Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

geltend machen, hie und da ein ächtes, nur zufällig nicht nach
Außen entwickeltes Kunsttalent sich hervordrängen wollen;
würde aber das ächte Kunsttalent nicht irgendwo durch ein
eigenthümliches Wollen sich ankündigen? Würde es, gleich
unseren vorzeichnenden Kunstweisen, immer nur irgend ein
schon Geleistetes bald der antiken, bald der modernen Kunst
vor Augen haben? Und gewiß dürfte es unter allen Umstän-
den den inneren Forderungen der Theorie ungleich angemesse-
ner seyn, wenn man minder zerstreut durch das fruchtlose Ge-
schäft der Auswahl und Werthbestimmung möglicher Gegen-
stände der Kunst, den allgemeinen Begriff des Gegenstandes,
und dessen Verhältniß zur Kunst und zum Künstler fester zu
stellen versuchte, als, so weit meine Kunde reicht, in moder-
nen Kunstlehren geschehen ist.

Auffassung und Gegenstand (Subjectives und Objecti-
ves) bezeichnet an sich selbst ein bloßes Verhältniß von Din-
gen, welche, wie es am Tage liegt, ihre gegenseitige Stellung
ins Unendliche verändern. Demnach kann in der Kunst auch
die darstellende Form, vorübergehend sogar der grobe Stoff,
aus welchem diese Form gestaltet wird, Gegenstand der Auf-
merksamkeit und des Nachdenkens seyn, mithin, wenn wir nur
nicht versäumen, das Vorübergehende dieses Verhältnisses be-
merklich zu machen, auch Gegenstand heißen. Doch, eben wie
in den Werken der Redekünste nicht die einzelnen Worte und
Perioden, nicht die einzelnen das Ganze herbeiführenden Ein-
leitungen und Ausführungen, Beyspiele und Einschaltungen,
sondern eben nur das Gesammtergebniß, der Hauptzweck jeder
Schrift, ihr Gegenstand genannt wird; so werden wir auch
an Kunstwerken, weder die einzelnen Gestalten, noch ihre Theile
den Gegenstand nennen dürfen, ohne uns selbst zu verwirren,

geltend machen, hie und da ein aͤchtes, nur zufaͤllig nicht nach
Außen entwickeltes Kunſttalent ſich hervordraͤngen wollen;
wuͤrde aber das aͤchte Kunſttalent nicht irgendwo durch ein
eigenthuͤmliches Wollen ſich ankuͤndigen? Wuͤrde es, gleich
unſeren vorzeichnenden Kunſtweiſen, immer nur irgend ein
ſchon Geleiſtetes bald der antiken, bald der modernen Kunſt
vor Augen haben? Und gewiß duͤrfte es unter allen Umſtaͤn-
den den inneren Forderungen der Theorie ungleich angemeſſe-
ner ſeyn, wenn man minder zerſtreut durch das fruchtloſe Ge-
ſchaͤft der Auswahl und Werthbeſtimmung moͤglicher Gegen-
ſtaͤnde der Kunſt, den allgemeinen Begriff des Gegenſtandes,
und deſſen Verhaͤltniß zur Kunſt und zum Kuͤnſtler feſter zu
ſtellen verſuchte, als, ſo weit meine Kunde reicht, in moder-
nen Kunſtlehren geſchehen iſt.

Auffaſſung und Gegenſtand (Subjectives und Objecti-
ves) bezeichnet an ſich ſelbſt ein bloßes Verhaͤltniß von Din-
gen, welche, wie es am Tage liegt, ihre gegenſeitige Stellung
ins Unendliche veraͤndern. Demnach kann in der Kunſt auch
die darſtellende Form, voruͤbergehend ſogar der grobe Stoff,
aus welchem dieſe Form geſtaltet wird, Gegenſtand der Auf-
merkſamkeit und des Nachdenkens ſeyn, mithin, wenn wir nur
nicht verſaͤumen, das Voruͤbergehende dieſes Verhaͤltniſſes be-
merklich zu machen, auch Gegenſtand heißen. Doch, eben wie
in den Werken der Redekuͤnſte nicht die einzelnen Worte und
Perioden, nicht die einzelnen das Ganze herbeifuͤhrenden Ein-
leitungen und Ausfuͤhrungen, Beyſpiele und Einſchaltungen,
ſondern eben nur das Geſammtergebniß, der Hauptzweck jeder
Schrift, ihr Gegenſtand genannt wird; ſo werden wir auch
an Kunſtwerken, weder die einzelnen Geſtalten, noch ihre Theile
den Gegenſtand nennen duͤrfen, ohne uns ſelbſt zu verwirren,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0145" n="127"/>
geltend machen, hie und da ein a&#x0364;chtes, nur zufa&#x0364;llig nicht nach<lb/>
Außen entwickeltes Kun&#x017F;ttalent &#x017F;ich hervordra&#x0364;ngen wollen;<lb/>
wu&#x0364;rde aber das a&#x0364;chte Kun&#x017F;ttalent nicht irgendwo durch ein<lb/>
eigenthu&#x0364;mliches Wollen &#x017F;ich anku&#x0364;ndigen? Wu&#x0364;rde es, gleich<lb/>
un&#x017F;eren vorzeichnenden Kun&#x017F;twei&#x017F;en, immer nur irgend ein<lb/>
&#x017F;chon Gelei&#x017F;tetes bald der antiken, bald der modernen Kun&#x017F;t<lb/>
vor Augen haben? Und gewiß du&#x0364;rfte es unter allen Um&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
den den inneren Forderungen der Theorie ungleich angeme&#x017F;&#x017F;e-<lb/>
ner &#x017F;eyn, wenn man minder zer&#x017F;treut durch das fruchtlo&#x017F;e Ge-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ft der Auswahl und Werthbe&#x017F;timmung mo&#x0364;glicher Gegen-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;nde der Kun&#x017F;t, den allgemeinen Begriff des Gegen&#x017F;tandes,<lb/>
und de&#x017F;&#x017F;en Verha&#x0364;ltniß zur Kun&#x017F;t und zum Ku&#x0364;n&#x017F;tler fe&#x017F;ter zu<lb/>
&#x017F;tellen ver&#x017F;uchte, als, &#x017F;o weit meine Kunde reicht, in moder-<lb/>
nen Kun&#x017F;tlehren ge&#x017F;chehen i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Auffa&#x017F;&#x017F;ung und Gegen&#x017F;tand (Subjectives und Objecti-<lb/>
ves) bezeichnet an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ein bloßes Verha&#x0364;ltniß von Din-<lb/>
gen, welche, wie es am Tage liegt, ihre gegen&#x017F;eitige Stellung<lb/>
ins Unendliche vera&#x0364;ndern. Demnach kann in der Kun&#x017F;t auch<lb/>
die dar&#x017F;tellende Form, voru&#x0364;bergehend &#x017F;ogar der grobe Stoff,<lb/>
aus welchem die&#x017F;e Form ge&#x017F;taltet wird, Gegen&#x017F;tand der Auf-<lb/>
merk&#x017F;amkeit und des Nachdenkens &#x017F;eyn, mithin, wenn wir nur<lb/>
nicht ver&#x017F;a&#x0364;umen, das Voru&#x0364;bergehende die&#x017F;es Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;es be-<lb/>
merklich zu machen, auch Gegen&#x017F;tand heißen. Doch, eben wie<lb/>
in den Werken der Redeku&#x0364;n&#x017F;te nicht die einzelnen Worte und<lb/>
Perioden, nicht die einzelnen das Ganze herbeifu&#x0364;hrenden Ein-<lb/>
leitungen und Ausfu&#x0364;hrungen, Bey&#x017F;piele und Ein&#x017F;chaltungen,<lb/>
&#x017F;ondern eben nur das Ge&#x017F;ammtergebniß, der Hauptzweck jeder<lb/>
Schrift, ihr Gegen&#x017F;tand genannt wird; &#x017F;o werden wir auch<lb/>
an Kun&#x017F;twerken, weder die einzelnen Ge&#x017F;talten, noch ihre Theile<lb/>
den Gegen&#x017F;tand nennen du&#x0364;rfen, ohne uns &#x017F;elb&#x017F;t zu verwirren,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0145] geltend machen, hie und da ein aͤchtes, nur zufaͤllig nicht nach Außen entwickeltes Kunſttalent ſich hervordraͤngen wollen; wuͤrde aber das aͤchte Kunſttalent nicht irgendwo durch ein eigenthuͤmliches Wollen ſich ankuͤndigen? Wuͤrde es, gleich unſeren vorzeichnenden Kunſtweiſen, immer nur irgend ein ſchon Geleiſtetes bald der antiken, bald der modernen Kunſt vor Augen haben? Und gewiß duͤrfte es unter allen Umſtaͤn- den den inneren Forderungen der Theorie ungleich angemeſſe- ner ſeyn, wenn man minder zerſtreut durch das fruchtloſe Ge- ſchaͤft der Auswahl und Werthbeſtimmung moͤglicher Gegen- ſtaͤnde der Kunſt, den allgemeinen Begriff des Gegenſtandes, und deſſen Verhaͤltniß zur Kunſt und zum Kuͤnſtler feſter zu ſtellen verſuchte, als, ſo weit meine Kunde reicht, in moder- nen Kunſtlehren geſchehen iſt. Auffaſſung und Gegenſtand (Subjectives und Objecti- ves) bezeichnet an ſich ſelbſt ein bloßes Verhaͤltniß von Din- gen, welche, wie es am Tage liegt, ihre gegenſeitige Stellung ins Unendliche veraͤndern. Demnach kann in der Kunſt auch die darſtellende Form, voruͤbergehend ſogar der grobe Stoff, aus welchem dieſe Form geſtaltet wird, Gegenſtand der Auf- merkſamkeit und des Nachdenkens ſeyn, mithin, wenn wir nur nicht verſaͤumen, das Voruͤbergehende dieſes Verhaͤltniſſes be- merklich zu machen, auch Gegenſtand heißen. Doch, eben wie in den Werken der Redekuͤnſte nicht die einzelnen Worte und Perioden, nicht die einzelnen das Ganze herbeifuͤhrenden Ein- leitungen und Ausfuͤhrungen, Beyſpiele und Einſchaltungen, ſondern eben nur das Geſammtergebniß, der Hauptzweck jeder Schrift, ihr Gegenſtand genannt wird; ſo werden wir auch an Kunſtwerken, weder die einzelnen Geſtalten, noch ihre Theile den Gegenſtand nennen duͤrfen, ohne uns ſelbſt zu verwirren,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/145
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/145>, abgerufen am 25.11.2024.