Können etwas zu sehr ins Steife gehen mag, so müssen wir doch das Stylgefühl, aus dem sie hervorgegangen, um so höher stellen, als es schwieriger ist, solche Stylgesetze der Malerey zu ermitteln, welche, wie die oben erörterten der Bildnerey, aus Foderungen des ihr eigenthümlichen rohen Stoffes entstehen.
Denn in der Malerey ist jenem gröberen, auf einer ge- gebenen Fläche färbenden, erhellenden, oder auch verdunkeln- den Stoffe nicht viel Allgemeines abzugewinnen; obwohl in der Führung des Stiftes, der Feder, des Pinsels, oder in Tinten und Uebergängen der Farbe, Mängel, oder Vorzüge erscheinen können, so sind diese doch, theils ziemlich unwesent- lich, theils nicht wohl unter ein allgemeines Gesetz zu brin- gen. Allein in Betracht, daß die Malerey unter den bilden- den Künsten diejenige ist, welche nicht durch die Form, son- dern durch den Anschein von Formen darstellt, ist es denkbar, daß dieser Anschein durch gewisse Kunstvortheile, durch Ver- stärkungen, Milderungen, Unterlassungen, oder Anderes be- fördert würde.
Wirklich giebt es Dinge, deren Schein durch die bekann- teren Kunstmittel der Malerey nur beschwerlich hervorzubrin- gen ist; welche bald durch ihre Stumpfheit, bald durch ihre Härte und Abgeschnittenheit in Gemälden den Anschein wirk- lichen Seyns aufheben, welcher in der Malerey nun einmal eine der äußeren Bedingungen glücklicher Darstellung ist. Hierin denn würden wir etwas zu finden glauben, was den Maler bestimmen könnte, Einiges schärfer herauszuheben, An- deres absichtlich zu mildern. In den Lichtmassen der Gewän- der, um ein Beyspiel anzugeben, ist es so schwierig die schar- fen Umrisse des kleinen Gefältes ohne den Mißstand einer
I. 7
Koͤnnen etwas zu ſehr ins Steife gehen mag, ſo muͤſſen wir doch das Stylgefuͤhl, aus dem ſie hervorgegangen, um ſo hoͤher ſtellen, als es ſchwieriger iſt, ſolche Stylgeſetze der Malerey zu ermitteln, welche, wie die oben eroͤrterten der Bildnerey, aus Foderungen des ihr eigenthuͤmlichen rohen Stoffes entſtehen.
Denn in der Malerey iſt jenem groͤberen, auf einer ge- gebenen Flaͤche faͤrbenden, erhellenden, oder auch verdunkeln- den Stoffe nicht viel Allgemeines abzugewinnen; obwohl in der Fuͤhrung des Stiftes, der Feder, des Pinſels, oder in Tinten und Uebergaͤngen der Farbe, Maͤngel, oder Vorzuͤge erſcheinen koͤnnen, ſo ſind dieſe doch, theils ziemlich unweſent- lich, theils nicht wohl unter ein allgemeines Geſetz zu brin- gen. Allein in Betracht, daß die Malerey unter den bilden- den Kuͤnſten diejenige iſt, welche nicht durch die Form, ſon- dern durch den Anſchein von Formen darſtellt, iſt es denkbar, daß dieſer Anſchein durch gewiſſe Kunſtvortheile, durch Ver- ſtaͤrkungen, Milderungen, Unterlaſſungen, oder Anderes be- foͤrdert wuͤrde.
Wirklich giebt es Dinge, deren Schein durch die bekann- teren Kunſtmittel der Malerey nur beſchwerlich hervorzubrin- gen iſt; welche bald durch ihre Stumpfheit, bald durch ihre Haͤrte und Abgeſchnittenheit in Gemaͤlden den Anſchein wirk- lichen Seyns aufheben, welcher in der Malerey nun einmal eine der aͤußeren Bedingungen gluͤcklicher Darſtellung iſt. Hierin denn wuͤrden wir etwas zu finden glauben, was den Maler beſtimmen koͤnnte, Einiges ſchaͤrfer herauszuheben, An- deres abſichtlich zu mildern. In den Lichtmaſſen der Gewaͤn- der, um ein Beyſpiel anzugeben, iſt es ſo ſchwierig die ſchar- fen Umriſſe des kleinen Gefaͤltes ohne den Mißſtand einer
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Koͤnnen etwas zu ſehr ins Steife gehen mag, ſo muͤſſen wir
doch das Stylgefuͤhl, aus dem ſie hervorgegangen, um ſo
hoͤher ſtellen, als es ſchwieriger iſt, ſolche Stylgeſetze der
Malerey zu ermitteln, welche, wie die oben eroͤrterten der
Bildnerey, aus Foderungen des ihr eigenthuͤmlichen rohen
Stoffes entſtehen.
Denn in der Malerey iſt jenem groͤberen, auf einer ge-
gebenen Flaͤche faͤrbenden, erhellenden, oder auch verdunkeln-
den Stoffe nicht viel Allgemeines abzugewinnen; obwohl in
der Fuͤhrung des Stiftes, der Feder, des Pinſels, oder in
Tinten und Uebergaͤngen der Farbe, Maͤngel, oder Vorzuͤge
erſcheinen koͤnnen, ſo ſind dieſe doch, theils ziemlich unweſent-
lich, theils nicht wohl unter ein allgemeines Geſetz zu brin-
gen. Allein in Betracht, daß die Malerey unter den bilden-
den Kuͤnſten diejenige iſt, welche nicht durch die Form, ſon-
dern durch den Anſchein von Formen darſtellt, iſt es denkbar,
daß dieſer Anſchein durch gewiſſe Kunſtvortheile, durch Ver-
ſtaͤrkungen, Milderungen, Unterlaſſungen, oder Anderes be-
foͤrdert wuͤrde.
Wirklich giebt es Dinge, deren Schein durch die bekann-
teren Kunſtmittel der Malerey nur beſchwerlich hervorzubrin-
gen iſt; welche bald durch ihre Stumpfheit, bald durch ihre
Haͤrte und Abgeſchnittenheit in Gemaͤlden den Anſchein wirk-
lichen Seyns aufheben, welcher in der Malerey nun einmal
eine der aͤußeren Bedingungen gluͤcklicher Darſtellung iſt.
Hierin denn wuͤrden wir etwas zu finden glauben, was den
Maler beſtimmen koͤnnte, Einiges ſchaͤrfer herauszuheben, An-
deres abſichtlich zu mildern. In den Lichtmaſſen der Gewaͤn-
der, um ein Beyſpiel anzugeben, iſt es ſo ſchwierig die ſchar-
fen Umriſſe des kleinen Gefaͤltes ohne den Mißſtand einer
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/115>, abgerufen am 27.11.2024.
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