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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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Schönheit zu beleuchten versucht, ist die Erregbarkeit und Em-
pfänglichkeit der Menschen so verschieden, daß ein unbegrenz-
bares Mancherley von Dingen dem gemeinen Sprachgebrauche
schön heißt.

Demnach dürfte es uns zur näheren Begrenzung unseres
Schönheitsbegriffes behülflich seyn, wenn wir uns vorher über
die Menschengattung vereinbarten, deren Schönheitssinn, oder
Schönheitsurtheil bey unserer Untersuchung einzig in Frage
kommen soll. Dem Griechen freylich würde es seltsam genug
scheinen, wenn Jemand über Solches, was ihm schön hieß,
das Urtheil von Barbaren hätte einholen wollen; in den neue-
ren, weltbürgerlichen Zeiten nahm indeß sogar ein Winckel-
mann
*) auf die Empfindungen von Menschen Bedacht, welche
in dieser Beziehung nicht bloß persönlich, vielmehr auch der
Gattung nach, und wahrscheinlich unheilbar roh sind. Um
nun nicht sogleich und von vorn herein durch eine ähnliche
Betrachtung abgelenkt zu werden, wollen wir lieber den Alten
folgen und uns dahin entscheiden, daß nur die Empfindungen
eines gesunden Gesichtes, nur die Gefühle und Urtheile von
sittlich edlen und geistig fähigen Menschen bey Untersuchung
der Schönheit uns zur Richtschnur dienen können.

Doch selbst innerhalb dieser engeren Grenze würden wir
schwerlich der Zersplitterung entgehen, wenn wir eben nur an
vereinzelten schönen Dingen erproben wollten, welchen Ein-
druck sie voraussetzlich auf empfängliche und begabte Menschen
bewirken. Vom Eindruck des einzelnen Schönen werden wir
demnach absehen müssen, um allgemeinere, durchwaltende Ur-
sachen, Veranlassungen, oder Beweggründe des Wohlgefallens

*) Kunstgeschichte Buch IV.

Schoͤnheit zu beleuchten verſucht, iſt die Erregbarkeit und Em-
pfaͤnglichkeit der Menſchen ſo verſchieden, daß ein unbegrenz-
bares Mancherley von Dingen dem gemeinen Sprachgebrauche
ſchoͤn heißt.

Demnach duͤrfte es uns zur naͤheren Begrenzung unſeres
Schoͤnheitsbegriffes behuͤlflich ſeyn, wenn wir uns vorher uͤber
die Menſchengattung vereinbarten, deren Schoͤnheitsſinn, oder
Schoͤnheitsurtheil bey unſerer Unterſuchung einzig in Frage
kommen ſoll. Dem Griechen freylich wuͤrde es ſeltſam genug
ſcheinen, wenn Jemand uͤber Solches, was ihm ſchoͤn hieß,
das Urtheil von Barbaren haͤtte einholen wollen; in den neue-
ren, weltbuͤrgerlichen Zeiten nahm indeß ſogar ein Winckel-
mann
*) auf die Empfindungen von Menſchen Bedacht, welche
in dieſer Beziehung nicht bloß perſoͤnlich, vielmehr auch der
Gattung nach, und wahrſcheinlich unheilbar roh ſind. Um
nun nicht ſogleich und von vorn herein durch eine aͤhnliche
Betrachtung abgelenkt zu werden, wollen wir lieber den Alten
folgen und uns dahin entſcheiden, daß nur die Empfindungen
eines geſunden Geſichtes, nur die Gefuͤhle und Urtheile von
ſittlich edlen und geiſtig faͤhigen Menſchen bey Unterſuchung
der Schoͤnheit uns zur Richtſchnur dienen koͤnnen.

Doch ſelbſt innerhalb dieſer engeren Grenze wuͤrden wir
ſchwerlich der Zerſplitterung entgehen, wenn wir eben nur an
vereinzelten ſchoͤnen Dingen erproben wollten, welchen Ein-
druck ſie vorausſetzlich auf empfaͤngliche und begabte Menſchen
bewirken. Vom Eindruck des einzelnen Schoͤnen werden wir
demnach abſehen muͤſſen, um allgemeinere, durchwaltende Ur-
ſachen, Veranlaſſungen, oder Beweggruͤnde des Wohlgefallens

*) Kunſtgeſchichte Buch IV.
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[136/0154] Schoͤnheit zu beleuchten verſucht, iſt die Erregbarkeit und Em- pfaͤnglichkeit der Menſchen ſo verſchieden, daß ein unbegrenz- bares Mancherley von Dingen dem gemeinen Sprachgebrauche ſchoͤn heißt. Demnach duͤrfte es uns zur naͤheren Begrenzung unſeres Schoͤnheitsbegriffes behuͤlflich ſeyn, wenn wir uns vorher uͤber die Menſchengattung vereinbarten, deren Schoͤnheitsſinn, oder Schoͤnheitsurtheil bey unſerer Unterſuchung einzig in Frage kommen ſoll. Dem Griechen freylich wuͤrde es ſeltſam genug ſcheinen, wenn Jemand uͤber Solches, was ihm ſchoͤn hieß, das Urtheil von Barbaren haͤtte einholen wollen; in den neue- ren, weltbuͤrgerlichen Zeiten nahm indeß ſogar ein Winckel- mann *) auf die Empfindungen von Menſchen Bedacht, welche in dieſer Beziehung nicht bloß perſoͤnlich, vielmehr auch der Gattung nach, und wahrſcheinlich unheilbar roh ſind. Um nun nicht ſogleich und von vorn herein durch eine aͤhnliche Betrachtung abgelenkt zu werden, wollen wir lieber den Alten folgen und uns dahin entſcheiden, daß nur die Empfindungen eines geſunden Geſichtes, nur die Gefuͤhle und Urtheile von ſittlich edlen und geiſtig faͤhigen Menſchen bey Unterſuchung der Schoͤnheit uns zur Richtſchnur dienen koͤnnen. Doch ſelbſt innerhalb dieſer engeren Grenze wuͤrden wir ſchwerlich der Zerſplitterung entgehen, wenn wir eben nur an vereinzelten ſchoͤnen Dingen erproben wollten, welchen Ein- druck ſie vorausſetzlich auf empfaͤngliche und begabte Menſchen bewirken. Vom Eindruck des einzelnen Schoͤnen werden wir demnach abſehen muͤſſen, um allgemeinere, durchwaltende Ur- ſachen, Veranlaſſungen, oder Beweggruͤnde des Wohlgefallens *) Kunſtgeſchichte Buch IV.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/154>, abgerufen am 24.11.2024.