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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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genügend begründet werden. Allerdings erwirbt der Lehrling,
der zum ersten und anderen Male nackte Körper beschaut und
sich bemüht, sie aufzufassen und nachzubilden, zu Anfang schon
durch äußerliche Besichtigung manches Wesentliche. Doch,
nachdem die Frische des Sinnes sich abgestumpft hat, nach-
dem er erlernt, was durch bloße Beschauung der Oberfläche
überhaupt zu erlernen ist, pflegt er, wie hundertfältige Erfah-
rung bestätigt, das schon Erlernte mehr und minder mecha-
nisch zu wiederholen, jenes ihm sinnlich Vorliegende willkühr-
lich und faustmäßig nachzuahmen; das Nutzloseste und Nach-
theiligste, was Künstler überhaupt beginnen können, weil da-
bey weder etwas Gegebenes erlernt, noch der Geist in freyer
Thätigkeit geübt wird. Aus diesem Grunde gleichen sich die
Actzeichnungen aller europäischen Akademien; daher unterschei-
den sich sogar die älteren italienischen Acte, deren ich viele
gesammelt habe, von den neueren nur durch den Aufdruck der
Schule, durchaus nicht durch Eigenthümlichkeiten der Modelle,
welche bey so großer Entlegenheit der einzelnen Kunstschulen
doch nothwendig unter sich verschieden waren *).

Wollte nun eine Kunstschule, welche aufrichtig die Bil-
dung und Förderung ihrer Lehrlinge beabsichtete, diesem Uebel
vorbeugen; wollte sie in der Ueberzeugung, daß der gewöhn-
liche Modellzeichner, anstatt Kenntnisse zu erwerben, vielmehr
nur den ihm so nöthigen Natursinn abstumpfe, inskünftige
dem Modellzeichnen eine bestimmtere Richtung auf den einzi-
gen Zweck geben, der überhaupt dabey zu erreichen ist: so
würde sie, denke ich, dasselbe auf das genaueste mit anato-
mischen Studien verbinden müssen. Es müßte dasjenige Glied

*) Dieses bemerkte schon Carstens; dessen Leben von Fer-
now
. S. 134.

genuͤgend begruͤndet werden. Allerdings erwirbt der Lehrling,
der zum erſten und anderen Male nackte Koͤrper beſchaut und
ſich bemuͤht, ſie aufzufaſſen und nachzubilden, zu Anfang ſchon
durch aͤußerliche Beſichtigung manches Weſentliche. Doch,
nachdem die Friſche des Sinnes ſich abgeſtumpft hat, nach-
dem er erlernt, was durch bloße Beſchauung der Oberflaͤche
uͤberhaupt zu erlernen iſt, pflegt er, wie hundertfaͤltige Erfah-
rung beſtaͤtigt, das ſchon Erlernte mehr und minder mecha-
niſch zu wiederholen, jenes ihm ſinnlich Vorliegende willkuͤhr-
lich und fauſtmaͤßig nachzuahmen; das Nutzloſeſte und Nach-
theiligſte, was Kuͤnſtler uͤberhaupt beginnen koͤnnen, weil da-
bey weder etwas Gegebenes erlernt, noch der Geiſt in freyer
Thaͤtigkeit geuͤbt wird. Aus dieſem Grunde gleichen ſich die
Actzeichnungen aller europaͤiſchen Akademien; daher unterſchei-
den ſich ſogar die aͤlteren italieniſchen Acte, deren ich viele
geſammelt habe, von den neueren nur durch den Aufdruck der
Schule, durchaus nicht durch Eigenthuͤmlichkeiten der Modelle,
welche bey ſo großer Entlegenheit der einzelnen Kunſtſchulen
doch nothwendig unter ſich verſchieden waren *).

Wollte nun eine Kunſtſchule, welche aufrichtig die Bil-
dung und Foͤrderung ihrer Lehrlinge beabſichtete, dieſem Uebel
vorbeugen; wollte ſie in der Ueberzeugung, daß der gewoͤhn-
liche Modellzeichner, anſtatt Kenntniſſe zu erwerben, vielmehr
nur den ihm ſo noͤthigen Naturſinn abſtumpfe, inskuͤnftige
dem Modellzeichnen eine beſtimmtere Richtung auf den einzi-
gen Zweck geben, der uͤberhaupt dabey zu erreichen iſt: ſo
wuͤrde ſie, denke ich, daſſelbe auf das genaueſte mit anato-
miſchen Studien verbinden muͤſſen. Es muͤßte dasjenige Glied

*) Dieſes bemerkte ſchon Carſtens; deſſen Leben von Fer-
now
. S. 134.
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[69/0087] genuͤgend begruͤndet werden. Allerdings erwirbt der Lehrling, der zum erſten und anderen Male nackte Koͤrper beſchaut und ſich bemuͤht, ſie aufzufaſſen und nachzubilden, zu Anfang ſchon durch aͤußerliche Beſichtigung manches Weſentliche. Doch, nachdem die Friſche des Sinnes ſich abgeſtumpft hat, nach- dem er erlernt, was durch bloße Beſchauung der Oberflaͤche uͤberhaupt zu erlernen iſt, pflegt er, wie hundertfaͤltige Erfah- rung beſtaͤtigt, das ſchon Erlernte mehr und minder mecha- niſch zu wiederholen, jenes ihm ſinnlich Vorliegende willkuͤhr- lich und fauſtmaͤßig nachzuahmen; das Nutzloſeſte und Nach- theiligſte, was Kuͤnſtler uͤberhaupt beginnen koͤnnen, weil da- bey weder etwas Gegebenes erlernt, noch der Geiſt in freyer Thaͤtigkeit geuͤbt wird. Aus dieſem Grunde gleichen ſich die Actzeichnungen aller europaͤiſchen Akademien; daher unterſchei- den ſich ſogar die aͤlteren italieniſchen Acte, deren ich viele geſammelt habe, von den neueren nur durch den Aufdruck der Schule, durchaus nicht durch Eigenthuͤmlichkeiten der Modelle, welche bey ſo großer Entlegenheit der einzelnen Kunſtſchulen doch nothwendig unter ſich verſchieden waren *). Wollte nun eine Kunſtſchule, welche aufrichtig die Bil- dung und Foͤrderung ihrer Lehrlinge beabſichtete, dieſem Uebel vorbeugen; wollte ſie in der Ueberzeugung, daß der gewoͤhn- liche Modellzeichner, anſtatt Kenntniſſe zu erwerben, vielmehr nur den ihm ſo noͤthigen Naturſinn abſtumpfe, inskuͤnftige dem Modellzeichnen eine beſtimmtere Richtung auf den einzi- gen Zweck geben, der uͤberhaupt dabey zu erreichen iſt: ſo wuͤrde ſie, denke ich, daſſelbe auf das genaueſte mit anato- miſchen Studien verbinden muͤſſen. Es muͤßte dasjenige Glied *) Dieſes bemerkte ſchon Carſtens; deſſen Leben von Fer- now. S. 134.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/87>, abgerufen am 27.11.2024.