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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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aufzufinden, über welche vielleicht nicht einmal Vasari selbst
genau berichtet war, so haben doch moderne Kenner für die
Sibyllen und Propheten entschieden, weil sie die schönsten Ge-
stalten des ganzen Werkes sind. Vasari behauptet ferner, daß
Ingegno dem Perugino auch in dessen Arbeiten zu Asisi bey-
gestanden sey; vielleicht bezeichnet er hier die Malereyen an
der Außenseite der Kappelle des Hl. Franz, mitten in der
Kirche sta Maria degli Angeli. Dann kommt er endlich auf
die sixtinische Kappelle, wo er unseren Künstler ebenfalls hel-
fen läßt, und sagt bald darauf: "die großen Hoffnungen,
welche Ingegno erweckt habe, seyen durch sein plötzliches Er-
blinden vereitelt worden. Papst Sixtus -- es kann hier nur
von Sixtus IV. die Rede seyn -- habe ihm darauf zu Asisi
ein Jahrgehalt angewiesen, welches er bis in sein sechs und
achtzigstes Jahr genossen."

Sixtus IV. starb im Jahre 1484. Raphael kam erst
gegen 1500 in die Schule des Perugino, und das Wechselge-
richt zu Perugia wurde im Jahre 1500 zu malen begonnen.
Demnach beging Vasari einen groben Verstoß gegen die Zeit-
rechnung, da Ingegno unmöglich zwanzig Jahre früher erblin-
den konnte, als er gemalt und mit Raphael gewetteifert ha-
ben soll. Mariotti -- lettere Perugine p. 161. f. -- und
Orsini -- guida di Perugia -- halten daher für unmöglich,
daß Ingegno an den Malereyen im Cambio geholfen habe,
eben weil sie in Beziehung auf sein früheres Erblinden dem
Vasari glauben wollen. Allein sie hätten viel eher auf die
Vermuthung gerathen können, daß Vasari von jenem Vorfalle
überhaupt nicht genau unterrichtet gewesen sey. In der ersten
Ausgabe des Vasari -- 1550. 8. -- kommt noch kein Wort
vom Ingegno vor; er wird erst in der zweyten vermehrten --

aufzufinden, uͤber welche vielleicht nicht einmal Vaſari ſelbſt
genau berichtet war, ſo haben doch moderne Kenner fuͤr die
Sibyllen und Propheten entſchieden, weil ſie die ſchoͤnſten Ge-
ſtalten des ganzen Werkes ſind. Vaſari behauptet ferner, daß
Ingegno dem Perugino auch in deſſen Arbeiten zu Aſiſi bey-
geſtanden ſey; vielleicht bezeichnet er hier die Malereyen an
der Außenſeite der Kappelle des Hl. Franz, mitten in der
Kirche ſta Maria degli Angeli. Dann kommt er endlich auf
die ſixtiniſche Kappelle, wo er unſeren Kuͤnſtler ebenfalls hel-
fen laͤßt, und ſagt bald darauf: „die großen Hoffnungen,
welche Ingegno erweckt habe, ſeyen durch ſein ploͤtzliches Er-
blinden vereitelt worden. Papſt Sixtus — es kann hier nur
von Sixtus IV. die Rede ſeyn — habe ihm darauf zu Aſiſi
ein Jahrgehalt angewieſen, welches er bis in ſein ſechs und
achtzigſtes Jahr genoſſen.“

Sixtus IV. ſtarb im Jahre 1484. Raphael kam erſt
gegen 1500 in die Schule des Perugino, und das Wechſelge-
richt zu Perugia wurde im Jahre 1500 zu malen begonnen.
Demnach beging Vaſari einen groben Verſtoß gegen die Zeit-
rechnung, da Ingegno unmoͤglich zwanzig Jahre fruͤher erblin-
den konnte, als er gemalt und mit Raphael gewetteifert ha-
ben ſoll. Mariottilettere Perugine p. 161. f. — und
Orſini — guida di Perugia — halten daher fuͤr unmoͤglich,
daß Ingegno an den Malereyen im Cambio geholfen habe,
eben weil ſie in Beziehung auf ſein fruͤheres Erblinden dem
Vaſari glauben wollen. Allein ſie haͤtten viel eher auf die
Vermuthung gerathen koͤnnen, daß Vaſari von jenem Vorfalle
uͤberhaupt nicht genau unterrichtet geweſen ſey. In der erſten
Ausgabe des Vaſari — 1550. 8. — kommt noch kein Wort
vom Ingegno vor; er wird erſt in der zweyten vermehrten —

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[325/0343] aufzufinden, uͤber welche vielleicht nicht einmal Vaſari ſelbſt genau berichtet war, ſo haben doch moderne Kenner fuͤr die Sibyllen und Propheten entſchieden, weil ſie die ſchoͤnſten Ge- ſtalten des ganzen Werkes ſind. Vaſari behauptet ferner, daß Ingegno dem Perugino auch in deſſen Arbeiten zu Aſiſi bey- geſtanden ſey; vielleicht bezeichnet er hier die Malereyen an der Außenſeite der Kappelle des Hl. Franz, mitten in der Kirche ſta Maria degli Angeli. Dann kommt er endlich auf die ſixtiniſche Kappelle, wo er unſeren Kuͤnſtler ebenfalls hel- fen laͤßt, und ſagt bald darauf: „die großen Hoffnungen, welche Ingegno erweckt habe, ſeyen durch ſein ploͤtzliches Er- blinden vereitelt worden. Papſt Sixtus — es kann hier nur von Sixtus IV. die Rede ſeyn — habe ihm darauf zu Aſiſi ein Jahrgehalt angewieſen, welches er bis in ſein ſechs und achtzigſtes Jahr genoſſen.“ Sixtus IV. ſtarb im Jahre 1484. Raphael kam erſt gegen 1500 in die Schule des Perugino, und das Wechſelge- richt zu Perugia wurde im Jahre 1500 zu malen begonnen. Demnach beging Vaſari einen groben Verſtoß gegen die Zeit- rechnung, da Ingegno unmoͤglich zwanzig Jahre fruͤher erblin- den konnte, als er gemalt und mit Raphael gewetteifert ha- ben ſoll. Mariotti — lettere Perugine p. 161. f. — und Orſini — guida di Perugia — halten daher fuͤr unmoͤglich, daß Ingegno an den Malereyen im Cambio geholfen habe, eben weil ſie in Beziehung auf ſein fruͤheres Erblinden dem Vaſari glauben wollen. Allein ſie haͤtten viel eher auf die Vermuthung gerathen koͤnnen, daß Vaſari von jenem Vorfalle uͤberhaupt nicht genau unterrichtet geweſen ſey. In der erſten Ausgabe des Vaſari — 1550. 8. — kommt noch kein Wort vom Ingegno vor; er wird erſt in der zweyten vermehrten —

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/343>, abgerufen am 27.07.2024.