Formen darum, weil sie nicht die ersten sich darbietenden, son- dern eben nur die sind, welche ihr besonderer Zweck begehrt, gewiß nicht weniger natürlich seyn. Wenn aber Andere die- selbe Aufgabe ergriffen und aus Laune, oder Einfalt, gleich den sogenannten Naturalisten der Zeit des Caravagio, sie durch Formen häßlicher und abgelebter Weiber darzustellen dächten, würden wohl diese Formen darum, weil sie der Auf- gabe widersprechen, uns natürlicher zu seyn dünken, als jene anderen ihren Kunstzweck durchaus erfüllenden? -- Demnach wird durch eine zweckgemäße Verwendung in der allgemein- sten Beschaffenheit der Naturformen durchaus nichts abgeän- dert, vielmehr scheint es, daß sie durch eine solche Verwen- dung noch einen zweyten Anspruch auf Natürlichkeit gewin- nen, da auch dieß naturgemäß ist, die Typen der Natur in ihrem ursprünglichen und eigenen Sinne in Anwendung zu bringen. Jener Grund für die frag- liche Unnatürlichkeit, oder Uebernatürlichkeit der darstellenden Kunstformen beruht also auf einer Täuschung, über welche wir nunmehr hinaussehen dürfen.
Demnach ist die allerdings zuläßliche Eintheilung der Kunstaufgaben in sinnlich und geistig erfaßliche auf keine Weise über die Formen ihrer Darstellung auszudehnen, da diese Formen, wie es einleuchtet, nicht wie die Aufgabe, bald sinnlich, bald geistig, sondern, was sie auch darstellen mögen, doch unveränderlich sinnliche Dinge sind. Wären nun eben diese durchaus sinnliche Formen (wie man unter den Benen- nungen Gesetzmäßigkeit und Naturnothwendigkeit, oder durch ein bedingtes Einräumen des Modellgebrauches doch einge- steht) bisweilen, oder zum Theil natürliche; erlitten diese For- men, wie wir so eben ausgemacht, in so fern sie Formen
Formen darum, weil ſie nicht die erſten ſich darbietenden, ſon- dern eben nur die ſind, welche ihr beſonderer Zweck begehrt, gewiß nicht weniger natuͤrlich ſeyn. Wenn aber Andere die- ſelbe Aufgabe ergriffen und aus Laune, oder Einfalt, gleich den ſogenannten Naturaliſten der Zeit des Caravagio, ſie durch Formen haͤßlicher und abgelebter Weiber darzuſtellen daͤchten, wuͤrden wohl dieſe Formen darum, weil ſie der Auf- gabe widerſprechen, uns natuͤrlicher zu ſeyn duͤnken, als jene anderen ihren Kunſtzweck durchaus erfuͤllenden? — Demnach wird durch eine zweckgemaͤße Verwendung in der allgemein- ſten Beſchaffenheit der Naturformen durchaus nichts abgeaͤn- dert, vielmehr ſcheint es, daß ſie durch eine ſolche Verwen- dung noch einen zweyten Anſpruch auf Natuͤrlichkeit gewin- nen, da auch dieß naturgemaͤß iſt, die Typen der Natur in ihrem urſpruͤnglichen und eigenen Sinne in Anwendung zu bringen. Jener Grund fuͤr die frag- liche Unnatuͤrlichkeit, oder Uebernatuͤrlichkeit der darſtellenden Kunſtformen beruht alſo auf einer Taͤuſchung, uͤber welche wir nunmehr hinausſehen duͤrfen.
Demnach iſt die allerdings zulaͤßliche Eintheilung der Kunſtaufgaben in ſinnlich und geiſtig erfaßliche auf keine Weiſe uͤber die Formen ihrer Darſtellung auszudehnen, da dieſe Formen, wie es einleuchtet, nicht wie die Aufgabe, bald ſinnlich, bald geiſtig, ſondern, was ſie auch darſtellen moͤgen, doch unveraͤnderlich ſinnliche Dinge ſind. Waͤren nun eben dieſe durchaus ſinnliche Formen (wie man unter den Benen- nungen Geſetzmaͤßigkeit und Naturnothwendigkeit, oder durch ein bedingtes Einraͤumen des Modellgebrauches doch einge- ſteht) bisweilen, oder zum Theil natuͤrliche; erlitten dieſe For- men, wie wir ſo eben ausgemacht, in ſo fern ſie Formen
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Formen darum, weil ſie nicht die erſten ſich darbietenden, ſon-
dern eben nur die ſind, welche ihr beſonderer Zweck begehrt,
gewiß nicht weniger natuͤrlich ſeyn. Wenn aber Andere die-
ſelbe Aufgabe ergriffen und aus Laune, oder Einfalt, gleich
den ſogenannten Naturaliſten der Zeit des Caravagio, ſie
durch Formen haͤßlicher und abgelebter Weiber darzuſtellen
daͤchten, wuͤrden wohl dieſe Formen darum, weil ſie der Auf-
gabe widerſprechen, uns natuͤrlicher zu ſeyn duͤnken, als jene
anderen ihren Kunſtzweck durchaus erfuͤllenden? — Demnach
wird durch eine zweckgemaͤße Verwendung in der allgemein-
ſten Beſchaffenheit der Naturformen durchaus nichts abgeaͤn-
dert, vielmehr ſcheint es, daß ſie durch eine ſolche Verwen-
dung noch einen zweyten Anſpruch auf Natuͤrlichkeit gewin-
nen, da auch dieß naturgemaͤß iſt, die Typen der
Natur in ihrem urſpruͤnglichen und eigenen Sinne
in Anwendung zu bringen. Jener Grund fuͤr die frag-
liche Unnatuͤrlichkeit, oder Uebernatuͤrlichkeit der darſtellenden
Kunſtformen beruht alſo auf einer Taͤuſchung, uͤber welche
wir nunmehr hinausſehen duͤrfen.
Demnach iſt die allerdings zulaͤßliche Eintheilung der
Kunſtaufgaben in ſinnlich und geiſtig erfaßliche auf keine
Weiſe uͤber die Formen ihrer Darſtellung auszudehnen, da
dieſe Formen, wie es einleuchtet, nicht wie die Aufgabe, bald
ſinnlich, bald geiſtig, ſondern, was ſie auch darſtellen moͤgen,
doch unveraͤnderlich ſinnliche Dinge ſind. Waͤren nun eben
dieſe durchaus ſinnliche Formen (wie man unter den Benen-
nungen Geſetzmaͤßigkeit und Naturnothwendigkeit, oder durch
ein bedingtes Einraͤumen des Modellgebrauches doch einge-
ſteht) bisweilen, oder zum Theil natuͤrliche; erlitten dieſe For-
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/78>, abgerufen am 26.11.2024.
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