tische Sinn und Alles, was vom alten martialischen Geiste bey römischen oder germanischen Abkömmlingen noch vorhan- den war, auf Gründung und Sicherung des Nächsten. Auf der einen Seite vereinigten sich die Stammgenossenschaften des Adels, welche in Italien alt seyn müssen, weil sie früh sich zeigen, und schon im dreyzehnten Jahrhundert sich überlebt haben und zum Untergange reif sind. Andererseits entwickelte sich in den Trümmern römischer Colonieen und Municipien, aus den Resten römischer Einrichtung, Verwaltungsart, Ge- wohnheit, jener städtische Gemeingeist, der in einzelnen Orten, etwa in Lucca und Pisa*), schon im eilften Jahrhundert so ausgebildet hervortritt, daß wir anzunehmen gezwungen sind, er habe sich eine längere Zeit hindurch im Stillen aus frühe- rer Versunkenheit hervorgebildet.
Vorherrschen des practischen Sinnes war es demnach, und Begeisterung für neue politische Gründungen, oder Hoff- nungen auf künftige Macht und Freyheit, was den Sinn da- maliger Italiener in Kunst und Sprache von treuem, sorgli- chem Bewahren des Ueberlieferten ablenkte. So lange man nur in der Erinnerung an römische Größe Beruhigung und Freude fand, so lange die Gegenwart und nächste Zukunft nichts, als Beschämendes, Entmuthigendes darbot, hatte man, obwohl mit geringem Glücke, gestrebt, die Sprache und die Künste des alten Weltreiches in ihren herkömmlichen Formen zu erhalten. Nun aber, da dem Ehrgeiz, wie dem Erwerb-
*) Ueber die frühere Blüthe von Neapel, Gaeta, Amalphi, wissen wir wenig Umständliches. S. Brincman. Diss. de rep. Amalphit. ad calcem hist. Pandect. Flo. -- Einzelnes, wohl rheto- risch Uebertriebene, bey Gull. Apul.
tiſche Sinn und Alles, was vom alten martialiſchen Geiſte bey roͤmiſchen oder germaniſchen Abkoͤmmlingen noch vorhan- den war, auf Gruͤndung und Sicherung des Naͤchſten. Auf der einen Seite vereinigten ſich die Stammgenoſſenſchaften des Adels, welche in Italien alt ſeyn muͤſſen, weil ſie fruͤh ſich zeigen, und ſchon im dreyzehnten Jahrhundert ſich uͤberlebt haben und zum Untergange reif ſind. Andererſeits entwickelte ſich in den Truͤmmern roͤmiſcher Colonieen und Municipien, aus den Reſten roͤmiſcher Einrichtung, Verwaltungsart, Ge- wohnheit, jener ſtaͤdtiſche Gemeingeiſt, der in einzelnen Orten, etwa in Lucca und Piſa*), ſchon im eilften Jahrhundert ſo ausgebildet hervortritt, daß wir anzunehmen gezwungen ſind, er habe ſich eine laͤngere Zeit hindurch im Stillen aus fruͤhe- rer Verſunkenheit hervorgebildet.
Vorherrſchen des practiſchen Sinnes war es demnach, und Begeiſterung fuͤr neue politiſche Gruͤndungen, oder Hoff- nungen auf kuͤnftige Macht und Freyheit, was den Sinn da- maliger Italiener in Kunſt und Sprache von treuem, ſorgli- chem Bewahren des Ueberlieferten ablenkte. So lange man nur in der Erinnerung an roͤmiſche Groͤße Beruhigung und Freude fand, ſo lange die Gegenwart und naͤchſte Zukunft nichts, als Beſchaͤmendes, Entmuthigendes darbot, hatte man, obwohl mit geringem Gluͤcke, geſtrebt, die Sprache und die Kuͤnſte des alten Weltreiches in ihren herkoͤmmlichen Formen zu erhalten. Nun aber, da dem Ehrgeiz, wie dem Erwerb-
*) Ueber die fruͤhere Bluͤthe von Neapel, Gaeta, Amalphi, wiſſen wir wenig Umſtaͤndliches. S. Brincman. Diss. de rep. Amalphit. ad calcem hist. Pandect. Flo. — Einzelnes, wohl rheto- riſch Uebertriebene, bey Gull. Apul.
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tiſche Sinn und Alles, was vom alten martialiſchen Geiſte
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der einen Seite vereinigten ſich die Stammgenoſſenſchaften des
Adels, welche in Italien alt ſeyn muͤſſen, weil ſie fruͤh ſich
zeigen, und ſchon im dreyzehnten Jahrhundert ſich uͤberlebt
haben und zum Untergange reif ſind. Andererſeits entwickelte
ſich in den Truͤmmern roͤmiſcher Colonieen und Municipien,
aus den Reſten roͤmiſcher Einrichtung, Verwaltungsart, Ge-
wohnheit, jener ſtaͤdtiſche Gemeingeiſt, der in einzelnen Orten,
etwa in Lucca und Piſa *), ſchon im eilften Jahrhundert ſo
ausgebildet hervortritt, daß wir anzunehmen gezwungen ſind,
er habe ſich eine laͤngere Zeit hindurch im Stillen aus fruͤhe-
rer Verſunkenheit hervorgebildet.
Vorherrſchen des practiſchen Sinnes war es demnach,
und Begeiſterung fuͤr neue politiſche Gruͤndungen, oder Hoff-
nungen auf kuͤnftige Macht und Freyheit, was den Sinn da-
maliger Italiener in Kunſt und Sprache von treuem, ſorgli-
chem Bewahren des Ueberlieferten ablenkte. So lange man
nur in der Erinnerung an roͤmiſche Groͤße Beruhigung und
Freude fand, ſo lange die Gegenwart und naͤchſte Zukunft
nichts, als Beſchaͤmendes, Entmuthigendes darbot, hatte man,
obwohl mit geringem Gluͤcke, geſtrebt, die Sprache und die
Kuͤnſte des alten Weltreiches in ihren herkoͤmmlichen Formen
zu erhalten. Nun aber, da dem Ehrgeiz, wie dem Erwerb-
*) Ueber die fruͤhere Bluͤthe von Neapel, Gaeta, Amalphi,
wiſſen wir wenig Umſtaͤndliches. S. Brincman. Diss. de rep.
Amalphit. ad calcem hist. Pandect. Flo. — Einzelnes, wohl rheto-
riſch Uebertriebene, bey Gull. Apul.
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/256>, abgerufen am 16.02.2025.
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