Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.Alunno zu Asisi gemalt habe; vielleicht meinte er die gegen- keine Spur vorhanden, hängt die Copie gegenwärtig im Grunde
des Chores an der Wand, wie früher vielleicht auch das Original. Diese allgemeinen Zweifel wären nun allerdings noch zu besei- tigen. Erwägen wir aber das ungewöhnliche Verhältniß der Höhe zur Breite, die Handlung der beiden Nebenheiligen (welche nach Art der Brüderschaftsfahnen der eine die Gemeine der Madonna, die andere dem Volke die Andacht zur Madonna empfiehlt); er- wägen wir ferner, daß die Vorstellung hier, wie in jener anderen Brüderschaftsfahne, dem Guido der Münchner Gallerie, in einer bloßen Lufterscheinung besteht, welcher, gegen den Gebrauch und die Schicklichkeit in den Altargemälden, aller Boden fehlt: so wird sich ergeben, daß Raphael die Leinwand hier nicht so ganz zufällig und gleichsam des Versuches willen gewählt hatte. Aus dieser Be- stimmung erklärt sich denn auch die geistig flüchtige Behandlung, welche Einigen Gelegenheit gegeben, an der Aechtheit des Bildes zu zweifeln. Die Gründe dieser Kritiker sind mir nicht umständ- lich bekannt; doch werden sie unhaltbar seyn, da sicher unter den spätesten historischen Gemälden Raphaels Keines mehr und häufi- ger von seinen eigenen Händen berührt worden ist, als eben dieses. Die Hand der Gesellen und Schüler ist nothwendig ängstlicher und abhängiger, als jene des Meisters; daher würde sie sich auch hier durch eine minder verstandvolle Emsigkeit verrathen, sicher nicht durch geistreiche Flüchtigkeit, begeisterte Raschheit. Offenbar ist das Dresdener Bild nicht umständlich vorbereitet worden, sondern aus einem Gusse entstanden, was nur dem Meister gelingen konnte. Alunno zu Aſiſi gemalt habe; vielleicht meinte er die gegen- keine Spur vorhanden, haͤngt die Copie gegenwaͤrtig im Grunde
des Chores an der Wand, wie fruͤher vielleicht auch das Original. Dieſe allgemeinen Zweifel waͤren nun allerdings noch zu beſei- tigen. Erwaͤgen wir aber das ungewoͤhnliche Verhaͤltniß der Hoͤhe zur Breite, die Handlung der beiden Nebenheiligen (welche nach Art der Bruͤderſchaftsfahnen der eine die Gemeine der Madonna, die andere dem Volke die Andacht zur Madonna empfiehlt); er- waͤgen wir ferner, daß die Vorſtellung hier, wie in jener anderen Bruͤderſchaftsfahne, dem Guido der Muͤnchner Gallerie, in einer bloßen Lufterſcheinung beſteht, welcher, gegen den Gebrauch und die Schicklichkeit in den Altargemaͤlden, aller Boden fehlt: ſo wird ſich ergeben, daß Raphael die Leinwand hier nicht ſo ganz zufaͤllig und gleichſam des Verſuches willen gewaͤhlt hatte. Aus dieſer Be- ſtimmung erklaͤrt ſich denn auch die geiſtig fluͤchtige Behandlung, welche Einigen Gelegenheit gegeben, an der Aechtheit des Bildes zu zweifeln. Die Gruͤnde dieſer Kritiker ſind mir nicht umſtaͤnd- lich bekannt; doch werden ſie unhaltbar ſeyn, da ſicher unter den ſpaͤteſten hiſtoriſchen Gemaͤlden Raphaels Keines mehr und haͤufi- ger von ſeinen eigenen Haͤnden beruͤhrt worden iſt, als eben dieſes. Die Hand der Geſellen und Schuͤler iſt nothwendig aͤngſtlicher und abhaͤngiger, als jene des Meiſters; daher wuͤrde ſie ſich auch hier durch eine minder verſtandvolle Emſigkeit verrathen, ſicher nicht durch geiſtreiche Fluͤchtigkeit, begeiſterte Raſchheit. Offenbar iſt das Dresdener Bild nicht umſtaͤndlich vorbereitet worden, ſondern aus einem Guſſe entſtanden, was nur dem Meiſter gelingen konnte. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0335" n="317"/><persName ref="http://d-nb.info/gnd/129222976">Alunno</persName> zu <placeName>Aſiſi</placeName> gemalt habe; vielleicht meinte er die gegen-<lb/> waͤrtig uͤbermalte und verdorbene <hi rendition="#aq">Mater Misericordiae</hi> der<lb/><hi rendition="#aq">Compagnia di S. Crispino.</hi> Eine andere Bruͤderſchaftsfahne,<lb/> welche auf feiner Leinwand ſehr wohl <hi rendition="#aq">a tempera</hi> gemalt iſt,<lb/> befindet ſich zu <placeName>Perugia</placeName> in der Kirche ſta Maria nuova und<lb/> traͤgt die Aufſchrift: <hi rendition="#aq">societas annuntiate fecit fieri hoc<lb/> opus. M. CCCC. LXVI.</hi> In der Hoͤhe ſieht man Gott<lb/> den Vater in einer Glorie und unten, in kleineren Dimenſio-<lb/> nen die Bruͤderſchaft von zween Heiligen der Madonna vor-<lb/><note xml:id="fn36f" prev="#fn36i" place="foot" n="**)">keine Spur vorhanden, haͤngt die Copie gegenwaͤrtig im Grunde<lb/> des Chores an der Wand, wie fruͤher vielleicht auch das Original.<lb/> Dieſe allgemeinen Zweifel waͤren nun allerdings noch zu beſei-<lb/> tigen. Erwaͤgen wir aber das ungewoͤhnliche Verhaͤltniß der Hoͤhe<lb/> zur Breite, die Handlung der beiden Nebenheiligen (welche nach<lb/> Art der Bruͤderſchaftsfahnen der eine die Gemeine der Madonna,<lb/> die andere dem Volke die Andacht zur Madonna empfiehlt); er-<lb/> waͤgen wir ferner, daß die Vorſtellung hier, wie in jener anderen<lb/> Bruͤderſchaftsfahne, dem <persName ref="nognd">Guido</persName> der Muͤnchner Gallerie, in einer<lb/> bloßen Lufterſcheinung beſteht, welcher, gegen den Gebrauch und<lb/> die Schicklichkeit in den Altargemaͤlden, aller Boden fehlt: ſo wird<lb/> ſich ergeben, daß <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> die Leinwand hier nicht ſo ganz zufaͤllig<lb/> und gleichſam des Verſuches willen gewaͤhlt hatte. Aus dieſer Be-<lb/> ſtimmung erklaͤrt ſich denn auch die geiſtig fluͤchtige Behandlung,<lb/> welche Einigen Gelegenheit gegeben, an der Aechtheit des Bildes<lb/> zu zweifeln. Die Gruͤnde dieſer Kritiker ſind mir nicht umſtaͤnd-<lb/> lich bekannt; doch werden ſie unhaltbar ſeyn, da ſicher unter den<lb/> ſpaͤteſten hiſtoriſchen Gemaͤlden <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphaels</persName> Keines mehr und haͤufi-<lb/> ger von ſeinen eigenen Haͤnden beruͤhrt worden iſt, als eben dieſes.<lb/> Die Hand der Geſellen und Schuͤler iſt nothwendig aͤngſtlicher und<lb/> abhaͤngiger, als jene des Meiſters; daher wuͤrde ſie ſich auch hier<lb/> durch eine minder verſtandvolle Emſigkeit verrathen, ſicher nicht<lb/> durch geiſtreiche Fluͤchtigkeit, begeiſterte Raſchheit. Offenbar iſt<lb/> das Dresdener Bild nicht umſtaͤndlich vorbereitet worden, ſondern<lb/> aus einem Guſſe entſtanden, was nur dem Meiſter gelingen konnte.</note><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [317/0335]
Alunno zu Aſiſi gemalt habe; vielleicht meinte er die gegen-
waͤrtig uͤbermalte und verdorbene Mater Misericordiae der
Compagnia di S. Crispino. Eine andere Bruͤderſchaftsfahne,
welche auf feiner Leinwand ſehr wohl a tempera gemalt iſt,
befindet ſich zu Perugia in der Kirche ſta Maria nuova und
traͤgt die Aufſchrift: societas annuntiate fecit fieri hoc
opus. M. CCCC. LXVI. In der Hoͤhe ſieht man Gott
den Vater in einer Glorie und unten, in kleineren Dimenſio-
nen die Bruͤderſchaft von zween Heiligen der Madonna vor-
**)
**) keine Spur vorhanden, haͤngt die Copie gegenwaͤrtig im Grunde
des Chores an der Wand, wie fruͤher vielleicht auch das Original.
Dieſe allgemeinen Zweifel waͤren nun allerdings noch zu beſei-
tigen. Erwaͤgen wir aber das ungewoͤhnliche Verhaͤltniß der Hoͤhe
zur Breite, die Handlung der beiden Nebenheiligen (welche nach
Art der Bruͤderſchaftsfahnen der eine die Gemeine der Madonna,
die andere dem Volke die Andacht zur Madonna empfiehlt); er-
waͤgen wir ferner, daß die Vorſtellung hier, wie in jener anderen
Bruͤderſchaftsfahne, dem Guido der Muͤnchner Gallerie, in einer
bloßen Lufterſcheinung beſteht, welcher, gegen den Gebrauch und
die Schicklichkeit in den Altargemaͤlden, aller Boden fehlt: ſo wird
ſich ergeben, daß Raphael die Leinwand hier nicht ſo ganz zufaͤllig
und gleichſam des Verſuches willen gewaͤhlt hatte. Aus dieſer Be-
ſtimmung erklaͤrt ſich denn auch die geiſtig fluͤchtige Behandlung,
welche Einigen Gelegenheit gegeben, an der Aechtheit des Bildes
zu zweifeln. Die Gruͤnde dieſer Kritiker ſind mir nicht umſtaͤnd-
lich bekannt; doch werden ſie unhaltbar ſeyn, da ſicher unter den
ſpaͤteſten hiſtoriſchen Gemaͤlden Raphaels Keines mehr und haͤufi-
ger von ſeinen eigenen Haͤnden beruͤhrt worden iſt, als eben dieſes.
Die Hand der Geſellen und Schuͤler iſt nothwendig aͤngſtlicher und
abhaͤngiger, als jene des Meiſters; daher wuͤrde ſie ſich auch hier
durch eine minder verſtandvolle Emſigkeit verrathen, ſicher nicht
durch geiſtreiche Fluͤchtigkeit, begeiſterte Raſchheit. Offenbar iſt
das Dresdener Bild nicht umſtaͤndlich vorbereitet worden, ſondern
aus einem Guſſe entſtanden, was nur dem Meiſter gelingen konnte.
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