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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827.

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Wie wir uns erinnern, hatte Giotto unter seinen Zeit-
genossen die vielfältigste Auffassung des Lebens beliebt gemacht;
der Enthusiasmus für neuere Heilige, das Interesse an ihren
mannichfaltigsten Lebensverhältnissen *), war jener Wendung
seines großen Talentes entgegengekommen, hatte dessen Ent-
wickelung und allgemeine Anerkennung entschieden begünstigt.
Seinerzeit war die Frage nach typischen Darstellungen der
Patriarchen, Propheten, Apostel, oder des Heilands selbst und
der bedeutenderen Ereignisse der Evangelien, allgemach in den
Hintergrund getreten; hingegen waren alle Hände geschäftig,
die Uebergänge im Leben moderner Heiligen zu malen: frühere
Weltlichkeit, plötzliches Erwachen des Bewußtseyns des Heili-
gen, Eintritt ins Leben der Frommen und Abgeschiedenen,
Wunder im Leben, wie besonders nach dem Tode, in deren
Darstellung, wie es in den äußeren Bedingungen der Kunst
liegt, der Ausdruck des Affectes der Lebenden die Andeutung
der unsichtbaren Wunderkraft überwog. Allein auch die Le-
bensbegebenheiten des Erlösers wurden zur Traulichkeit des
Familienlebens herabgezogen; denn die Geburt und Erziehung,
die Mutter mit dem Kinde (Vorstellungen, welche die älte-
sten Künstler aus religiösem Bedenken, oder aus anderen Ur-
sachen vermieden hatten) wurden nunmehr unter den allgemein

*) Ich habe bereits, mit anderen Beyspielen, auch jene gleich-
laufenden Darstellungen des Lebens Christi und des Hl. Franz in
Erinnerung gebracht (Abh. IX.). -- Zu Asisi, im Kloster der Hl.
Chiara, zeigt man im Kreuzgewölbe über dem Hauptaltar Malereyen,
welche eine Vergleichung des Lebens der Madonna mit jenem der Hl.
Chiara zu bezielen scheinen. Diese Arbeit wird dem Giottino bey-
gemessen, was seinen Grund haben mag, da sie dessen florentini-
schen Arbeiten zu gleichen scheinen.

Wie wir uns erinnern, hatte Giotto unter ſeinen Zeit-
genoſſen die vielfaͤltigſte Auffaſſung des Lebens beliebt gemacht;
der Enthuſiasmus fuͤr neuere Heilige, das Intereſſe an ihren
mannichfaltigſten Lebensverhaͤltniſſen *), war jener Wendung
ſeines großen Talentes entgegengekommen, hatte deſſen Ent-
wickelung und allgemeine Anerkennung entſchieden beguͤnſtigt.
Seinerzeit war die Frage nach typiſchen Darſtellungen der
Patriarchen, Propheten, Apoſtel, oder des Heilands ſelbſt und
der bedeutenderen Ereigniſſe der Evangelien, allgemach in den
Hintergrund getreten; hingegen waren alle Haͤnde geſchaͤftig,
die Uebergaͤnge im Leben moderner Heiligen zu malen: fruͤhere
Weltlichkeit, ploͤtzliches Erwachen des Bewußtſeyns des Heili-
gen, Eintritt ins Leben der Frommen und Abgeſchiedenen,
Wunder im Leben, wie beſonders nach dem Tode, in deren
Darſtellung, wie es in den aͤußeren Bedingungen der Kunſt
liegt, der Ausdruck des Affectes der Lebenden die Andeutung
der unſichtbaren Wunderkraft uͤberwog. Allein auch die Le-
bensbegebenheiten des Erloͤſers wurden zur Traulichkeit des
Familienlebens herabgezogen; denn die Geburt und Erziehung,
die Mutter mit dem Kinde (Vorſtellungen, welche die aͤlte-
ſten Kuͤnſtler aus religioͤſem Bedenken, oder aus anderen Ur-
ſachen vermieden hatten) wurden nunmehr unter den allgemein

*) Ich habe bereits, mit anderen Beyſpielen, auch jene gleich-
laufenden Darſtellungen des Lebens Chriſti und des Hl. Franz in
Erinnerung gebracht (Abh. IX.). — Zu Aſiſi, im Kloſter der Hl.
Chiara, zeigt man im Kreuzgewoͤlbe uͤber dem Hauptaltar Malereyen,
welche eine Vergleichung des Lebens der Madonna mit jenem der Hl.
Chiara zu bezielen ſcheinen. Dieſe Arbeit wird dem Giottino bey-
gemeſſen, was ſeinen Grund haben mag, da ſie deſſen florentini-
ſchen Arbeiten zu gleichen ſcheinen.
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[213/0231] Wie wir uns erinnern, hatte Giotto unter ſeinen Zeit- genoſſen die vielfaͤltigſte Auffaſſung des Lebens beliebt gemacht; der Enthuſiasmus fuͤr neuere Heilige, das Intereſſe an ihren mannichfaltigſten Lebensverhaͤltniſſen *), war jener Wendung ſeines großen Talentes entgegengekommen, hatte deſſen Ent- wickelung und allgemeine Anerkennung entſchieden beguͤnſtigt. Seinerzeit war die Frage nach typiſchen Darſtellungen der Patriarchen, Propheten, Apoſtel, oder des Heilands ſelbſt und der bedeutenderen Ereigniſſe der Evangelien, allgemach in den Hintergrund getreten; hingegen waren alle Haͤnde geſchaͤftig, die Uebergaͤnge im Leben moderner Heiligen zu malen: fruͤhere Weltlichkeit, ploͤtzliches Erwachen des Bewußtſeyns des Heili- gen, Eintritt ins Leben der Frommen und Abgeſchiedenen, Wunder im Leben, wie beſonders nach dem Tode, in deren Darſtellung, wie es in den aͤußeren Bedingungen der Kunſt liegt, der Ausdruck des Affectes der Lebenden die Andeutung der unſichtbaren Wunderkraft uͤberwog. Allein auch die Le- bensbegebenheiten des Erloͤſers wurden zur Traulichkeit des Familienlebens herabgezogen; denn die Geburt und Erziehung, die Mutter mit dem Kinde (Vorſtellungen, welche die aͤlte- ſten Kuͤnſtler aus religioͤſem Bedenken, oder aus anderen Ur- ſachen vermieden hatten) wurden nunmehr unter den allgemein *) Ich habe bereits, mit anderen Beyſpielen, auch jene gleich- laufenden Darſtellungen des Lebens Chriſti und des Hl. Franz in Erinnerung gebracht (Abh. IX.). — Zu Aſiſi, im Kloſter der Hl. Chiara, zeigt man im Kreuzgewoͤlbe uͤber dem Hauptaltar Malereyen, welche eine Vergleichung des Lebens der Madonna mit jenem der Hl. Chiara zu bezielen ſcheinen. Dieſe Arbeit wird dem Giottino bey- gemeſſen, was ſeinen Grund haben mag, da ſie deſſen florentini- ſchen Arbeiten zu gleichen ſcheinen.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 2. Berlin u. a., 1827, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen02_1827/231>, abgerufen am 24.11.2024.