Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

Einige wollen, auch Solches, was nach Analogieen der sitt-
lichen Natur von übersinnlichen Dingen geahnet, oder deutlich
erkannt wird, einleuchtend der edelste und wichtigste Gegenstand
der künstlerischen Auffassung. Erwägen wir die eigenthüm-
liche Fähigkeit der Kunst, jegliches sittliche Seyn und Wollen
in solcher Tiefe und Fülle darzustellen, daß in Vergleich ge-
lungener Darstellungen der Kunst die Rede selbst des größten
Dichters in dieser Beziehung, bald nur als flüchtige Andeu-
tung, bald als schleppende Umschreibung erscheinen muß; so
werden wir nicht anstehen können, der Kunst einzuräumen:
daß sie durchaus unentbehrlich war, die Ausbildung mensch-
licher Gemüths- und Geisteskräfte zu vollenden. Würdigen
wir nur zu Genüge, was die bildenden Künste in den Grie-
chen, und was wiederum die Griechen durch ihre Kunst in
anderen Völkern erweckt und ausgebildet haben, so wird uns
einleuchten müssen, daß jedes Volk, dem die Kunst, oder
doch der Sinn für die Kunst fehlt, auch im besten Falle nur
halb gebildet, halb noch barbarisch sey. -- Hier indeß zähle
ich darauf, dem Mißverständniß zu entgehen, als verwechsele
ich, wie es geschehen *), die Sitte mit dem Moralisiren.

*) Quatremere de Quincy, Essai sur la nature, le but et les
moyens, de l'imitation dans les beaux arts. Paris 1823. II. p. 157. --
"Ce furent en effet de veritables besoins pour les peuples civili-
ses, -- -- -- que de fixer et de consacrer dans un langage sen-
sible, les opinions morales et les sentimens religieux
." -- Bei
einem so nüchternen Bewußtseyn des nützlichen Zweckes, als der-
selbe gleich darauf andeutet (C'est ainsi que l'on peut donner a
l'imitation des beaux arts un but aussi utile pour eux que pour la
societe)
, möchte schwerlich, wenn auch nur das mäßigst Erfreuliche
geleistet werden können.

Einige wollen, auch Solches, was nach Analogieen der ſitt-
lichen Natur von uͤberſinnlichen Dingen geahnet, oder deutlich
erkannt wird, einleuchtend der edelſte und wichtigſte Gegenſtand
der kuͤnſtleriſchen Auffaſſung. Erwaͤgen wir die eigenthuͤm-
liche Faͤhigkeit der Kunſt, jegliches ſittliche Seyn und Wollen
in ſolcher Tiefe und Fuͤlle darzuſtellen, daß in Vergleich ge-
lungener Darſtellungen der Kunſt die Rede ſelbſt des groͤßten
Dichters in dieſer Beziehung, bald nur als fluͤchtige Andeu-
tung, bald als ſchleppende Umſchreibung erſcheinen muß; ſo
werden wir nicht anſtehen koͤnnen, der Kunſt einzuraͤumen:
daß ſie durchaus unentbehrlich war, die Ausbildung menſch-
licher Gemuͤths- und Geiſteskraͤfte zu vollenden. Wuͤrdigen
wir nur zu Genuͤge, was die bildenden Kuͤnſte in den Grie-
chen, und was wiederum die Griechen durch ihre Kunſt in
anderen Voͤlkern erweckt und ausgebildet haben, ſo wird uns
einleuchten muͤſſen, daß jedes Volk, dem die Kunſt, oder
doch der Sinn fuͤr die Kunſt fehlt, auch im beſten Falle nur
halb gebildet, halb noch barbariſch ſey. — Hier indeß zaͤhle
ich darauf, dem Mißverſtaͤndniß zu entgehen, als verwechſele
ich, wie es geſchehen *), die Sitte mit dem Moraliſiren.

*) Quatremère de Quincy, Essai sur la nature, le but et les
moyens, de l’imitation dans les beaux arts. Paris 1823. II. p. 157. —
„Ce furent en effet de véritables besoins pour les peuples civili-
sés, — — — que de fixer et de consacrer dans un langage sen-
sible, les opinions morales et les sentimens religieux
.” — Bei
einem ſo nuͤchternen Bewußtſeyn des nuͤtzlichen Zweckes, als der-
ſelbe gleich darauf andeutet (C’est ainsi que l’on peut donner à
l’imitation des beaux arts un but aussi utile pour eux que pour la
société)
, moͤchte ſchwerlich, wenn auch nur das maͤßigſt Erfreuliche
geleiſtet werden koͤnnen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0029" n="11"/>
Einige wollen, auch Solches, was nach Analogieen der &#x017F;itt-<lb/>
lichen Natur von u&#x0364;ber&#x017F;innlichen Dingen geahnet, oder deutlich<lb/>
erkannt wird, einleuchtend der edel&#x017F;te und wichtig&#x017F;te Gegen&#x017F;tand<lb/>
der ku&#x0364;n&#x017F;tleri&#x017F;chen Auffa&#x017F;&#x017F;ung. Erwa&#x0364;gen wir die eigenthu&#x0364;m-<lb/>
liche Fa&#x0364;higkeit der Kun&#x017F;t, jegliches &#x017F;ittliche Seyn und Wollen<lb/>
in &#x017F;olcher Tiefe und Fu&#x0364;lle darzu&#x017F;tellen, daß in Vergleich ge-<lb/>
lungener Dar&#x017F;tellungen der Kun&#x017F;t die Rede &#x017F;elb&#x017F;t des gro&#x0364;ßten<lb/>
Dichters in die&#x017F;er Beziehung, bald nur als flu&#x0364;chtige Andeu-<lb/>
tung, bald als &#x017F;chleppende Um&#x017F;chreibung er&#x017F;cheinen muß; &#x017F;o<lb/>
werden wir nicht an&#x017F;tehen ko&#x0364;nnen, der Kun&#x017F;t einzura&#x0364;umen:<lb/>
daß &#x017F;ie durchaus unentbehrlich war, die Ausbildung men&#x017F;ch-<lb/>
licher Gemu&#x0364;ths- und Gei&#x017F;teskra&#x0364;fte zu vollenden. Wu&#x0364;rdigen<lb/>
wir nur zu Genu&#x0364;ge, was die bildenden Ku&#x0364;n&#x017F;te in den Grie-<lb/>
chen, und was wiederum die Griechen durch ihre Kun&#x017F;t in<lb/>
anderen Vo&#x0364;lkern erweckt und ausgebildet haben, &#x017F;o wird uns<lb/>
einleuchten mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, daß jedes Volk, dem die Kun&#x017F;t, oder<lb/>
doch der Sinn fu&#x0364;r die Kun&#x017F;t fehlt, auch im be&#x017F;ten Falle nur<lb/>
halb gebildet, halb noch barbari&#x017F;ch &#x017F;ey. &#x2014; Hier indeß za&#x0364;hle<lb/>
ich darauf, dem Mißver&#x017F;ta&#x0364;ndniß zu entgehen, als verwech&#x017F;ele<lb/>
ich, wie es ge&#x017F;chehen <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118866737">Quatremère de Quincy</persName>, Essai sur la nature, le but et les<lb/>
moyens, de l&#x2019;imitation dans les beaux arts. <placeName>Paris</placeName> 1823. II. p. 157. &#x2014;<lb/>
&#x201E;Ce furent en effet de véritables besoins pour les peuples civili-<lb/>
sés, &#x2014; &#x2014; &#x2014; que de fixer et de consacrer dans un langage sen-<lb/>
sible, <hi rendition="#i">les opinions morales</hi> et les sentimens religieux</hi>.&#x201D; &#x2014; Bei<lb/>
einem &#x017F;o nu&#x0364;chternen Bewußt&#x017F;eyn des nu&#x0364;tzlichen Zweckes, als der-<lb/>
&#x017F;elbe gleich darauf andeutet (<hi rendition="#aq">C&#x2019;est ainsi que l&#x2019;on peut donner à<lb/>
l&#x2019;imitation des beaux arts un but aussi utile pour eux que pour la<lb/>
société)</hi>, mo&#x0364;chte &#x017F;chwerlich, wenn auch nur das ma&#x0364;ßig&#x017F;t Erfreuliche<lb/>
gelei&#x017F;tet werden ko&#x0364;nnen.</note>, die Sitte mit dem Morali&#x017F;iren.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0029] Einige wollen, auch Solches, was nach Analogieen der ſitt- lichen Natur von uͤberſinnlichen Dingen geahnet, oder deutlich erkannt wird, einleuchtend der edelſte und wichtigſte Gegenſtand der kuͤnſtleriſchen Auffaſſung. Erwaͤgen wir die eigenthuͤm- liche Faͤhigkeit der Kunſt, jegliches ſittliche Seyn und Wollen in ſolcher Tiefe und Fuͤlle darzuſtellen, daß in Vergleich ge- lungener Darſtellungen der Kunſt die Rede ſelbſt des groͤßten Dichters in dieſer Beziehung, bald nur als fluͤchtige Andeu- tung, bald als ſchleppende Umſchreibung erſcheinen muß; ſo werden wir nicht anſtehen koͤnnen, der Kunſt einzuraͤumen: daß ſie durchaus unentbehrlich war, die Ausbildung menſch- licher Gemuͤths- und Geiſteskraͤfte zu vollenden. Wuͤrdigen wir nur zu Genuͤge, was die bildenden Kuͤnſte in den Grie- chen, und was wiederum die Griechen durch ihre Kunſt in anderen Voͤlkern erweckt und ausgebildet haben, ſo wird uns einleuchten muͤſſen, daß jedes Volk, dem die Kunſt, oder doch der Sinn fuͤr die Kunſt fehlt, auch im beſten Falle nur halb gebildet, halb noch barbariſch ſey. — Hier indeß zaͤhle ich darauf, dem Mißverſtaͤndniß zu entgehen, als verwechſele ich, wie es geſchehen *), die Sitte mit dem Moraliſiren. *) Quatremère de Quincy, Essai sur la nature, le but et les moyens, de l’imitation dans les beaux arts. Paris 1823. II. p. 157. — „Ce furent en effet de véritables besoins pour les peuples civili- sés, — — — que de fixer et de consacrer dans un langage sen- sible, les opinions morales et les sentimens religieux.” — Bei einem ſo nuͤchternen Bewußtſeyn des nuͤtzlichen Zweckes, als der- ſelbe gleich darauf andeutet (C’est ainsi que l’on peut donner à l’imitation des beaux arts un but aussi utile pour eux que pour la société), moͤchte ſchwerlich, wenn auch nur das maͤßigſt Erfreuliche geleiſtet werden koͤnnen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/29
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/29>, abgerufen am 21.11.2024.