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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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dieser letzten auch in den günstigsten Beyspielen ansieht, daß
sie sogleich als Mumie entstanden waren, und künftiger Aus-
bildung im voraus entsagt hatten; den italienischen hingegen,
daß ihre Form, bey größter Rohigkeit, doch nicht, wie jene,
äußerlich abgeschlossen, mithin einer höheren Entwickelung noch
fähig war. Streben nach einer edleren, schöneren Entwicke-
lung der italienischen Idee des Gekreuzigten finden wir längere
Zeit, bevor sie durch neugriechische Vorbilder verdrängt wurde,
in verschiedenen einander ähnlichen Bildern der Gegend von
Asisi, wo später durch die feurige Beredsamkeit des heil. Franz
das Andenken der Leiden Christi, und dadurch die Verehrung
des Crucifixes neu belebt und bis zur Schwärmerey erhöhet
wurde. Ein Beyspiel der barbarisch-italienischen Vorstellung
der Maria, im Gegensatz zur neugriechischen, gewährt uns ein
Bild zu Siena in der casa di S. Ansano, in der Seitenca-
pelle rechts, welches, wie jenes der Akademie vom J. 1215,
halb Relief, halb Malerey ist. Sie ist, im Vollen angesehen,
gerade aufgerichtet sitzend. Im goldenen Felde zwey sehr kleine
Engel; der Thron von höchster Einfachheit. Uebrigens ist das
Antlitz der Madonna nicht ohne Schönheit.

Das Eigenthümliche dieser Bilder zeigt sich zunächst in
der Anordnung, da sie unter den ausgebreiteten Armen des
Heilandes verlängerte Füllungen haben, auf denen Maria und
Johannes, nebst den übrigen Marieen der Leidensgeschichte in
verjüngtem Maße vorgestellt sind; an den Ausgängen der
Schenkel des Kreuzes befinden sich unter mancherley Verzie-
rungen von musivischem Charakter Brustbilder von Engeln.
Das wichtigste Merkmal der Unterscheidung italienischer und
griechischer Kruzifixe beruhet indeß auf der Haltung, welche
beide Nationen dem Leibe des Gekreuzigten selbst gegeben.

dieſer letzten auch in den guͤnſtigſten Beyſpielen anſieht, daß
ſie ſogleich als Mumie entſtanden waren, und kuͤnftiger Aus-
bildung im voraus entſagt hatten; den italieniſchen hingegen,
daß ihre Form, bey groͤßter Rohigkeit, doch nicht, wie jene,
aͤußerlich abgeſchloſſen, mithin einer hoͤheren Entwickelung noch
faͤhig war. Streben nach einer edleren, ſchoͤneren Entwicke-
lung der italieniſchen Idee des Gekreuzigten finden wir laͤngere
Zeit, bevor ſie durch neugriechiſche Vorbilder verdraͤngt wurde,
in verſchiedenen einander aͤhnlichen Bildern der Gegend von
Aſiſi, wo ſpaͤter durch die feurige Beredſamkeit des heil. Franz
das Andenken der Leiden Chriſti, und dadurch die Verehrung
des Crucifixes neu belebt und bis zur Schwaͤrmerey erhoͤhet
wurde. Ein Beyſpiel der barbariſch-italieniſchen Vorſtellung
der Maria, im Gegenſatz zur neugriechiſchen, gewaͤhrt uns ein
Bild zu Siena in der casa di S. Ansano, in der Seitenca-
pelle rechts, welches, wie jenes der Akademie vom J. 1215,
halb Relief, halb Malerey iſt. Sie iſt, im Vollen angeſehen,
gerade aufgerichtet ſitzend. Im goldenen Felde zwey ſehr kleine
Engel; der Thron von hoͤchſter Einfachheit. Uebrigens iſt das
Antlitz der Madonna nicht ohne Schoͤnheit.

Das Eigenthuͤmliche dieſer Bilder zeigt ſich zunaͤchſt in
der Anordnung, da ſie unter den ausgebreiteten Armen des
Heilandes verlaͤngerte Fuͤllungen haben, auf denen Maria und
Johannes, nebſt den uͤbrigen Marieen der Leidensgeſchichte in
verjuͤngtem Maße vorgeſtellt ſind; an den Ausgaͤngen der
Schenkel des Kreuzes befinden ſich unter mancherley Verzie-
rungen von muſiviſchem Charakter Bruſtbilder von Engeln.
Das wichtigſte Merkmal der Unterſcheidung italieniſcher und
griechiſcher Kruzifixe beruhet indeß auf der Haltung, welche
beide Nationen dem Leibe des Gekreuzigten ſelbſt gegeben.

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[279/0297] dieſer letzten auch in den guͤnſtigſten Beyſpielen anſieht, daß ſie ſogleich als Mumie entſtanden waren, und kuͤnftiger Aus- bildung im voraus entſagt hatten; den italieniſchen hingegen, daß ihre Form, bey groͤßter Rohigkeit, doch nicht, wie jene, aͤußerlich abgeſchloſſen, mithin einer hoͤheren Entwickelung noch faͤhig war. Streben nach einer edleren, ſchoͤneren Entwicke- lung der italieniſchen Idee des Gekreuzigten finden wir laͤngere Zeit, bevor ſie durch neugriechiſche Vorbilder verdraͤngt wurde, in verſchiedenen einander aͤhnlichen Bildern der Gegend von Aſiſi, wo ſpaͤter durch die feurige Beredſamkeit des heil. Franz das Andenken der Leiden Chriſti, und dadurch die Verehrung des Crucifixes neu belebt und bis zur Schwaͤrmerey erhoͤhet wurde. Ein Beyſpiel der barbariſch-italieniſchen Vorſtellung der Maria, im Gegenſatz zur neugriechiſchen, gewaͤhrt uns ein Bild zu Siena in der casa di S. Ansano, in der Seitenca- pelle rechts, welches, wie jenes der Akademie vom J. 1215, halb Relief, halb Malerey iſt. Sie iſt, im Vollen angeſehen, gerade aufgerichtet ſitzend. Im goldenen Felde zwey ſehr kleine Engel; der Thron von hoͤchſter Einfachheit. Uebrigens iſt das Antlitz der Madonna nicht ohne Schoͤnheit. Das Eigenthuͤmliche dieſer Bilder zeigt ſich zunaͤchſt in der Anordnung, da ſie unter den ausgebreiteten Armen des Heilandes verlaͤngerte Fuͤllungen haben, auf denen Maria und Johannes, nebſt den uͤbrigen Marieen der Leidensgeſchichte in verjuͤngtem Maße vorgeſtellt ſind; an den Ausgaͤngen der Schenkel des Kreuzes befinden ſich unter mancherley Verzie- rungen von muſiviſchem Charakter Bruſtbilder von Engeln. Das wichtigſte Merkmal der Unterſcheidung italieniſcher und griechiſcher Kruzifixe beruhet indeß auf der Haltung, welche beide Nationen dem Leibe des Gekreuzigten ſelbſt gegeben.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/297>, abgerufen am 25.11.2024.