den einen nicht auflösen und aufheben können, ohne vorher den Anderen berichtigt, oder vertilgt zu haben. Die Parthey- ung aber, welche durch diese irrigen Begriffe hervorgebracht worden, wird an sich selbst nur in so fern der Aufmerksamkeit werth seyn, als sie durch das Beyspiel ihrer Leistungen den Nachtheil bewährt, welcher aus einer falschen Auffassung der Grundbegriffe, deren Berichtigung vielen minder wesentlich be- dünken möchte, sogar für die wirkliche Kunstübung entsteht. Ueberhaupt aber mögen der Kunstgeschichte weniger Kundige nicht etwa glauben, daß den Idealisten die Idee, den Natu- ralisten die Natur so sehr am Herzen gelegen. Ihr Streit drehte sich einzig um Formen der Darstellung, ob diese will- kührlich zu ersinnen *), oder vielmehr jedem in der Wirklich- keit sich zufällig darbietenden Gegenstande nachzubilden seyn. Während die eine Parthey der Weisheit der Natur muth- willig Trotz bot, ihre Fülle verschmähte, wollte die andere, die inneren Forderungen bestimmter Kunstaufgaben verachtend und jeglicher Erhebung der Seele entsagend, nur solche For- men nachbilden, welche der Zufall bot, auch wohl muthwil- liger Weise eben die, welche der Aufgabe sichtlich widerspra- chen. Wie nur die Schulbegriffe so platter Richtungen in die Sprache der unläugbar besser gesinnten Künstler, der un- läugbar tiefer denkenden Kunstgelehrten der neuesten Zeit haben übergehen können!
Wenden wir uns zunächst zum Grundbegriffe der Natu- ralisten, so ist es wohl klar, daß der Name der Natur, die- ses weiten und allgemeinen Begriffes, nicht ohne Frevel ver-
*) Etwas aus der Idea ausmachen, wie Sandrart aus der Kunstsprache der italienischen Maler seiner Zeit übersetzt, ist dem oben Angeführten, far da se, des Vasari ungefähr gleichbedeutend.
den einen nicht aufloͤſen und aufheben koͤnnen, ohne vorher den Anderen berichtigt, oder vertilgt zu haben. Die Parthey- ung aber, welche durch dieſe irrigen Begriffe hervorgebracht worden, wird an ſich ſelbſt nur in ſo fern der Aufmerkſamkeit werth ſeyn, als ſie durch das Beyſpiel ihrer Leiſtungen den Nachtheil bewaͤhrt, welcher aus einer falſchen Auffaſſung der Grundbegriffe, deren Berichtigung vielen minder weſentlich be- duͤnken moͤchte, ſogar fuͤr die wirkliche Kunſtuͤbung entſteht. Ueberhaupt aber moͤgen der Kunſtgeſchichte weniger Kundige nicht etwa glauben, daß den Idealiſten die Idee, den Natu- raliſten die Natur ſo ſehr am Herzen gelegen. Ihr Streit drehte ſich einzig um Formen der Darſtellung, ob dieſe will- kuͤhrlich zu erſinnen *), oder vielmehr jedem in der Wirklich- keit ſich zufaͤllig darbietenden Gegenſtande nachzubilden ſeyn. Waͤhrend die eine Parthey der Weisheit der Natur muth- willig Trotz bot, ihre Fuͤlle verſchmaͤhte, wollte die andere, die inneren Forderungen beſtimmter Kunſtaufgaben verachtend und jeglicher Erhebung der Seele entſagend, nur ſolche For- men nachbilden, welche der Zufall bot, auch wohl muthwil- liger Weiſe eben die, welche der Aufgabe ſichtlich widerſpra- chen. Wie nur die Schulbegriffe ſo platter Richtungen in die Sprache der unlaͤugbar beſſer geſinnten Kuͤnſtler, der un- laͤugbar tiefer denkenden Kunſtgelehrten der neueſten Zeit haben uͤbergehen koͤnnen!
Wenden wir uns zunaͤchſt zum Grundbegriffe der Natu- raliſten, ſo iſt es wohl klar, daß der Name der Natur, die- ſes weiten und allgemeinen Begriffes, nicht ohne Frevel ver-
*) Etwas aus der Idea ausmachen, wie Sandrart aus der Kunſtſprache der italieniſchen Maler ſeiner Zeit uͤberſetzt, iſt dem oben Angefuͤhrten, far da se, des Vaſari ungefaͤhr gleichbedeutend.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0055"n="37"/>
den einen nicht aufloͤſen und aufheben koͤnnen, ohne vorher<lb/>
den Anderen berichtigt, oder vertilgt zu haben. Die Parthey-<lb/>
ung aber, welche durch dieſe irrigen Begriffe hervorgebracht<lb/>
worden, wird an ſich ſelbſt nur in ſo fern der Aufmerkſamkeit<lb/>
werth ſeyn, als ſie durch das Beyſpiel ihrer Leiſtungen den<lb/>
Nachtheil bewaͤhrt, welcher aus einer falſchen Auffaſſung der<lb/>
Grundbegriffe, deren Berichtigung vielen minder weſentlich be-<lb/>
duͤnken moͤchte, ſogar fuͤr die wirkliche Kunſtuͤbung entſteht.<lb/>
Ueberhaupt aber moͤgen der Kunſtgeſchichte weniger Kundige<lb/>
nicht etwa glauben, daß den Idealiſten die Idee, den Natu-<lb/>
raliſten die Natur ſo ſehr am Herzen gelegen. Ihr Streit<lb/>
drehte ſich einzig um Formen der Darſtellung, ob dieſe will-<lb/>
kuͤhrlich zu erſinnen <noteplace="foot"n="*)">Etwas aus der <hirendition="#g">Idea</hi> ausmachen, wie <hirendition="#g"><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118794396">Sandrart</persName></hi> aus der<lb/>
Kunſtſprache der italieniſchen Maler ſeiner Zeit uͤberſetzt, iſt dem<lb/>
oben Angefuͤhrten, <hirendition="#aq">far da se,</hi> des <hirendition="#g"><persNameref="http://d-nb.info/gnd/118626213">Vaſari</persName></hi> ungefaͤhr gleichbedeutend.</note>, oder vielmehr jedem in der Wirklich-<lb/>
keit ſich zufaͤllig darbietenden Gegenſtande nachzubilden ſeyn.<lb/>
Waͤhrend die eine Parthey der Weisheit der Natur muth-<lb/>
willig Trotz bot, ihre Fuͤlle verſchmaͤhte, wollte die andere,<lb/>
die inneren Forderungen beſtimmter Kunſtaufgaben verachtend<lb/>
und jeglicher Erhebung der Seele entſagend, nur ſolche For-<lb/>
men nachbilden, welche der Zufall bot, auch wohl muthwil-<lb/>
liger Weiſe eben die, welche der Aufgabe ſichtlich widerſpra-<lb/>
chen. Wie nur die Schulbegriffe ſo platter Richtungen in<lb/>
die Sprache der unlaͤugbar beſſer geſinnten Kuͤnſtler, der un-<lb/>
laͤugbar tiefer denkenden Kunſtgelehrten der neueſten Zeit haben<lb/>
uͤbergehen koͤnnen!</p><lb/><p>Wenden wir uns zunaͤchſt zum Grundbegriffe der Natu-<lb/>
raliſten, ſo iſt es wohl klar, daß der Name der Natur, die-<lb/>ſes weiten und allgemeinen Begriffes, nicht ohne Frevel ver-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[37/0055]
den einen nicht aufloͤſen und aufheben koͤnnen, ohne vorher
den Anderen berichtigt, oder vertilgt zu haben. Die Parthey-
ung aber, welche durch dieſe irrigen Begriffe hervorgebracht
worden, wird an ſich ſelbſt nur in ſo fern der Aufmerkſamkeit
werth ſeyn, als ſie durch das Beyſpiel ihrer Leiſtungen den
Nachtheil bewaͤhrt, welcher aus einer falſchen Auffaſſung der
Grundbegriffe, deren Berichtigung vielen minder weſentlich be-
duͤnken moͤchte, ſogar fuͤr die wirkliche Kunſtuͤbung entſteht.
Ueberhaupt aber moͤgen der Kunſtgeſchichte weniger Kundige
nicht etwa glauben, daß den Idealiſten die Idee, den Natu-
raliſten die Natur ſo ſehr am Herzen gelegen. Ihr Streit
drehte ſich einzig um Formen der Darſtellung, ob dieſe will-
kuͤhrlich zu erſinnen *), oder vielmehr jedem in der Wirklich-
keit ſich zufaͤllig darbietenden Gegenſtande nachzubilden ſeyn.
Waͤhrend die eine Parthey der Weisheit der Natur muth-
willig Trotz bot, ihre Fuͤlle verſchmaͤhte, wollte die andere,
die inneren Forderungen beſtimmter Kunſtaufgaben verachtend
und jeglicher Erhebung der Seele entſagend, nur ſolche For-
men nachbilden, welche der Zufall bot, auch wohl muthwil-
liger Weiſe eben die, welche der Aufgabe ſichtlich widerſpra-
chen. Wie nur die Schulbegriffe ſo platter Richtungen in
die Sprache der unlaͤugbar beſſer geſinnten Kuͤnſtler, der un-
laͤugbar tiefer denkenden Kunſtgelehrten der neueſten Zeit haben
uͤbergehen koͤnnen!
Wenden wir uns zunaͤchſt zum Grundbegriffe der Natu-
raliſten, ſo iſt es wohl klar, daß der Name der Natur, die-
ſes weiten und allgemeinen Begriffes, nicht ohne Frevel ver-
*) Etwas aus der Idea ausmachen, wie Sandrart aus der
Kunſtſprache der italieniſchen Maler ſeiner Zeit uͤberſetzt, iſt dem
oben Angefuͤhrten, far da se, des Vaſari ungefaͤhr gleichbedeutend.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/55>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.