndniß moͤgen gearbeitet, und die darzuſtel-
lenden Begebenheiten nach Luſt und Gelegenheit unter ſich
vertheilt haben. Die uͤbrigen ſiebenundzwanzig Darſtellungen
vollbrachte Razzi allein und zeigte darin einen Umfang der
Beobachtung, eine Schaͤrfe des Sinnes fuͤr die Bedeutung des
Charakters und der Bewegung menſchlicher Formen, welche
in ſeinen ſpaͤteren Gemaͤlden einer ſehr allgemeinen Vorſtel-
lung von ſinnlicher Anmuth Raum gegeben hat. Haͤufig be-
nutzte er in dieſen Zuſammenſtellungen jene heftige Bewegung,
jene ſtarke, beynahe uͤberladene Charakteriſtik, welche in den Ar-
beiten des Sandro Botticelli anzieht und uͤber deren Willkuͤhr-
lichkeiten hinausſehn macht. Wie nur der Sieneſer zu dieſen
Reminiſcenzen gelangt ſeyn mag? Vielleicht hatte er bey Fi-
lippino gelernt, oder demſelben als Geſelle gedient. Es hat
ſeine Durchſchnittsvorſtellung von ſchoͤner weiblicher Bildung
eine gewiſſe Verwandtſchaft mit den anmuthigen Weiberkoͤpfen
der Kappelle Strozzi in ſta Maria novella. Indeß fehlt es
mir, dieſe Wahrſcheinlichkeiten zur Gewißheit zu erheben, bis
jetzt an urkundlichen Zeugniſſen.
Giovann Antonio war auch in der Folge bisweilen kraͤf-
tig und ausdrucksvoll, z. B. in den Malereyen der Kappelle
der Hl. Katharina in ſ. Domenico zu Siena; haͤufiger reizend
und lieblich, wie beſonders in dem bekannten Gemache der
Farneſina zu Rom; doch unterlag er, im Ganzen angeſehn,
dem gemeinſamen Schickſal aller großen Talente, welche das
Todesjahr Raphaels uͤberlebten. Dieſer große Kuͤnſtler, den
man auch in den dunkelſten Epochen ſtets als das vorleuch-
tende Geſtirn der neueren Kunſt betrachtet, dem man indeß,
ſtatt im Thun und Laſſen ſeinem Beyſpiel zu folgen, nur
eben in ſeiner unerreichbaren Eigenthuͤmlichkeit nachgeahmet hat,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/406>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.