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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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ausgedehnteste. In der Mitte Madonna mit dem Kinde, die
untere Hälfte ergänzt, nur die obere von alter Arbeit. Der
Schmuck der Madonna barbarisch seltsam; deutlich, daß der
Künstler die neugriechische Gestaltung dieser Kunstidee entweder
nicht kannte, oder doch unbeachtet ließ. Zu beiden Seiten des
Thrones der Madonna vier Heilige, unter runden Bogen, auf
Säulen mit korinthisirenden Kapitälen, welche nach den, frei-
lich erneueten, Inschriften Johannes, Jacobus, Petrus und
Andreas vorstellen. Die sehr bemerklichen Umrisse füllt ein
einfacher Localton ohne Abänderung durch Schatten und Lich-
ter. In den Aposteln ist der Hauptentwurf aus altchristlichen
Denkmalen entnommen; die Mutter mit dem Kinde ist indeß
bekanntlich spät zugelassen, also erst in barbarischen Zeiten er-
funden worden; sie scheint selbst bey den Griechen, obwohl
minder unförmlich als hier, doch sogleich als Mumie entstan-
den, nicht allmählich eingewelkt zu seyn, wie ältere Kunstvor-
stellungen. Die Ausbildung dieser Idee gehört den Italienern
des dreyzehnten und folgender Jahrhunderte an, wo wir sie
näher betrachten werden.

2) Noch um das Jahr 1820 waren minder bedeutende,
doch unbezweifelt in dieser traurigen Epoche entstandene Ma-
lereyen an verschiedenen Stellen vorhanden. So bemerkte ich
1821 im Hauptschiff der Kirche S. Frediano zu Lucca die
Marter einer Heiligen, deren Begrenzung oben in stumpfem
Winkel beschlossen war, ein Umstand, welcher bey Alterthü-
mern dieser Zeit und Art in Italien von der Mitte des drey-
zehnten Jahrhunderts rückwärts deutet, da später die gothische
Verzierung herrschend geworden. Die Arbeit ist äußerst roh,
dicke Umrisse trennen die unbeleuchteten Formen. Doch dürfte
diese Malerey nicht älter seyn, als das zwölfte Jahrhundert.


ausgedehnteſte. In der Mitte Madonna mit dem Kinde, die
untere Haͤlfte ergaͤnzt, nur die obere von alter Arbeit. Der
Schmuck der Madonna barbariſch ſeltſam; deutlich, daß der
Kuͤnſtler die neugriechiſche Geſtaltung dieſer Kunſtidee entweder
nicht kannte, oder doch unbeachtet ließ. Zu beiden Seiten des
Thrones der Madonna vier Heilige, unter runden Bogen, auf
Saͤulen mit korinthiſirenden Kapitaͤlen, welche nach den, frei-
lich erneueten, Inſchriften Johannes, Jacobus, Petrus und
Andreas vorſtellen. Die ſehr bemerklichen Umriſſe fuͤllt ein
einfacher Localton ohne Abaͤnderung durch Schatten und Lich-
ter. In den Apoſteln iſt der Hauptentwurf aus altchriſtlichen
Denkmalen entnommen; die Mutter mit dem Kinde iſt indeß
bekanntlich ſpaͤt zugelaſſen, alſo erſt in barbariſchen Zeiten er-
funden worden; ſie ſcheint ſelbſt bey den Griechen, obwohl
minder unfoͤrmlich als hier, doch ſogleich als Mumie entſtan-
den, nicht allmaͤhlich eingewelkt zu ſeyn, wie aͤltere Kunſtvor-
ſtellungen. Die Ausbildung dieſer Idee gehoͤrt den Italienern
des dreyzehnten und folgender Jahrhunderte an, wo wir ſie
naͤher betrachten werden.

2) Noch um das Jahr 1820 waren minder bedeutende,
doch unbezweifelt in dieſer traurigen Epoche entſtandene Ma-
lereyen an verſchiedenen Stellen vorhanden. So bemerkte ich
1821 im Hauptſchiff der Kirche S. Frediano zu Lucca die
Marter einer Heiligen, deren Begrenzung oben in ſtumpfem
Winkel beſchloſſen war, ein Umſtand, welcher bey Alterthuͤ-
mern dieſer Zeit und Art in Italien von der Mitte des drey-
zehnten Jahrhunderts ruͤckwaͤrts deutet, da ſpaͤter die gothiſche
Verzierung herrſchend geworden. Die Arbeit iſt aͤußerſt roh,
dicke Umriſſe trennen die unbeleuchteten Formen. Doch duͤrfte
dieſe Malerey nicht aͤlter ſeyn, als das zwoͤlfte Jahrhundert.


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[244/0262] ausgedehnteſte. In der Mitte Madonna mit dem Kinde, die untere Haͤlfte ergaͤnzt, nur die obere von alter Arbeit. Der Schmuck der Madonna barbariſch ſeltſam; deutlich, daß der Kuͤnſtler die neugriechiſche Geſtaltung dieſer Kunſtidee entweder nicht kannte, oder doch unbeachtet ließ. Zu beiden Seiten des Thrones der Madonna vier Heilige, unter runden Bogen, auf Saͤulen mit korinthiſirenden Kapitaͤlen, welche nach den, frei- lich erneueten, Inſchriften Johannes, Jacobus, Petrus und Andreas vorſtellen. Die ſehr bemerklichen Umriſſe fuͤllt ein einfacher Localton ohne Abaͤnderung durch Schatten und Lich- ter. In den Apoſteln iſt der Hauptentwurf aus altchriſtlichen Denkmalen entnommen; die Mutter mit dem Kinde iſt indeß bekanntlich ſpaͤt zugelaſſen, alſo erſt in barbariſchen Zeiten er- funden worden; ſie ſcheint ſelbſt bey den Griechen, obwohl minder unfoͤrmlich als hier, doch ſogleich als Mumie entſtan- den, nicht allmaͤhlich eingewelkt zu ſeyn, wie aͤltere Kunſtvor- ſtellungen. Die Ausbildung dieſer Idee gehoͤrt den Italienern des dreyzehnten und folgender Jahrhunderte an, wo wir ſie naͤher betrachten werden. 2) Noch um das Jahr 1820 waren minder bedeutende, doch unbezweifelt in dieſer traurigen Epoche entſtandene Ma- lereyen an verſchiedenen Stellen vorhanden. So bemerkte ich 1821 im Hauptſchiff der Kirche S. Frediano zu Lucca die Marter einer Heiligen, deren Begrenzung oben in ſtumpfem Winkel beſchloſſen war, ein Umſtand, welcher bey Alterthuͤ- mern dieſer Zeit und Art in Italien von der Mitte des drey- zehnten Jahrhunderts ruͤckwaͤrts deutet, da ſpaͤter die gothiſche Verzierung herrſchend geworden. Die Arbeit iſt aͤußerſt roh, dicke Umriſſe trennen die unbeleuchteten Formen. Doch duͤrfte dieſe Malerey nicht aͤlter ſeyn, als das zwoͤlfte Jahrhundert.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/262>, abgerufen am 22.11.2024.