Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

dere, aus einem gewissen Aufschwung des künstlerischen Gei-
stes erklärt, vielmehr aus gegebenen Foderungen des derben
Stoffes, wodurch wir den Künstler, weit entfernt ihm von
dieser Seite einige Freyheit einzuräumen, vielmehr auch hier
auf äußere Schranken hingewiesen, welche er nie ungestraft
überschreiten wird. Der Kunst Unkundigen, oder auch denen,
welche das gerügte Vorurtheil der Modernen noch verblendet,
dürfte es nun wohl scheinen, als werde die Kunst durch so
mannichfache Beschränkungen aus dem Gebiete des Geistigen
und Entbundenen verwiesen und zu einer gewissen Befangen-
heit verurtheilt.

Wäre es, wie die Kunstlehre der letzten sechzig Jahre
darzulegen und zu behaupten bemüht gewesen, der Zweck, oder
doch der Hauptzweck der Kunst, die Schöpfung in ihren ein-
zelnen Gestaltungen nachzubessern, beziehungslose Formen her-
vorzubringen, welche das Erschaffene ins schönere nachäffen *),

*) Wie sogar die Titel (de l'imitation, u. a.) mancher Kunst-
schriften andeuten, und wie die Entwickelungen der übrigen zeigen,
lassen auch solche Kunstgelehrte, welche mit den Kunstformen weit
über die natürlichen hinauswollen, den Künstler gewöhnlich mit
stumpfsinnig ("ohne Wahl") unternommener Nachahmung des
sinnlich Vorliegenden beginnen, und allgemach nur von dieser Nach-
ahmung sich zu dem erheben, was man Idealformen und Bildun-
gen nennt.
Böttiger, a. a. O., S. 67., behauptet: daß ohne die Sitte
der beiden classischen Völker, das Haupt (meist?) unbedeckt zu
tragen, nie eine Idealform zum Vorschein gekommen
wäre.
Nicht aus der Idee, sondern aus dem Eindruck des sinn-
lich Vorliegenden entwickelte sich demnach, nach den Ansichten die-
ses Gelehrten, was ihm Idealform heißt. -- Daß ein geheimer
Zug des Geistes, etwa was man Idee nennt, den Künstler mit
verwandten Naturgestaltungen verbinde; daß er in diesen ganz all-

dere, aus einem gewiſſen Aufſchwung des kuͤnſtleriſchen Gei-
ſtes erklaͤrt, vielmehr aus gegebenen Foderungen des derben
Stoffes, wodurch wir den Kuͤnſtler, weit entfernt ihm von
dieſer Seite einige Freyheit einzuraͤumen, vielmehr auch hier
auf aͤußere Schranken hingewieſen, welche er nie ungeſtraft
uͤberſchreiten wird. Der Kunſt Unkundigen, oder auch denen,
welche das geruͤgte Vorurtheil der Modernen noch verblendet,
duͤrfte es nun wohl ſcheinen, als werde die Kunſt durch ſo
mannichfache Beſchraͤnkungen aus dem Gebiete des Geiſtigen
und Entbundenen verwieſen und zu einer gewiſſen Befangen-
heit verurtheilt.

Waͤre es, wie die Kunſtlehre der letzten ſechzig Jahre
darzulegen und zu behaupten bemuͤht geweſen, der Zweck, oder
doch der Hauptzweck der Kunſt, die Schoͤpfung in ihren ein-
zelnen Geſtaltungen nachzubeſſern, beziehungsloſe Formen her-
vorzubringen, welche das Erſchaffene ins ſchoͤnere nachaͤffen *),

*) Wie ſogar die Titel (de l’imitation, u. a.) mancher Kunſt-
ſchriften andeuten, und wie die Entwickelungen der uͤbrigen zeigen,
laſſen auch ſolche Kunſtgelehrte, welche mit den Kunſtformen weit
uͤber die natuͤrlichen hinauswollen, den Kuͤnſtler gewoͤhnlich mit
ſtumpfſinnig („ohne Wahl“) unternommener Nachahmung des
ſinnlich Vorliegenden beginnen, und allgemach nur von dieſer Nach-
ahmung ſich zu dem erheben, was man Idealformen und Bildun-
gen nennt.
Boͤttiger, a. a. O., S. 67., behauptet: daß ohne die Sitte
der beiden claſſiſchen Voͤlker, das Haupt (meiſt?) unbedeckt zu
tragen, nie eine Idealform zum Vorſchein gekommen
waͤre.
Nicht aus der Idee, ſondern aus dem Eindruck des ſinn-
lich Vorliegenden entwickelte ſich demnach, nach den Anſichten die-
ſes Gelehrten, was ihm Idealform heißt. — Daß ein geheimer
Zug des Geiſtes, etwa was man Idee nennt, den Kuͤnſtler mit
verwandten Naturgeſtaltungen verbinde; daß er in dieſen ganz all-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0123" n="105"/>
dere, aus einem gewi&#x017F;&#x017F;en Auf&#x017F;chwung des ku&#x0364;n&#x017F;tleri&#x017F;chen Gei-<lb/>
&#x017F;tes erkla&#x0364;rt, vielmehr aus gegebenen Foderungen des derben<lb/>
Stoffes, wodurch wir den Ku&#x0364;n&#x017F;tler, weit entfernt ihm von<lb/>
die&#x017F;er Seite einige Freyheit einzura&#x0364;umen, vielmehr auch hier<lb/>
auf a&#x0364;ußere Schranken hingewie&#x017F;en, welche er nie unge&#x017F;traft<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;chreiten wird. Der Kun&#x017F;t Unkundigen, oder auch denen,<lb/>
welche das geru&#x0364;gte Vorurtheil der Modernen noch verblendet,<lb/>
du&#x0364;rfte es nun wohl &#x017F;cheinen, als werde die Kun&#x017F;t durch &#x017F;o<lb/>
mannichfache Be&#x017F;chra&#x0364;nkungen aus dem Gebiete des Gei&#x017F;tigen<lb/>
und Entbundenen verwie&#x017F;en und zu einer gewi&#x017F;&#x017F;en Befangen-<lb/>
heit verurtheilt.</p><lb/>
          <p>Wa&#x0364;re es, wie die Kun&#x017F;tlehre der letzten &#x017F;echzig Jahre<lb/>
darzulegen und zu behaupten bemu&#x0364;ht gewe&#x017F;en, der Zweck, oder<lb/>
doch der Hauptzweck der Kun&#x017F;t, die Scho&#x0364;pfung in ihren ein-<lb/>
zelnen Ge&#x017F;taltungen nachzube&#x017F;&#x017F;ern, beziehungslo&#x017F;e Formen her-<lb/>
vorzubringen, welche das Er&#x017F;chaffene ins &#x017F;cho&#x0364;nere nacha&#x0364;ffen <note xml:id="fn14a" next="#fn14b" place="foot" n="*)">Wie &#x017F;ogar die Titel (<hi rendition="#aq">de l&#x2019;imitation</hi>, u. a.) mancher Kun&#x017F;t-<lb/>
&#x017F;chriften andeuten, und wie die Entwickelungen der u&#x0364;brigen zeigen,<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en auch &#x017F;olche Kun&#x017F;tgelehrte, welche mit den Kun&#x017F;tformen weit<lb/>
u&#x0364;ber die natu&#x0364;rlichen hinauswollen, den Ku&#x0364;n&#x017F;tler gewo&#x0364;hnlich mit<lb/>
&#x017F;tumpf&#x017F;innig (&#x201E;ohne Wahl&#x201C;) unternommener Nachahmung des<lb/>
&#x017F;innlich Vorliegenden beginnen, und allgemach nur von die&#x017F;er Nach-<lb/>
ahmung &#x017F;ich zu dem erheben, was man Idealformen und Bildun-<lb/>
gen nennt.<lb/><hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118824775">Bo&#x0364;ttiger</persName>,</hi> a. a. O., S. 67., behauptet: daß ohne die Sitte<lb/>
der beiden cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Vo&#x0364;lker, das Haupt (mei&#x017F;t?) unbedeckt zu<lb/>
tragen, <hi rendition="#g">nie eine Idealform zum Vor&#x017F;chein gekommen<lb/>
wa&#x0364;re.</hi> Nicht aus der Idee, &#x017F;ondern aus dem Eindruck des &#x017F;inn-<lb/>
lich Vorliegenden entwickelte &#x017F;ich demnach, nach den An&#x017F;ichten die-<lb/>
&#x017F;es Gelehrten, was ihm Idealform heißt. &#x2014; Daß ein geheimer<lb/>
Zug des Gei&#x017F;tes, etwa was man Idee nennt, den Ku&#x0364;n&#x017F;tler mit<lb/>
verwandten Naturge&#x017F;taltungen verbinde; daß er in die&#x017F;en ganz all-</note>,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0123] dere, aus einem gewiſſen Aufſchwung des kuͤnſtleriſchen Gei- ſtes erklaͤrt, vielmehr aus gegebenen Foderungen des derben Stoffes, wodurch wir den Kuͤnſtler, weit entfernt ihm von dieſer Seite einige Freyheit einzuraͤumen, vielmehr auch hier auf aͤußere Schranken hingewieſen, welche er nie ungeſtraft uͤberſchreiten wird. Der Kunſt Unkundigen, oder auch denen, welche das geruͤgte Vorurtheil der Modernen noch verblendet, duͤrfte es nun wohl ſcheinen, als werde die Kunſt durch ſo mannichfache Beſchraͤnkungen aus dem Gebiete des Geiſtigen und Entbundenen verwieſen und zu einer gewiſſen Befangen- heit verurtheilt. Waͤre es, wie die Kunſtlehre der letzten ſechzig Jahre darzulegen und zu behaupten bemuͤht geweſen, der Zweck, oder doch der Hauptzweck der Kunſt, die Schoͤpfung in ihren ein- zelnen Geſtaltungen nachzubeſſern, beziehungsloſe Formen her- vorzubringen, welche das Erſchaffene ins ſchoͤnere nachaͤffen *), *) Wie ſogar die Titel (de l’imitation, u. a.) mancher Kunſt- ſchriften andeuten, und wie die Entwickelungen der uͤbrigen zeigen, laſſen auch ſolche Kunſtgelehrte, welche mit den Kunſtformen weit uͤber die natuͤrlichen hinauswollen, den Kuͤnſtler gewoͤhnlich mit ſtumpfſinnig („ohne Wahl“) unternommener Nachahmung des ſinnlich Vorliegenden beginnen, und allgemach nur von dieſer Nach- ahmung ſich zu dem erheben, was man Idealformen und Bildun- gen nennt. Boͤttiger, a. a. O., S. 67., behauptet: daß ohne die Sitte der beiden claſſiſchen Voͤlker, das Haupt (meiſt?) unbedeckt zu tragen, nie eine Idealform zum Vorſchein gekommen waͤre. Nicht aus der Idee, ſondern aus dem Eindruck des ſinn- lich Vorliegenden entwickelte ſich demnach, nach den Anſichten die- ſes Gelehrten, was ihm Idealform heißt. — Daß ein geheimer Zug des Geiſtes, etwa was man Idee nennt, den Kuͤnſtler mit verwandten Naturgeſtaltungen verbinde; daß er in dieſen ganz all-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/123
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/123>, abgerufen am 27.11.2024.